Akkad 2012

Salander
26.07.2020 - 16:07 Uhr
74
Top Rezension
8
Flakon
9
Sillage
9
Haltbarkeit
9
Duft

Im Zweifel für den Zweifel

Was haben Roja Dove, Sylvaine Delacourte und Gilles Thévenin gemeinsam? Wer kennt die Antwort? Richtig, Guerlain. Das Traditionshaus beschäftigt die talentiertesten Parfümeure und Kaufleute, von denen einige später den Weg in die Selbständigkeit einschlagen. Roja Dove und Sylvaine Delacourte bringen unter ihren eigenen Namen heute Parfüm auf den Markt, nicht so Gilles Thévenin. Zu ihm aber gleich noch mehr, lasst uns zunächst eine kleine Zeitreise unternehmen.

Wir befinden uns im 18. Jahrhundert in Frankreich. Pierre-François Lubin ist erst 10 Jahre alt und wohnt mit seinen Eltern unweit des Pariser Atelier von Jean-Louis Fargeon, bei dem er gerade eine Lehre beginnt. Der berühmte Parfümeur weckt die Liebe von Pierre-François bereits im Kindesalter für Duftessenzen. Der Junge Lubin ist 18, als er seinen Patron und damit auch die von der Revolution aufgewühlte Hauptstadt verlässt. In Grasse bildet er sich weiter, bei Tombarelli lernt er die „italienische Methode“ kennen. Als sich langsam die politischen Wogen glätten, kehrt er nach Paris zurück und vervollständigt sein Wissen bei seinem alten Mäzen. Lubin wird nicht nur zu einem hervorragenden Parfümeur, sondern auch zu einem äußerst geschickten Geschäftsmann. Er eröffnet seinen ersten Maison namens "Au Bouquet de Roses" in Paris. Lubin expandiert und exportiert seine Kreationen - als erstes Dufthaus überhaupt - nach Amerika. Zu seiner Klientel gehören unter anderem Kaiserin Joséphine, - die Gemahlin von Napoleon - der englische König George IV. und Zar Alexander I. Ruhm, Ehre und Vermögen pflasterten seinen Lebensweg. Nur eines wird ihm nicht vergönnt, es gibt keinen männlichen Erben, niemanden, der aus der Familie seine Manufaktur übernimmt.

Felix Prot, sein ehemaliger Lehrling und treuer Mitarbeiter, führt die Geschäfte weiter. Lubin wird zu einem erfolgreichen und unter mehreren Generationen von Familie Plot professionell geführten Unternehmen. Was dann Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts folgt, klingt zunächst einmal äußerst verheißungsvoll. Große Konzerne kaufen die Duftmanufaktur, aber weder bei Henkel, noch beim 4711 Fabrikanten Muehlens oder bei Wella wird Lubin ein Hit. Die Marke führt ein Schattendasein, geht zwischen den vielen Beautyprodukten kläglich unter.

Die Rettung naht 2004, als Gilles Thévenin, der bis dato der Kreativdirektor bei Guerlain und Marketingchef von Rochas war, einen folgenreichen Entschluss fasst. Er geht dabei im wortwörtlichen Sinne bis an die äußerste Grenze seiner Komfortzone und sogar darüber hinaus. Er verkauft sein gesamtes Hab und Gut. Über sein repräsentatives Haus, über seine Autos, seine Antiquitäten freuen sich bald neue Besitzer. Mit seinen eigenen Worten beschreibt er diese Zeit wie folgt: „Meine Großmutter hat geweint. Mit 45 war ich dann allein in einem Zimmer, einem ehemaligen Dienstbotenquartier. Aber ich war glücklich. Es war fast wie Heiraten. Ich wusste, ich werde mich dieser Firma widmen. Ich will die Qualitätsparfümerie am Leben halten".

Zu Beginn arbeitet er hauptsächlich mit zwei bekannten „Nasen“ zusammen, mit Delphine Thierry und mit Thomas Fontaine. Thomas ist der Architekt und auch der Indiana Jones der Düfte. Er baut seine Kreationen systematisch zusammen, Duftbaustein um Duftbaustein und errichtet so „Kathedralen“. Er ist auch der Meister der Reformulierungen. Delphine Thierry geht ganz anders vor, sie ist die Poetin unter den Parfümeuren, vermittelt Gefühle, Stimmungen, erzählt Geschichten. Sie ist auch die Schöpferin von Akkad.

