Truth or Dare 2012

Esclarmonde
12.01.2013 - 17:33 Uhr
56
Top Rezension
5
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

Ein Wunder, ein Skandal!

Ein gut sortierter Kleiderschrank gibt uns diverse Möglichkeiten, bietet uns viele kleine Justierschräubchen, um an unserem Outfit herum zu optimieren: lieber diese Sonnenbrille zu dieser Tasche, das sieht sonst zu protzig aus… Lieber das hochgeschnittene Kleid, dafür aber gerne die Creolen… Lieber lange Ärmel, zu dem kurzen Rock… Naja, die meisten werden das ja kennen, man möchte sich schön fühlen, aber nicht angeglotzt oder abschätzig beäugt werden. Meistens möchte man im Alltag ja einerseits gut aussehen, andererseits aber nicht zu sehr auf den Putz hauen. Und oft muss man sich auch der Umgebung an- oder sich in die Situation einpassen: am Arbeitsplatz, auf einer Hochzeit, auf einer Tagung…

So stehen wir da also und justieren. Machen Kompromisse, zügeln uns vielleicht auch mal.

Aber! Es gibt ja auch Tage, an denen die Welt uns gehört!!! Da sind wir die Geburtstagskinder oder die, die Urlaub haben und die Stadt bummelnd erobern, die gackernd mit FreundInnen im Lieblingscafe sitzen, die die bestandene Prüfung feiern, die alle Wünsche frei und die Taschen voller Geld haben…

Zu solchen Tagen passt für mich Truth or Dare: Tage, an denen uns Fremde anlächeln, weil sie sehen, dass es uns gut geht, weil wir leuchten. Tage, an denen wir eine unsichtbare Krone tragen. An denen wir keinen MP3-Player brauchen, um Musik in den Ohren zu haben. Tage, an denen wir auf das, was wir normalerweise bleiben lassen oder worüber wir uns vor dem Kleiderschrank Kopfzerbrechen bereiten würden, einfach pfeifen. Wir laufen die Straße hinunter und spüren die Blicke derer, die sich umdrehen, sehen in die Gesichter der Leute, die uns anlächeln, und ignorieren die manchmal giftigen Blicke mancher, die sich zu denken scheinen „Hat sie jetzt echt zu dem Kleid noch solche Ohrringe… Und dann diesen Duft…?“ Und wir antworten in Gedanken „Ja! Hat sie!“ Und fügen hinzu „Weil sie`s kann! Wuahuahua!“ Weils uns an diesen leuchtenden Tagen wurscht sein darf. Weil der Tag uns gehört. Weil wir heute KönigInnen sind. Weil wir uns heute nirgends einpassen müssen.

Truth or Dare ist wie der Eisbecher mit vier Kugeln Lieblingssorten, auf den wir uns schön Sahne sprühen, mit bunten Herzchenstreuseln, und auf den wir dann noch frech grinsend eine fette Amarenakirsche obendrauf drücken und uns dazu das Gesicht unseres Fitnesstrainers vorstellen.

Dieser Duft hat es schwer. Weil er als Promiduft und dann noch als Madonnas Kind auf die Welt kam. Drum wird er zum einen manchmal als Promidüftchen abgetan, zum anderen begegnen ihm manche auch aus Antipathie Madonna gegenüber mit abschätziger Haltung. In einem Interview mit der Künstlerin habe ich gelesen, dass sie mit dem Duft das Parfum ihrer früh verstorbenen Mutter einfangen wollte. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich um Robert Piguets Fracas aus dem Jahr 1948 gehandelt haben mag? Ist aber nur eine Vermutung, die darauf beruht, dass Madonnas Parfum Fracas wirklich außerordentlich ähnelt, wenn Madonnas Duft auch keine so reiche Komposition wie Fracas aufweisen kann. Apropos Komposition: Truth or Dare bleibt auf meiner Haut nach einer gewissen Zeit (ca. 30 Min.) relativ konstant im Charakter, verändert sich dann nur noch dadurch, dass er sanfter und leiser wird. Ein komplexer Verlauf darf hier also nicht unbedingt erwartet werden.

Tuberose also. Ja, aber hier wurde wirklich vor allem die Süße, die beinahe narkotische Süße der Nachthyazinthe eingefangen. Kombiniert wird sie mit weiteren schweren Weißblühern: Gardenie, Jasmin, Neroli, Lilie. Wirklich ein Duft für Königinnen der Nacht! Dazu noch süßer, lieblicher Amber, der eine weiche, anmutige Tiefe mitbringt, Vanille und mein geliebtes Benzoin, das irgendwie schon beinahe lecker duftet, auf jeden Fall will man nicht mehr aufhören, daran zu riechen.

Dieser Duft hat es also schwer – und er ist selbst auch schwer. Aber dabei so unheimlich positiv, wie Freude zum Aufsprühen! Das Spiel Mut oder Wahrheit, nach dem Madonna ihr Parfum benannt hat, ist eigentlich eine Mogelpackung. Im englischen wird ja eine Entscheidungsmöglichkeit zwischen Wahrheit ODER Wagnis suggeriert. Diese Wahlmöglichkeit besteht aber eigentlich gar nicht: wer Wahrheit wählt und damit etwas von sich preis gibt wagt genauso viel wie der, der Mut wählt und eine Unternehmung nach Gusto der Mitspieler wagen muss. Auch wer diesen Duft trägt, muss Mut haben, muss etwas wagen, denn mit leise, angepasst, unauffällig ist es dann vorbei! Der Duft ist ein Statement. Ein sehr haltbares übrigens, mit raumfüllender Sillage.

Truth or Dare duftet außerdem auch verrucht. Ich finde den Duft sehr weiblich, aber auch Mann soll ja tragen, wonach er sich fühlt. Auf jeden Fall finde ich ihn sehr lecker und sexy. Im Forum hat mal jemand die Frage gestellt, welchen Duft wir uns an Vampiren vorstellen könnten. Als eifrige Rezipientin von True Blood muss ich sagen: eindeutig Truth or Dare! Diese schweren, süßen weißen Blüten, so stelle ich mir den Duft der heißen Nächte im amerikanischen Süden vor. Dazu diese verruchte Note… Wollte ich Vampire anlocken wäre dies der Duft meiner Wahl, er hat definitiv etwas von einem Lockstoff.

Gilbert Bécaud hat einmal über seine erste Begegnung mit Brigitte Bardot gesagt: „Dann sah ich, wie Brigitte auf dem Set eintraf… da kam eine Sirene oder, ich weiß nicht, ein Wunder, ein Skandal, eine verlockende Torte, ein Leckerbissen, sie war einfach grandios.“

So fühle ich mich mit Truth or Dare – an diesen ganz besonderen Tagen des Jahres.
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