Death & Decay (Perfume) von Lush / Cosmetics To Go

Death & Decay 2014 Perfume

HeavyAlice
08.08.2024 - 16:04 Uhr
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Hollywood ist untot

Meine erste Wohnung, in die ich mit zarten 19 Jahren gezogen bin, war im Sommer der höllischste Hochofen, den man sich nur vorstellen konnte. Meine ,,kleine Puppenstube", wie ich sie liebevoll nannte lag in einem alten Wohnhaus (also nicht schön-alt im Sinne von Altbau sondern wirklich nur alt) direkt unter einem alten, knarzigen Holzdach. Die Wände meiner kleinen Küche waren dunkelrot gestrichen und wenn die gleißenden Sonnenstrahlen auf das Fenster der Dachschräge trafen, war es als würde das Glas schmelzen und mich jeden Moment in dicken Rauch aus Feuer und Schwefel hüllen.

Ich wohnte nicht in der besten Gegend (was normal ist, wenn du grade mal aus dem Teenageralter raus, noch keinen Job hast und deiner kränklichen Mutter nicht den letzten Cent aus dem Ärmel leiern willst) aber mir gefiel sie trotzdem. Abgesehen von der Hitze liebte ich es, wenn die Abendsonne durch meine Fenster schien und ihre rot glühenden Muster an die schlecht gestrichenen Tapeten zeichnete. Ich liebte die kleinen Vögel, die morgens oder auch frühabends in der Regenrinne unterm Dach saßen oder badeten. Ich liebte den Netto, der von der Einrichtung her in den 90ern hängen geblieben war, wo das junge Personal immer überlastet war, das Gemüse immer schlecht und wo du abends gegen 18 Uhr blöd angeschaut wurdest, wenn du keine Flasche Korn aufs Band gelegt hast. Ich liebte den kleinen, blühenden Kastanienpark, durch den ich jeden Tag ging und in dem sich Obdachlose, Trinker, Punks und Bewohner des Hospiz gegenseitig die Hand reichten und über das Leben philosophierten. Ich liebte die Erdnusschokolade vom REWE und ich mochte meine türkische Nachbarin, die durch ihren westlichen Lebensstil von der Familie verstoßen wurde und dann in einem Jazzmusiker ihr Glück gefunden hatte. Ich liebte es im Sommer mit meinen ausgelatschten Sneakers durch die Straßen meines Viertels zu ziehen und mir nach einem langen Tag noch eine Pizza oder eine Schale Erdbeeren zu gönnen, die ich zuhause verspeiste.

Ich liebte es, in die Stadt zu gehen, die nur fünf Minuten von mir entfernt war, auch wenn ich immer pleite war und nie große Sprünge machen konnte. Ich liebte den Geruch des Waschsalons, in den ich jede zweite Woche ging und in dem ich auch mal bis spätabends meine Stephen King-Romane las, solange bis die Wäsche endlich durch war. Und ich liebte es, Mittwochabend pünktlich um 20:15 vor Tele5 zu sitzen und mir mit einer eiskalten Dose Coke in der Hand schlechte B-Movie-Horrorfilme anzusehen.

Brennende Mülltonnen, ständig die Polizei vor den Häusern, meine schnarchende und ziemlich nervige Nachbarin von nebenan, die einen mit Vorliebe Sonntagmorgens um 6 Uhr aus dem Schlaf klingelte und fragte, ob man noch sowas wie Schokolade daheim hätte.

War es immer einfach?

Oh nein. Es waren ziemlich harte Jahre, aus Gründen die ich genannt und die ich nicht genannt hab und auch nicht nennen werde. Ich sage nur soviel; ich strauchelte sehr stark auf meinem Weg zum Erwachsenwerden und wenn ich ehrlich bin, bin ich es immer noch nicht wirklich. Und ich werde es vermutlich niemals sein.

Aber diese Jahre bergen gleichzeitig soviele schöne Erinnerungen, das ich mich weigere sie zu verteufeln. Denn für mich besteht einer der vielen Sinne des Lebens darin, alles Schlechte was mir passiert ist in etwas Gutes zu verwandeln und als Herausforderung des Wachstums zu sehen.

