Perles de Lalique 2006

Davide
06.05.2020 - 09:45 Uhr
10
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
10
Duft

Sehnsucht

Ich bin dankbar für diese immer mal wieder konsumkritische und literaturschaffende Community und gerne auf der Suche nach Geschenken für besondere Menschen.

Danke an BonOdeur für die Probe! Ich bin auch froh, dass im Päckchen ein netter Obolus, Marbert Woman, dabei war. Das half mir, dieses Kunstwerk in seiner Traditionsline „Chypre“ zu verstehen. Es entspricht sofort einem Bild.

Gleich zum Duft. Die Kopfnote sagt spielerisch und unmissverständlich: du hättest mich wohl gerne, aber ich hol mir nur, was ich will. Beziehungsstatus: Privat. Die bulgarische Rose betont absolut ihre prallen roten Lippen, die reden, was die Herznote fühlt und denkt. Wozu Makeup! Sie trägt eine Aktentasche und wirkt stets und außerordentlich professionell. Sie ist Mitte 20 und da, wo sie hinwollte, nach einem schnellen Abschluss an internationalen Universitäten. Ob Shanghai oder UAE, weder die Souks, noch die Avancen der Scheichs konnten sie aufhalten. Sie läuft direkt die Treppe hoch, die Kameras folgen ihr (nicht umgekehrt) und auf das Rednerpult zu, wo sie sich lächelnd an die Gäste richtet mit „Welcome“. Das reicht. Alle lächeln zurück. Darin liegt die Basis für eine angenehme Unterhaltung. Die Männerherzen schlagen höher. Viel länger als bei Shalimar, Le Bain und Co, weil die Männer das nicht erwarten.

Angenommen, er wäre jemand Anderes, er wäre froh, sie nur ansprechen. Aber er ist er und stellt sich lieber vor, er teilt jeden Gedanken mit ihr, seit er sie ansprach und ihre Hand nahm.
Denn er wird sie immer so sehr unterstützen wie sie hinter ihm steht, wenn er vor seinen Saal tritt.

Auch wenn ich sonst gerne länger einen Duft beschreibe, hier nicht! Da ist mir etwas anderes wichtiger. Ich frage mich: Was wollt ihr Damen mit all den teuren Süßwaren? Nur Buben und Mädchen wollen naschen. Männer wollen für etwas scheinbar Unerreichbares kämpfen. Und Frauen wollen dasselbe. Es gibt keinen Grund, das aufzugeben. Holzige Düfte werden von Männern geliebt. Deshalb kaufen sie die ja. Und hier ist das Holzige so verpackt, dass es den Männern die Show stiehlt, auch die One Man Shows von Bogart und die Gehaltserhöhung bringt. Es geht bei diesem Kunstwerk nicht darum, ob das Männer tragen können, sondern darum, es sie gar nicht erst tragen zu lassen. Aneignung. Chancengleichheit. Subversion.

Hier ist Professionalität. Das scheint mir Nathalie Lorsons weibliches Pendant zu Encre Noire zu sein. Es hat das Zeug dazu, die Regeln zu verbessern, nach denen gespielt wird. Und das ist genauso Postmoderne. Weibliche Chefetage ohne Schulterpolster, dafür mit Tradition.

Hier gebe ich mit voller Überzeugung 10 von 10, denn dagegen ist orientalisch nur retro. „Welcome to the next level“ wie 6 Space von ILS auf guten Boxen oder Soldier of Love von Sade.

EDIT UND NACHTRAG EINES FASZINIERTEN:

Das wird jetzt polarisieren und ich werde provozieren, aber das ist es mir wert.
Ich befasse mich mein Leben lang schon mit Kunst und sehe in diesem Parfum ein Kunstwerk. Auf mich wirkt es ab der ersten Sekunde outstanding, also ganz groß, nur wenn ich sowas sage meine ich damit nicht "lieblich", oder "süß", sondern bemerkens- und bewundernswert gut. Das ist eine Note, diese bulgarische Rose, die einfach überzeugend attraktiv ist. Was Kunst aber leistet ist, durch ästhetische Erfahrungen tiefergehende Überlegungen in uns auszulösen, was eine solche Wirkung ausgelöst hat. Und zu diesen Bildern zählten eben sehr oft auch kulturell überlieferte Zerrbilder von "Weiblichkeit" oder "Männlichkeit". Hier werden wir herausgefordert, das Männer-Terrain "Holz" neu zu überdenken.

