Iris | Lily of the Valley | Cotton 2011

Channi
11.11.2017 - 04:34 Uhr
18
Sehr hilfreiche Rezension
3
Flakon
5
Sillage
6
Haltbarkeit
6
Duft

Das hässliche Entlein

Wenn ein Lebewesen auf die Welt kommt, dann weiß es schon einiges über diese Welt:
Keimende Samen wissen, dass die Wurzel Richtung Schwerkraft gehört und die Blätter Richtung Licht.
Neugeborene Säugetiere wissen, wo es die Milch gibt.
Frisch geschlüpfte Meeresschildkröten wissen, dass sie so schnell wie möglich ins Meer müssen und in welcher Richtung es liegt.

So ähnlich weiß auch eine Flasche was eine Flasche ist und was drin sein könnte.

Als ich zum ersten Mal aus meinem Karton genommen wurde, befand ich mich in einem hell eingerichteten Raum, in den Lichtstrahlen durch halb geschlossene Vorhänge fielen. Ich wurde auf einen Tisch vor einem Spiegel gestellt, zwischen lauter andere Flaschen. Neugierig blickte ich mich um. Was für wundervolle Flaschen das waren! Eine war bauchig auf einem schmalen Fuß, mit einer goldenen Flüssigkeit gefüllt, sie hatte einen glitzernden blauen Verschluss und ein goldenes Etikett. Die nächste war ganz schlicht viereckig, einen schwarzen zylindrischen Verschluss, weißes Etikett mit schwarzer Schrift - sehr edel. Dann war da eine würfelförmige schwarze Flasche mit verschnörkelter silberner Schrift. Es gab verzierte und schlichte, farbloses Glas, und rotes, blaues, grünes, manche hatten goldene Metall-Monturen, glitzernde Steine oder eine satinierte Oberfläche, und die Flüssigkeiten schimmerten in allen Farben des Regenbogens. Da wusste ich: Ich stehe zwischen lauter Parfum-Flaschen!
Ich fühlte mich großartig! Ich bin keine Einweg-Limonaden-Plastikflasche! Ich bin keine Ketchup-Flasche, die monatelang mit verschmierter Halsöffnung im Kühlschrank vor sich hin gammelt! Ich bin eine Parfum-Flasche! Ein langes, glanzvolles Leben!
Es gelang mir, mich selbst im Spiegel hinter dem Tisch zu betrachten. Erwartungsvoll musterte ich mich, doch je länger ich das tat um so kälter wurde mir… ich war viereckig, aus graubraunem Glas, bedruckt mit einem weißen Etikett, das etwas schief saß, schmucklose Schreibmaschinen-Schrift darauf, und der Deckel war weiß und hatte diese feinen Rillen, die zwar helfen, schwergängige Verschlüsse zu öffnen, in denen sich aber Öl und Schmutz so fies festsetzen.
Ich bin also sehr offensichtlich KEINE Parfumflasche. Enttäuschung machte sich in mir breit. Schmieröl? Reinigungsmittel? Vielleicht ein Medikament (Hoffnungsschimmer)?
Und dann begann das Drama. Eine elegante Frau kam in den Raum. Sie trug ein grau-blaues Etui-Kleid, weiße Sandaletten, das blonde Haar schulterlang, alles schlicht, aber sehr wirkungsvoll. „Aha“, dachte ich. „Sie holt sich Parfum.“ Zu meinem Entsetzen griff sie aber nicht nach einem meiner schönen Nachbarn, sondern nach mir! Sie zog meinen Deckel ab, darunter war ein Sprühknopf, und führte mich zu ihrem Hals… Das konnte nur ein Fehler sein! Irgendetwas Stinkendes würde da raus kommen, Insektengift oder Sprühöl… und dann würde sie mich wutenbrand auf den Boden pfeffern, und mein Leben wäre noch kürzer als das einer Einweg-Plastikflasche…
Aber dann breitete sich ein heller, freundlicher Blumenduft aus, weich und cremig, der perfekt zu ihrer kühlen Schönheit passte!
War ICH das? Das war ICH! Ich bin eine Parfumflasche! Die hässlichste Flasche auf dem Tisch, aber ich dufte so schön! Ich könnte schwören, die anderen Flaschen lächeln mir zu :-)
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