Axiomatic
27.05.2023 - 14:49 Uhr
34
Top Rezension
10
Preis
9
Flakon
5
Sillage
5
Haltbarkeit
9
Duft

Mensch vor Spiegel

Himmel, mein Ebenbild erscheint ja tatsächlich im Spiegel des Badezimmers!
Und das am frühen Morgen!
Gut, die Eckzähne sind doch nicht so lang, die Werwolf-Stoppeln umso schlimmer.
Und da hockt mir schon ein Teufelchen auf der linken Schulter.

T: Hey Axio, Hände weg vom Rasierer!
Los, fröne lieber Deinen Skorpionsgelüsten!

A: Hä? Was zum Teufel?
Weg da, ich sehe ja schlimm aus!

T: Ach Menschlein, wäre es nicht besser, das noch körperwarme Bett nochmal aufzusuchen?
Deine Stoppeln stören gewiss nur ein bisschen. Ich verspreche Dir Wildes!

A: Na klar, das verspricht auch die unerwünschte Werbepost der Hersteller blauer Pillen, mit welcher mein Briefkasten ständig und belästigend vollgestopft wird. Mein Nachbar hat sich auch schon beschwert.
So, Platz da, ich muss meinen Tag strukturieren!
Die Verpflichtungen rufen!

T: Schnuckelchen, ich versüße Dir die ach so verdammte Unordnung. Lass Dich treiben!
Ich bringe Dir auch unerlaubt Deftiges zum Frühstück ans Bett!

Plötzlich trifft mich ein opalingrüner Lichtstrahl ins Gesicht. Ein merkwürdig verdrehter Flakon mit schwarzer Kappe und weißer Weste läßt die Trompeten von Jericho erklingen.

T: Bei Dantes Inferno, was ist das? Nicht öffnen!

Doch ich bin fasziniert vom Glanz dieser grünen Flüssigkeit.
Nach dem Öffnen verströmt eine salbungsvolle Kräutermischung an Zitrusfrüchten ein Gefühl der klaren Reinheit und ein Engelchen setzt sich auf meine rechte Schulter.

E: Fürchte Dich nicht und lass Dir sagen, dass Dir Heilvolles bevorsteht!

A: Ähm, kann es sein, dass ich mich nur in Ruhe rasieren möchte?
Wird es jetzt eine Disputatio inter Pestes (Diskussion unter Plagegeistern) am frühen Morgen?

E: Wiedermal eine harte Nuss…
Axioleinchen, weiche nicht vom rechten Wege ab!
Ich verspreche Dir zarte Wolken mit Harfenklängen, sie werden Dich trösten ob der dunklen Seite!

Ich versuche beide Geschöpfe, so gut ich kann, zu ignorieren und mich beim Rasieren zu konzentrieren.
Schon beim Steifschlagen der Rasierseife fängt das Teufelchen an zu schluchzen, das Engelchen zu summen.
Eingepinselt dann die ersten gleitenden Streifzüge des Rasierers.
Tränen kullern auf der linken, Äuglein glänzen auf der rechten Seite.

Es ist vollbracht, meine Gesichtshaut ist nackter als nackt!

T: Du Narr, die schön verruchte Anzüglichkeit ist dahin!

E: Brav, mein Lieber, die Unschuld ist zurückgekehrt!

Und nun zur opalinen Pulle.
Hier muss ich sparsam hantieren und mit einem Finger die Öffnung halb zudecken.
(Lieber NotAmused, danke für den Tipp in Deiner Rezension!)

Klatsch!

Huuuhhh, das nenne ich ein Tonikum!
Leichtes Brennen beim Läutern der Haut läßt mich nach Luft schnappen.
Herrlich!

Die Eröffnung ist etwas konfus für ein paar Augenblicke.
Dumpf cremig, krautig und frisch.
Dann kommen die Zitrusfrüchte durch, aber gut untermalt von den restlichen Komponenten, allen voran der Melisse.

T: Meine Kräfte schwinden!

