22.05.2020 - 07:40 Uhr
Gold
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Haus-Oper-Home-Work
„All diese flüchtigen Düfte, die der Straßen, der Felder, der Häuser, der Möbel...die süßen und die schlechten, die warmen Düfte der Sommernächte und die kalten der dunklen Winterabende, sie alle rufen Erinnerungen hervor, gerade so als ob im Duft selbst die vergangenen Dinge einbalsamiert wären.“ Guy de Maupassant, Fort comme la mort
Blog-Eintrag Nora-Claire (18 Jahre alt)
Hey Leute, hier poste ich noch etwas unsortiert alles, was mir so eingefallen ist. Ihr werdet schon damit klarkommen.
Manche Freaks legen ja wahnsinnig viel Wert auf Düfte. Meine Tante zum Beispiel. Keine Woche vergeht, in der sie nicht einen neuen Duft kauft. Meistens einen sogenannten „Vintage“.
Oder einen „Nischenduft“. „Rare distribution.“ Mir sind ihre Parfums eher unangenehm. Viele erregen in mir Abscheu, fast so wie ein Buch mit Matheregeln oder diese penetrant stinkenden Patchouli-Räucherstäbchen.
Doch gestern zeigte mir Tante Annick ihre neuste Errungenschaft.
„Teatro alla Scala“ von Krizia.
Endlich mal ein altes Parfum (von 1986), das mir gefällt. Nicht verspielt. Kein fragwürdiger, peinlich anmutender „Glamour“. Kein Beispiel für die Abgedrehtheit meiner crazy Tante. Auch keine bloße Ergänzung zu ihrem neusten Outfit. Und auf keinen Fall der passende Duft für einen Stadtbummel.
Wie ich dazu komme, überhaupt ein Parfum verstehen und kommentieren zu wollen, fragt meine Tante gerade über Skype an. „Du hast doch noch nie ein Parfum interpretiert!“
Stimmt. Solche Aufgabenstellungen gehören sonst nicht zum Lehrplan einer Oberstufenschülerin. Aber in Corona-Zeiten haben wir im Fach „Politik und Gesellschaft“ die Aufgabe bekommen, über ein verrücktes Hobby zu berichten, das „kulturell bedeutsam“ sein könnte.
Jetzt fühle ich mich völlig überfordert.
Annick mailt mir:
„Parfums kann man zum Beispiel mit dem selben Vokabular beschreiben wie Fahrstile („rasant“, „temperamentvoll“), Liebhaber („leidenschaftlich“, „ungestüm“, „zärtlich“) oder Wetterphänomene („schwül“, „drückend“, „sonnig“).
Haben solche Beschreibungen einen Wert?
Ist „Teatro alla Scala“ ein leidenschaftlicher Duft?
Ja, er ist warm und würzig.
Nicht narkotisierend (wie zum Beispiel „Tabu“) oder so balsamisch wie „Youth Dew“.
Muß ich eine Leidenschaft für die Oper an den Tag legen, um ihn zu tragen?
Nein.
Aber wenn Oper, welche wäre es?
Annick meint:
„Auf keinen Fall Mozart.
Selbst ein reifes Werk wie „Don Giovanni“ nicht.
„La Boheme?“
Zu traurig. Am Ende. Ach, viele Komponisten drücken zum Schluß auf die Tränendrüse. Oder alles ist hochdramatisch.
Nehmen wir „Rigoletto“. DIE Oper von Verdi. Mitreißend. Unvergeßlich. So very MILAN and so very SCALA.“
„Meine Mitschüler und ich gehen manchmal zusammen in die Parfümerie, aber wir kommen nicht mit den wahren Schätzen der Duftwelt in Kontakt. Diese vielen älteren Parfums, die von Dir immer so angepriesen werden, liebe Tante, die gibt es doch gar nicht mehr bei Douglas zu kaufen“.
Ja, ich leide an meiner Parfum-Unkenntnis. Die gängigen Düfte, die ich bisher so probiert habe, werden von meiner Tante nicht anerkannt. Ich müsste komplett neu starten. Und vorher natürlich die anspruchsvollen Duft-Prüfungen im Internet absolvieren, die meine Tante schon vor Jahren bestanden hat. Erst auf Basenotes, dann auf Fragrantica. Und später dann auf Parfumo.
Parfumo, so sagt sie, war die größte Herausforderung.
Zum Glück stecke ich nicht in Mijas Haut. Die hat noch mehr Probleme mit der Hausaufgabe.
