Cuir de Russie 1900

Ergoproxy
12.01.2021 - 05:37 Uhr
30
Top Rezension

Eine alte Fotografie in sepia

Auch wenn ich keine Vintage-Düfte sammle, so finde ich es immer wieder spannend und vor allem lehrreicht Düfte von früher zu testen. Besonders wenn diese Düfte wie im vorliegenden Fall wohl schon länger nicht mehr hergestellt werden.

Ich finde es offen gestanden schwierig solch in die Jahre gekommenen Schätze zu bewerten, auch wenn sie, wie im vorliegenden Fall, zwar nicht gekippt, aber eben auch nicht mehr taufrisch sind.
Nun ist es nicht so, dass mir das Verständnis für eine derartige Parfümerie fehlt. Ich werfe immer einen Blick auf gesellschaftliche und politische Tendenzen der jeweiligen Entstehungszeit, da diese Faktoren immer einen gewissen Einfluss auf Kunst, Architektur, Mode und somit auch auf den Geschmack der damaligen Kunden hatten.

In der mir von der lieben Gandix zugesendeten Miniatur ist noch gut ein Drittel des Duftes vorhanden. Die Flüssigkeit ist im Gegensatz zum oben abgebildeten Flakon um einiges dunkler, was wohl dem Alter aber auch den Inhaltsstoffen geschuldet sein mag. Die mittlerweile ölige Flüssigkeit mutet dunkel und rötlich braun an und hinterlässt auf der Haut, selbst nach dem Trocknen, einen Fleck.

Umso überraschter war ich, dass der Duft nicht gekippt ist! Gut, die Kopfnote ist nicht mehr vorhanden, dass käme nach dem offensichtlichen Alter der Miniatur auch einem Wunder gleich, aber Teile der Herznoten und vor allem die Basis ist intakt geblieben.

Nun möchte ich zum heiteren Duftnotenraten kommen, denn eine Pyramide existiert leider nicht mehr.

Die liebe Gandix hat in ihrem Statement erwähnt, dass es sich ihrer Meinung nach um ein Damenleder handelt. Aus Sicht der klassischen Parfümerie hat sie da mit Sicherheit recht.

Was ich zuerst nach dem Auftragen des Duftes erkennen kann sind holzig-harzige Noten, ohne das einen nennenswerte Süße aufkommt.

Nach ca. 10 Minuten kann ich die für diesen Dufttyp unerlässliche Birkenteer-Note erkennen. Jedoch ist diese Note sehr weich und nicht brachial in die Gesamtkomposition eingebunden. Zudem bilde ich mir ein, eine gewisse herb-florale Komponente im Hintergrund zu erahnen.

Die Birkenteer-Note hält sich dann bis zum Ausklang des Duftes. Zudem bekommt das Ganze dann noch ein zart animalisches Moschus-Timbre, wie es gerne in der klassischen Damenparfümerie früher zu finden war.

Würde man dieses Russisch Leder mit einer der ausgewiesenen Herrenvarianten vergleichen, so könnte man wohl zum Eindruck gelangen, dass dieser Duft durch seine weichere Ledernote etwas femininer wirkt. Jedoch aus heutiger Sicht könnte der auch, wie viele Vintage-Damenparfums, locker im Herrensegment einer Kosmetikmarke angeboten werden. Wobei er dann wohl noch auf die aktuellen Duftgewohnheiten der Masse angepasst werden müsste.

Diesen nostalgischen Duft zu testen ist für mich wie alte Schwarzweiß-Fotografien zu betrachten, die mit der Zeit durch den Alterungsprozess dies gewisse Sepia-Optik bekommen haben. So wie die Bilder, hat Cuir de Russie durch den Alterungsprozess einen Sepia-Eindruck erhalten.

Liebe Gandix, vielen Dank für das Erweitern meines Dufthorizontes.
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