Kismet 2016

Version von 2016
Sniffsniff
18.11.2020 - 15:21 Uhr
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Top Rezension

Es ist ja, wie es ist.

Mein weltreligiöses Halbwissen zwang mich, vor dem Verfassen dieses Kommentars das große G zu bemühen.
Nun gut.
Kismet ist also in ganz groben Zügen das arabische Äquivalent zu unserer norddeutschen Geistesgrundhaltung: „Es ist ja, wie es ist.“
Nur dass wir Norddeutschen die vollendeten Tatsachen, vor die wir allenthalben gestellt werden, zumeist dem Zufall zuschreiben, während "Kismet" hier etwas gänzlich anderes, nämlich das unumwindbare, göttlich prädestinierte Schicksal, meint.
Oha.
Da wagt man sich namenstechnisch im Hause Lubin ganz schön weit aus der Deckung. Ein großes Konzept, das da Pate stand. Entsprechend hoch schrauben sich auch meine Erwartungen. Denn Lubin und ich - das funktioniert überdurchschnittlich oft überdurchschnittlich gut.
Ich schätze die Düfte des Hauses vor allem aufgrund ihrer natürlichen, hochwertigen Anmutung und ihrer Tragbarkeit. Sie schreien nicht laut vulgäres Zeug, während sie dir ihre Aromachemikalien durch die Synapsen dreschen - das ist nicht ihre Art. Sie sind vielmehr hochkomplex, fein komponiert und dabei so zurückhaltend, dass sie eine wahre Wohltat für meine geschundene Nase in der lauten Welt des olfaktorischen Wettrüstens bedeuten. Viele Lubin-Düfte sind sehr haltbar, projizieren aber eher dezent.
Womit wir dann auch bei der äußert eleganten Überleitung zu Kismet angekommen wären. Kismet projiziert mindestens so stark wie die Harzer Käse, die mein Vater gelegentlich zum Zwecke des intensiven Nachreifens in einem unserer Küchenoberschränke deponierte. Wehe dem, der versehentlich die Schranktür öffnete.
Ein Sprüher Kismet auf meinem Handrücken schaffte es, - wohlgemerkt zwei Stunden nach dem Aufsprühen - im örtlichen Edeka von der Kassiererin meines Vertrauens durch die Maske wahrgenommen zu werden.
„Heute riechst du aber blumig.“
Ja. Genau. Und da beginnt meine Misere. Blumen. Tonnenweise. Rosen. Skrupellose Rosen. Rosen, die keine Gnade kennen. Der Duft beginnt ganz harmlos mit einer wirklich schönen Bergamotte. Lubin-typisch absolut natürlich. Kalabrischer Sommer - und ich mittendrin.
Doch dieser Moment des Glücks soll ein flüchtiger bleiben, denn es dauert nicht lange und die Rose drängt sich feist ins Bild. Mittlerweile habe ich mich während meiner Duftreise mit einigen Blütendüften anfreunden können, aber diese Rose triezt mich unentwegt. Sie sticht.
Nicht ins Fleisch, aber direkt in die Nase und in mein Kopfschmerzzentrum.
Aha.
Und sie hat dabei einen nicht minder hinterhältigen Verbündeten.
Patchouli steht der perfiden Dornenblüte zur Seite und schmiedet fleißig Ränke, um mir Kismet vollends zu verleiden.
Während ich rieche, analysiere, grübele, mich ärgere, wird Kismet immer pudriger. Ich kann kaum einzelne Nuancen ausmachen, der Duft als Ganzes flirrt in meinem Kopf, er oszilliert. Ich fühle mich bedrängt, eingeengt. Kismet ist omnipräsent. Ich kann mich nicht mehr konzentrieren. Und wieder ärgere ich mich. Nein, er ist definitiv nicht schlecht. Ein absolut gut gemachter und qualitativ extrem hochwertiger Duft. Und ich würde vermutlich genussvoll tief einatmen und anerkennend nicken, wenn ich einem Menschen begegnete, der Kismet trägt.
Aber ich werfe die Flinte ins Korn, streiche die Segel und hisse die weiße Flagge. Kismet ist mir zu viel, zu dicht, zu rosig, zu pudrig. Zumindest an mir.
Ein wenig enttäuscht bin ich schon, denn ich hatte mich nach all den schönen Lubins, die ich in den letzten Monaten kennenlernen durfte, sehr auf Kismet gefreut.
Und um das Ganze hier nicht als Trauerspiel in einem Akt enden zu lassen:
Wer Rose und Patchouli liebt, bekommt mit Kismet einen wunderschönen Duft, der qualitativ absolut über den Dingen steht. Kann man nicht anders sagen. Es ist ja, wie es ist.
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