Sie empfindet die meisten der edlen und kostbaren Parfums, die meine Tante in ihrer Sammlung hat, wie ein Schloß mit hohen, unerklimmbaren Mauern und ein paar schönen Blumen drumherum, die man nicht pflücken darf. Mija hat keine Akadamiker-Eltern, kann nicht gut Englisch und ihr Deutsch ist auch nicht prickelnd. In der noblen Schloß-Parfümerie, die wir zu Recherche-Zwecken aufgesucht hatten, fühlte sie sich unwohl, weil sie erst mühsam den Umgang mit teuren Düften erlernen müsste, um dort zu bestehen. Wenn Mija extrem frustriert ist (und das ist sie öfters), kauft sie sich eine Flasche „Bruno Banani“ oder „La Rive“ im Supermarkt.
Wir haben wohl wohl nur den leisen Hauch einer Ahnung, wie unbefriedigend und trist Mijas Leben wahrscheinlich so verläuft. Im Gegensatz zu meiner Tante verfügt sie nicht über eine prächtige Parfumsammlung, über keinen einzigen herrlichen Vintage im Jugendstil-Flakon.
„Ich stelle mir oft vor wie ich mit einem fetten Portemonnaie durch die Stadt spaziere und mir einfach alle Wünsche erfülle“, sagt Mija plötzlich. „Und dann würde ich mir ein richtig geiles Parfum kaufen. Eins, das alle Typen umhaut!“
Wir schauen etwas planlos im Netz nach Informationen über Parfums und stoßen auf die Seite
„Traumduft gesucht - der Stammtisch“.
Da begeben sich leider nur die uns unsympatischen, machohaften und unbefriedigten Männer auf Duftsuche. Diese Typen sind allesamt „schwer zufriedenzustellen“, weil sie unrealistische Vorstellungen von Parfums haben. Oft kaufen sie Düfte, die beliebt sind und von denen andere sagen, daß man mit ihnen oder durch sie schneller und besser Frauen flachlegen könne.
Lange Listen von günstigen Imitaten der „Super-Panty-Dropper-Scents“werden gepostet.
„Stopp, Mädels“, ruft meine Tante. „Wo sucht Ihr denn?“ Sie sagt, daß sie es nicht toll fände, wenn ihr Mann mit einem Duft aus dem „Traumduft-Stammtisch-Bereich“ ankäme. Schließlich seien die meisten auch noch „Kopien“, die aus einer „primitiven Kultur“ stammten, was ein Mann denn mit so einem „Dupe“ eigentlich bezwecken wolle? (Was für eine Frage, ist doch klar, was...).
„Man sieht Ihnen außerdem an, dass sie kopiert sind!“
Riecht man es auch?
Für meine Hausuafgabe zum Thema Düfte, die ich heute noch online einreichen muß, ist es von Vorteil, daß ich mich offenbar schnell in Probleme einfühlen kann, die eine mangelnde Sensibilität für den Einsatzort und das „Wesen von Parfum“ mit sich bringen. Ich rede mit Annick über ihre ersten Jahre in der Parfumwelt, in denen sie (ihre Worte!) „wahllos schwere orientalische Geschütze“ verwendete.
Ihre Vermieterin in Heidelberg kündigte ihr anno 1984 ihr Studentenzimmer wegen der „aufdringlichen, unanständigen Gerüche“, die sie im Hausflur wahrnahm. Meine Tante hatte „Habanita“ von Molinard getragen. Sagt mir nichts, aber ich kann mir genau vorstellen, was die Vermieterin gemeint hat.
Hey, übrigens. Vivaldi und Bach passen nicht zu Teatro alla Scala. Eher Bauchtanz. Fällt mir gerade ein, weil der Duft als „Orientale“ gilt.
Jean Kerleo: „Nun, wie immer dem auch sei, der Duft und auch das Parfum regen zum Träumen an. Sie provozieren Gefühle. Man kann sogar sagen, sie bewegen unsere Psyche. Sie lassen einen grauen Tag frühlicher erscheinen. Sie vervollständigen etwas in Ihnen. Aber sie sind vor allem dazu da, das Leben schöner zu machen. Ja, genau das ist es. Denn dort, wo es keine Düfte und keine Parfums gibt, gibt es auch keine Träume und damit keine Zukunft mehr.“
Jean Kerleo ist der Gründer der Osmotheque (Parfum-Museum!) und natürlich Parfumeur.
„Es gibt genug Gelegenheiten, zu träumen, Möglichkeiten, Düften nachzuspüren. Manche Menschen scheinen dafür eine besondere Begabung zu haben, die Schöpfer von Teatro alla Scala zum Beispiel. Da wird aus einem kleinen Ensemble von fünf, sechs Noten schnell ein Fest mit Belcanto und Chypre-Akkorden. Herrlich ungezähmt und trotzdem mit Überlegung dahinter.“
(Sagt meine Tante).