E: Laßt uns preisen…

Plötzlich kämpft sich eine frische und erquickende Rosskastanie durch, das Schwert gekonnt schwingend.
Meine Haut wird gut durchblutet und beruhigt.
Gelisteter Rosmarin sowie Salbei würzen dezent und schaffen einen warmen Kontrapunkt.
Es wird gemütlicher.
Ich erahne einen leisen Weißblüher samt einem Hauch Kümmel, denn wie durch ein Wunder lächelt eine verschmitzte Animalik mich an. Dazu noch eine Idee von cremigem Moschus.

E: Aber was passiert hier? So war es nicht geplant!

T: Ah, so ganz schlapp bin ich dann doch nicht!

Der Gesamteindruck des flüchtigen After Shaves wird gemütlich warm und pflegend. Die Basis lässt noch einen holzigen Ton vernehmen, alles gut strukturiert.
Hier habe ich es mit einer sehr ungewöhnlichen Schöpfung zu tun. Während sonstige Rasierwasser eher herb zitrisch und mit Lavendel nur so strotzen, bleibt das opaline Wunderwasser recht cremig und ruhig. Die geheimen Zutaten vermitteln mir verschiedenartige Farb- und Temperatureindrücke.
Mal erfrischend grün, mal wärmend orange.
Und die Rosskastanie ist äußert zugänglich, hat wenig von einer Durchblutungssalbe. Irgendeine Note hält sie gut in Schach, vielleicht die Melisse mit dem Moschus zusammen. Eisenkraut ist mit Sicherheit drin, aber das bleibt wohl ein ungelüftetes Geheimnis.

Im Bad wird es merklich still, die beiden Antagonisten beäugen sich etwas misstrauisch.
Dann ein Getuschel.

E: Also, wir haben uns geeinigt und wollen Dir als kleine Geste unserer Versöhnung die morgendliche Pflege etwas versüßen.
Ich hole schonmal meine Harfe, der Dunkle wird Dir dann was vorsingen.

Ich ahne Schlimmes, der Schlamassel klopft schon an meine Ohren.

T: Räusper, Maestro bitte!

Und dann…

T: Dominique -nique -nique
S'en allait tout simplement
Routier, pauvre et chantant
En tous chemins, en tous lieux
Il ne parle que du Bon Dieu
Il ne parle que du Bon Dieu

A: Moment mal, ausgerechnet Du singst mir jetzt was von einem Wanderprediger?
Tss, machst wohl auf Schrillheimer!

T: Nun ja, so ganz uneigennützig ist das Ganze ja nicht.
Du glaubst doch nicht im Ernst, dass ich der ollen Schwester des Lächelns den Text einfach so abnehme.
Nee, mein Teuerster, da steckt mehr zwischen den Zeilen!

Das Engelchen legt seine Harfe zur Seite und mahnt seinen Gegner zur Ruhe.

T: Ich sage nur dritte Person Singular Präsens im Französischen.

E: Halt ein!

T: Tja, und soll ich nun das entsprechende Verb konjugieren in der Anfangszeile?
Ich meine ja nur, schließlich wird hier was von nique nique gesungen…

E: Bei den Engelschören, willst Du vielleicht Deine Gosch halten!

Der Duft verfliegt, genau wie meine kostbare Zeit.

A: Also Jungs, ich lasse Euch mal gemütlich weiter diskutieren, meine Rasur habt Ihr dieses Mal auf recht skurrile Weise nachdenklich gestimmt.
Lieber höre ich mir jetzt von den Byrds „Turn! Turn! Turn!“ an. Vielleicht springt etwas Weisheit für mich dabei heraus.
Denn meine Zeit rinnt gerade nur so dahin.
Aber wer weiß, es wird wohl wieder die Zeit kommen, euch zu umarmen. Nun heißt es Abschied nehmen.

Zwei Augenpaare schauen mich verdutzt an.

A: Ach ja, nichts für ungut, aber laßt mich doch bitte Mensch sein mit all meinen Fehlern und die paar Tugenden.
Denn noch ist nicht aller Tage Abend, gelle?
Bis in drei Tagen wieder!

Bussi

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