Eine meiner schönsten Erinnerungen lässt mich zurück in das Jahr 2015 reisen; der Sommer des ,,God Of Thunder", den ich nach dem gleichnamigen Lied von KISS benannte.

Ich und meine beste Freundin bereiten uns in meiner Wohnung auf unser erstes, größeres Konzert in Dresden vor; sechs Bands, eine Nacht im billigsten Motel das wir als frischgebackene Abiturientin und Freizeit-Autorin bekommen konnten, eine dreistündige Fahrt mit dem Flixbus, damals als das Leben noch bezahlbar war.

Wir waren aufgeregt wie ein frisch benusstes Eichhörnchen; machten uns in meinem engen Badezimmer mit den pissgelben Kacheln, in dem man sich grade mal umdrehen konnte, zurecht. Ich trug ein geblümtes Kleid unter meiner schwarzen Lederjacke, ein Kontrast der mir nicht gefiel, doch alles andere war in der Wäsche. Meine Haare flogen wie ein ungezähmter, roter Wattebausch um meinen Schädel, während die meiner besten Freundin in perfekten Locken den Rücken hinabfielen (ach ja wir kennen das alle...:D). Sie und ich, wir waren an diesem Abend kurz vor unserer großen Tour nicht mehr die kleine Abiturientin und die erfolglose Autorin.

Wir waren Thelma & Louise, hungrig nach Freiheit, hungrig nach flutenden Stadtlichtern und hungrig nach dem großen Abenteuer, auf das wir hinfieberten.

Ich stand ein wenig ratlos vor meinem Billigspiegel; ich war geschminkt, frisiert...frustriert, denn ich besaß anders als heute kein Parfumregal. Und ich wollte zu meinem ersten richtig großen Konzert mit meiner besten Hälfte noch toll riechen! Es sollte ein Duft sein, der mich an genau diesen Abend, genau diese Stimmung erinnerte und einfing...

In diesem Moment sagte meine beste Freundin ,,Boah, wir beide fahren nur nach Dresden, aber ich fühl mich fast als wären wir auf einem Trip nach Hollywood..."

Und da traf es mich aus dem Nichts. Ich grapschte an ihr vorbei in mein Krimskrams-Körbchen und fand sie; die Parfumprobe von LUSH die mir die nette Verkäuferin damals mitgegeben hatte!

Ich gab mich nicht damit zufrieden mir ein Tröpfchen an die Kehle zu tun und es sanft mit dem Zeigefinger dort zu verteilen wo ich geküsst werden wollte; denn erstens wollte ich nicht geküsst werden und zweitens...Goth Girls müssen duften (so dachte ich damals) unzwar meilenweit!

Meine beste Freundin, die eher Typ ,,Frisch-cremig-Nivea" ist hustete damals und rettete sich in die Küche. Als ich sie fragend ansah, zuckte sie mit den Schultern und grinste.

,,Zur Band passt es allemal, hast schon Recht!"

Death & Decay.

Denn dieser Abend sollte zum Sterben schön werden.

In dieser Nacht sollten die Dämonen in uns tanzen.

In dieser Nacht wollten wir ewig leben.

Und in dieser einen Nacht war Hollywood für mich untot, statt unerreichbar.
4 Antworten
UngenauUngenau vor 17 Tagen
Mitreißend und wunderschön geschrieben.
Sollte mir der Duft mal unter die Nase kommen, werde ich vermutlich das Gefühl haben, ihn schon zu kennen:)
HerbstblondHerbstblond vor 5 Monaten
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Wow. Du solltest nicht nur Hobbyautorin sein. Als wäre ich dabei gewesen. Manche haben ein Talent, Stimmungen fragil in Worte zu fassen, ich musste an meine eigene Jugend denken, kurze Zeitreise, so viele Gedanken, ich bin jetzt irgendwie aufgewühlt, aber positiv. Und nachdenklich. Bitte schreib. Du hast das Talent nämlich.
HeavyAliceHeavyAlice vor 5 Monaten
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Danke schön :) Bin leidenschaftliche Autorin und Fanfiction-Schreiberin. Heuer grade bei einem Verlag an und hoffe das es klappt :)
RamsauerinRamsauerin vor 11 Monaten
Toll - das passt! Sehr schöner Kommentar 🥀