„Möchte jemand die Noten mitlesen? Ich habe Internet.“
Riechen. Eine der schönste "Hausaufgaben" überhaupt.
Blog-Eintrag Nora-Claire (18 Jahre alt)
Hey Leute, hier poste ich noch etwas unsortiert alles, was mir so eingefallen ist. Ihr werdet schon damit klarkommen.
Manche Freaks legen ja wahnsinnig viel Wert auf Düfte. Meine Tante zum Beispiel. Keine Woche vergeht, in der sie nicht einen neuen Duft kauft. Meistens einen sogenannten „Vintage“.
Oder einen „Nischenduft“. „Rare distribution.“ Mir sind ihre Parfums eher unangenehm. Viele erregen in mir Abscheu, fast so wie ein Buch mit Matheregeln oder diese penetrant stinkenden Patchouli-Räucherstäbchen.
Doch gestern zeigte mir Tante Annick ihre neuste Errungenschaft.
„Teatro alla Scala“ von Krizia.
Endlich mal ein altes Parfum (von 1986), das mir gefällt. Nicht verspielt. Kein fragwürdiger, peinlich anmutender „Glamour“. Kein Beispiel für die Abgedrehtheit meiner crazy Tante. Auch keine bloße Ergänzung zu ihrem neusten Outfit. Und auf keinen Fall der passende Duft für einen Stadtbummel.
Wie ich dazu komme, überhaupt ein Parfum verstehen und kommentieren zu wollen, fragt meine Tante gerade über Skype an. „Du hast doch noch nie ein Parfum interpretiert!“
Stimmt. Solche Aufgabenstellungen gehören sonst nicht zum Lehrplan einer Oberstufenschülerin. Aber in Corona-Zeiten haben wir im Fach „Politik und Gesellschaft“ die Aufgabe bekommen, über ein verrücktes Hobby zu berichten, das „kulturell bedeutsam“ sein könnte.
Jetzt fühle ich mich völlig überfordert.
Annick mailt mir:
„Parfums kann man zum Beispiel mit dem selben Vokabular beschreiben wie Fahrstile („rasant“, „temperamentvoll“), Liebhaber („leidenschaftlich“, „ungestüm“, „zärtlich“) oder Wetterphänomene („schwül“, „drückend“, „sonnig“).
Haben solche Beschreibungen einen Wert?
Ist „Teatro alla Scala“ ein leidenschaftlicher Duft?
Ja, er ist warm und würzig.
Nicht narkotisierend (wie zum Beispiel „Tabu“) oder so balsamisch wie „Youth Dew“.
Muß ich eine Leidenschaft für die Oper an den Tag legen, um ihn zu tragen?
Nein.
Aber wenn Oper, welche wäre es?
Annick meint:
„Auf keinen Fall Mozart.
Selbst ein reifes Werk wie „Don Giovanni“ nicht.
„La Boheme?“
Zu traurig. Am Ende. Ach, viele Komponisten drücken zum Schluß auf die Tränendrüse. Oder alles ist hochdramatisch.
Nehmen wir „Rigoletto“. DIE Oper von Verdi. Mitreißend. Unvergeßlich. So very MILAN and so very SCALA.“
„Meine Mitschüler und ich gehen manchmal zusammen in die Parfümerie, aber wir kommen nicht mit den wahren Schätzen der Duftwelt in Kontakt. Diese vielen älteren Parfums, die von Dir immer so angepriesen werden, liebe Tante, die gibt es doch gar nicht mehr bei Douglas zu kaufen“.
Ja, ich leide an meiner Parfum-Unkenntnis. Die gängigen Düfte, die ich bisher so probiert habe, werden von meiner Tante nicht anerkannt. Ich müsste komplett neu starten. Und vorher natürlich die anspruchsvollen Duft-Prüfungen im Internet absolvieren, die meine Tante schon vor Jahren bestanden hat. Erst auf Basenotes, dann auf Fragrantica. Und später dann auf Parfumo.
Parfumo, so sagt sie, war die größte Herausforderung.
Zum Glück stecke ich nicht in Mijas Haut. Die hat noch mehr Probleme mit der Hausaufgabe.
Sie empfindet die meisten der edlen und kostbaren Parfums, die meine Tante in ihrer Sammlung hat, wie ein Schloß mit hohen, unerklimmbaren Mauern und ein paar schönen Blumen drumherum, die man nicht pflücken darf. Mija hat keine Akadamiker-Eltern, kann nicht gut Englisch und ihr Deutsch ist auch nicht prickelnd. In der noblen Schloß-Parfümerie, die wir zu Recherche-Zwecken aufgesucht hatten, fühlte sie sich unwohl, weil sie erst mühsam den Umgang mit teuren Düften erlernen müsste, um dort zu bestehen. Wenn Mija extrem frustriert ist (und das ist sie öfters), kauft sie sich eine Flasche „Bruno Banani“ oder „La Rive“ im Supermarkt.