In vielen Kommentaren und auf der Internetseite von Lubin steht, dass Akkad in Anlehnung an den mesopotamischen Herrscher von Akkad - Sargon - entstanden ist. „Die Essenz von Akkad ist das Geschenk der schönen Ischtar, die mich liebte und beschützte. Sie enthält die wertvollsten Salben von Pound und der Inseln des großen Meeres und derer, die noch viel weiter entfernt liegen. Dieses Ambra ist wie das Licht, das mein Königreich erhellt, der wertvollste Schatz meines Reiches“. (Zitat www.lubin.eu). Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Die erste Inspiration für Akkad stammt aus der Provance, wo Delphine Thierry seit ein paar Jahren mit ihrer Familie lebt. Von ihrem Haus in einem kleinen Dorf führt ein Steinweg zum Fluss. Als sie an einem Sommertag auf genauso diesem Pfad entlang lief, dachte sie darüber nach, dass Steine durchaus einen subtilen Geruch haben. Sie genoss den Duft der Gewürze wie Thymian, Oregano und auch den der Zistrosen. Diese „leuchtende Gegend“, die verschwitzte Haut, ein Bad im Fluss am Ende eines heißen Augusttages, das ausgelassene und glückliche Gefühl, Sinnlichkeit, die heruntergehende Sonne waren die wahren emotionalen Quellen für Akkad. Die Fantasiewelten um den späteren Duft herum ließ Gilles Thévenin entstehen. Er begleitet jede Duftentwicklung, die gut und gerne ein Jahr dauert, bis die Kreation ausbalanciert ist und mit Namen, Flakon und Geschichte harmoniert.

Bitte verzeiht mir die lange Einführung. Mich faszinieren die Menschen hinter den Kulissen häufig genauso, wie ihre Kompositionen und ich finde deren Inspirationen anregend.

Thévenin gefiel schon die erste Duftkreation von Delphine Thierry sehr. Die Verbindung zwischen Sonne, Natur, Stein und Sinnlichkeit sprach ihn an. Und in der Tat, die flüchtige Schönheit der Kopfnote trägt die Sonne im Herzen. Diese leichtfüßige, zugewandte Art, die minimale Zitrik, die frischen Kräuter und das warme, sinnliche, leicht menschelnde Labdanum erobern auch mich im Sturm.

Das Mineralische erahnt man direkt. Diese Richtung assoziiert Gilles Thévenin mit einem Tempel. Auf seiner Anregung hin wurde im Duft der Weihrauch-Anteil erhöht, damit der heilige Aspekt ebenfalls betont wird. Durch balsamische Noten wie Harze, Styrax und Benzoe und auch durch Amber wird Akkad später „körperlich fühlbar“.

Die Pyramide lässt einen Dunklen Duft vermuten und spricht mich ehrlich gesagt überhaupt nicht an. Ich war völlig überrascht, dass obwohl Akkad „Noire“ daher kommt, der Duft erstaunlich hell glänzt. Diese Ambivalenz kommt nah an die Quadratur des Kreises heran und lässt erahnen, welch ein außergewöhnliches Talent Delphine Thierry besitzt.

An dieser Stelle würde ich in anderen Kommentaren darüber schreiben, dass Liebhaber von Weihrauchdüften unbedingt testen müssen. Dass alle, die NU von Yves Saint Laurent und Coco oder Coco Noire lieben, sich direkt in den Souk begeben und sich schnellstmöglich eine Abfüllung anschaffen sollten. Das tue ich aber nicht. Denn Akkad ist Nischenparfüm im besten Sinne des Wortes, Handwerk der großen Emotionen. Jeder sollte irgendwann in den Genuss von ihm kommen, denn nur wenige Düfte besitzen so viel Persönlichkeit und solch eine natürliche Aura wie dieses Parfüm. Dass Akkad nicht jeder tragen kann, ist dabei nicht ausschlaggebend.

Mein Fazit: Erforsche gelegentlich die Grenzen deiner Komfortzone, denn dort fängt das Abenteuer an. Und teste auch gegen deine Vorlieben. Im Zweifel für den Zweifel.

Quellen: "Das Duftkontor für aufregende Herren" - Die Zeit // "Düfte wie Kathedralen" - Handelszeitung // "Die Duft-Renaissance" - Manager Magazin // "Der Exzentriker der Düfte" - GEO // www.lubin.eu // Wikipedia
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