Die Note ist nichts, was es schonmal gab, sie geht völlig eigene Wege und ist in dieser Hinsicht richtungsweisend. Hier wurde auf eine äußerst subtile und schöne Weise eine traditionelle Grenze überschritten: Holz war seit Generationen (!) eine Domäne der Männer. Diese Rose steht in einem olfaktorischen Wald, der kulturgeschichtlich immer das Aus für das vermeintlich schwache Geschlecht bedeutete: Alle 'Rotkäppchen' unter den Frauen, die Angst vorm sogenannten bösen Wolf haben, werden leider wieder Blumen sammeln, aber die, welche sich in dieses Unterholz trauen, machen aus jedem Wolf einen zahmen Samojeden, aus einem Jäger einen Gefährten und aus sich ein starkes Geschlecht.
Können Frauen Frauen bleiben, während sie Männergebiet einnehmen?
Wer sich traut, die kulturgeschichtlich überlieferten und frauenfeindlichen Stereotype (Klischees) und Vorurteile fallen zu lassen, die wie die rote Kappe im Wald liegen bleiben könnten, wird das hier genießen. Wer aber Wert auf klassische Rollenbilder und darauf legt, sich den in der (Parfum)werbung geltenden Trends zu fügen, kriegt im sich vergrößernden Schatten seiner selbst Angst vor sich selbst, je dunkler es wird. Die Botschaft ist ganz klar: du kannst, wenn du dich traust, auch in diesem Wald die Nummer 1 sein.

Aber wen die panische Flucht vor "maskulinen" Noten antreibt, wird diese Chance verpassen, Männern ihre Domäne streitig zu machen. Ich weiß, dass Vanille und Tonka sympathischer machen, aber darum geht es hier ja nicht. Dieser Duft hat es nicht nötig, anderen zu gefallen, obwohl er süß ausklingt. Und von welchem Duft kann man sagen, dass er gleichzeitig auch subversiv ist?
Nathalie Lorson, die gerne mal Mut bewies und für mich große Kunst schuf, musste sich auch oft gegen Männer in der Parfumwelt behaupten und bei einem ihrer Openings in Dubai, als sie Black Opium vorstellte, arbeitete meine Herzdame. Sie hat, wie ich auch, ein Faible für Lorsons Kreationen. Auch die teuersten Chanels ersetzen kein Statement, wenn es darum geht, eins zu vertreten. Ich habe nie mehr von diesem Duft erwartet, als ein Geschenk für die in meinen Augen außergewöhnlichste Frau zu sein.

Und natürlich erzählte ich ihr weder den Namen des Parfums, noch der Erfinderin, als ich ihr die Probe gab. Sofort war sie davon angetan. Ich kann allen, die es testen, nur wünschen, sich schon im Voraus von Männlichkeits-/ Weiblichkeitsklischees zu trennen.
Hier ist das besser gelungen, als ich mir es ausgemalt habe. Und je weniger Frauen das tragen wollen/ können/ vielleicht auch müssen, weil es bei Ihnen gerade um Durchsetzungsfähigkeit geht, desto mehr wird Perles de Lalique ein Unikat. Den Geist, eine männliche Domäne unterwandert zu haben und daraus groß hervorzugehen, wird es auch ohne das notwendige Verständnis der Masse verströmen. Kunst eben.

Das wäre aber auch traurig, wenn das nur Wenigen vergönnt bliebe.

PS: Das war völlig subjektiv und darum auch mit Überzeugung geschrieben. Dennoch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass bei Perles de Lalique ganz objektiv Holz im Spiel ist und der Duft deshalb entweder gefällt, oder eben aneckt. Und das ist auch ganz objektiv gesehen tatsächlich außergewöhnlich. Und selbstverständlich sind nicht alle, die diesen Duft tragen revolutionär und die die ihn ablehnen, traditionell. Allerdings sollten jene, die ihn testen, wissen, dass er eine Kampfansage an alle Männer ist.
Ich kann mir also gut vorstellen, dass Frauen ihn so ablehnen können, wie ich Declaration d'un soir für mich mal mied, weil Rose darin ist und ich früher mehr Wert auf stereotype "Männlichkeit" gelegt habe.

Letztlich hat mich diese Community oft eines Besseren belehrt.
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