Wir haben wohl wohl nur den leisen Hauch einer Ahnung, wie unbefriedigend und trist Mijas Leben wahrscheinlich so verläuft. Im Gegensatz zu meiner Tante verfügt sie nicht über eine prächtige Parfumsammlung, über keinen einzigen herrlichen Vintage im Jugendstil-Flakon.
„Ich stelle mir oft vor wie ich mit einem fetten Portemonnaie durch die Stadt spaziere und mir einfach alle Wünsche erfülle“, sagt Mija plötzlich. „Und dann würde ich mir ein richtig geiles Parfum kaufen. Eins, das alle Typen umhaut!“
Wir schauen etwas planlos im Netz nach Informationen über Parfums und stoßen auf die Seite
„Traumduft gesucht - der Stammtisch“.
Da begeben sich leider nur die uns unsympatischen, machohaften und unbefriedigten Männer auf Duftsuche. Diese Typen sind allesamt „schwer zufriedenzustellen“, weil sie unrealistische Vorstellungen von Parfums haben. Oft kaufen sie Düfte, die beliebt sind und von denen andere sagen, daß man mit ihnen oder durch sie schneller und besser Frauen flachlegen könne.
Lange Listen von günstigen Imitaten der „Super-Panty-Dropper-Scents“werden gepostet.
„Stopp, Mädels“, ruft meine Tante. „Wo sucht Ihr denn?“ Sie sagt, daß sie es nicht toll fände, wenn ihr Mann mit einem Duft aus dem „Traumduft-Stammtisch-Bereich“ ankäme. Schließlich seien die meisten auch noch „Kopien“, die aus einer „primitiven Kultur“ stammten, was ein Mann denn mit so einem „Dupe“ eigentlich bezwecken wolle? (Was für eine Frage, ist doch klar, was...).
„Man sieht Ihnen außerdem an, dass sie kopiert sind!“
Riecht man es auch?
Für meine Hausuafgabe zum Thema Düfte, die ich heute noch online einreichen muß, ist es von Vorteil, daß ich mich offenbar schnell in Probleme einfühlen kann, die eine mangelnde Sensibilität für den Einsatzort und das „Wesen von Parfum“ mit sich bringen. Ich rede mit Annick über ihre ersten Jahre in der Parfumwelt, in denen sie (ihre Worte!) „wahllos schwere orientalische Geschütze“ verwendete.
Ihre Vermieterin in Heidelberg kündigte ihr anno 1984 ihr Studentenzimmer wegen der „aufdringlichen, unanständigen Gerüche“, die sie im Hausflur wahrnahm. Meine Tante hatte „Habanita“ von Molinard getragen. Sagt mir nichts, aber ich kann mir genau vorstellen, was die Vermieterin gemeint hat.
Hey, übrigens. Vivaldi und Bach passen nicht zu Teatro alla Scala. Eher Bauchtanz. Fällt mir gerade ein, weil der Duft als „Orientale“ gilt.
Jean Kerleo: „Nun, wie immer dem auch sei, der Duft und auch das Parfum regen zum Träumen an. Sie provozieren Gefühle. Man kann sogar sagen, sie bewegen unsere Psyche. Sie lassen einen grauen Tag frühlicher erscheinen. Sie vervollständigen etwas in Ihnen. Aber sie sind vor allem dazu da, das Leben schöner zu machen. Ja, genau das ist es. Denn dort, wo es keine Düfte und keine Parfums gibt, gibt es auch keine Träume und damit keine Zukunft mehr.“
Jean Kerleo ist der Gründer der Osmotheque (Parfum-Museum!) und natürlich Parfumeur.
„Es gibt genug Gelegenheiten, zu träumen, Möglichkeiten, Düften nachzuspüren. Manche Menschen scheinen dafür eine besondere Begabung zu haben, die Schöpfer von Teatro alla Scala zum Beispiel. Da wird aus einem kleinen Ensemble von fünf, sechs Noten schnell ein Fest mit Belcanto und Chypre-Akkorden. Herrlich ungezähmt und trotzdem mit Überlegung dahinter.“
(Sagt meine Tante).
„Möchte jemand die Noten mitlesen? Ich habe Internet.“
Riechen. Eine der schönste "Hausaufgaben" überhaupt.
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