724 2022 Eau de Parfum

Parma
24.09.2022 - 02:57 Uhr
35
Top Rezension
7
Flakon
7
Sillage
9
Haltbarkeit
8
Duft

Marketing und Interpretationsmöglichkeiten

Dieser Duft soll eine olfaktorische 24/7-Wardrobe sein für das harmonische Leben im Einklang mit der Großstadt. Die Marke will ihn als die Essenz vieler Mega-Citys (aber vor allem New Yorks) verstanden wissen, in denen das Leben 24 Stunden, 7 Tage die Woche pulsiert. Sie wollen über einzelne Duftbestandteile dazu passende, charakteristische Stimmungen beschreiben. Da ist v.a. die saubere, metallene, leicht seifig-prickelnde Klarheit der Aldehyde (null altbacken oder stechend!), die an den Geruch New Yorker Waschsalons und Reinigungen erinnern soll. Da sind die lieblichen, leicht süßen Blumennoten mit Jasmin im Zentrum, die die unbeschwerte Leichtigkeit und das anregende Gefühl beim Bewegen durch solch eine Großstadt vermitteln sollen. Und da ist ein Moschusakkord, der alles in eine beschützende Wohlfühlathmosphäre taucht. Mal abgesehen davon, dass diese Bilder natürlich nur einen begrenzten Ausschnitt zeigen (können) und zudem ausnahmslos positiv besetzt sind, verbinde ich solche Eindrücke (sauber, unbeschwert, beschützt) nicht unbedingt mit einer Großstadt. Beim ersten Kennenlernen hatte ich auch keine diesbezüglichen Assoziation und beim späteren Tragen ebenfalls nie das Gefühl, dass der Duft diese Werbebilder ausfüllen kann – auch wenn die olfaktorischen Beschreibungen der Marke sehr zutreffend sind. Dafür ist er viel zu sanft, zurückhaltend und eindimensional. Lediglich das erste Bild kann ich mit etwas Phantasie nachvollziehen, denn für mich ist es ein lieblichblumiger, leicht seifiger, frische Wäsche-Duft, in dem noch der metallische Nachhall des Bügelns hängt. Einer mit dem man immer und überall angenehm beduftet ist. Insofern hat er tatsächlich etwas sehr „Universelles“ an sich (der Geruch von frischer Wäsche ist wahrscheinlich überall recht ähnlich und überwiegend positiv besetzt – denke ich mal) und die 7/24-Beduftung erscheint mir damit als einziges der Marketingversprechen treffend und erfüllbar.

Das klingt ja nun nicht besonders und findet in vielen Meinungen und Einschätzungen so auch seinen Widerhall. Was ihn für mich allerdings interessant macht und absetzt von anderen frische Wäsche-Düften, ist dieser kühle (nicht glatte!) metallische Akkord. Er ist der Kniff, der ihn zumindest leicht besonders und - um im Marketingbild zu bleiben - „urban“ macht. Dabei wirkt er keinesfalls steril oder leblos in seiner leicht diffusen Textur. Dafür sorgen v.a. die liebreizenden, leicht süßlichen Blumen, die bis zum Ende gut wahrnehmbar sind. Er erhält durch die kühle, metallene Facette nur eine gesunde Distanz zu allem. Er ist unschuldig, aber nicht naiv. Er ist charmant, aber biedert sich nicht an. Er ist lieblich, ohne süß zu sein. Und er ist verspielt, ohne die Verantwortung beiseite zu schieben. Er ist in meinen Augen eine wunderbar optimistisch entspannte, erwachsene, auskomponierte Balance, die vieles andeutet, ohne es schlussendlich auszusprechen. Die metallene Note ist dabei so gut getroffen, dass ich mich an den - in meinen Augen - überzeugendsten kühl-"urbanen" und ebenfalls gleichzeitig sehr anziehenden Duft, nämlich Donna Karans ‚DKNY Men‘ von 2009, erinnert fühle. Ihn durchzieht eine ähnlich silberne, aber nie abweisende Cleanness.

Aufgrund des beschriebenen Dufteindrucks sehe ich die Blumentöne, den Moschus und die Aldehyde als duftbestimmend und einander gleichwertig an (eine Zitrik ist nur kurz zu Beginn vernehmbar und sehr schön eingebunden, einen irgendwie gearteten Holzton nehme ich nicht wahr). Dabei neigt er nach traditionellen Maßstäben deutlich ins Feminine, streift aber durch die metallene Note durchaus den Unisex-Bereich. Insofern könnte man ihn vielleicht als Kurkdjian‘s Antwort auf Hèrmes‘ Herrenduft ‚H24‘ sehen. Beide sind understated, auf (elegante!) Massengefälligkeit getrimmt, bedienen bekannte und beliebte Genres (Fougère bzw. floral-musk), sind unmittelbar verständlich und haben als Besonderheit diese leicht kühle, metallene Aura. Wobei mir der 724 etwas wertiger, nicht so aggressiv-aromachemisch und klarer komponiert erscheint.

Von der Haltbarkeit her gibt es wie fast immer bei Kurkdjian nicht viel zu meckern und auch Abstrahlung und Sillage sind über eine angemessene Zeit da, ohne die Nase zu überfordern. Ich fühle mich z.B. den ganzen Tag über auf die gleiche tiefsaubere, leicht prickelnde Weise frisch, was ich in der Form bisher nur sehr selten kennengelernt habe. Normalerweise gibt es im Verlauf immer einen Abfall oder Störfaktoren. Das spricht für eine sehr ausgereifte Komposition und gute Inhaltsstoffe.

Alles in allem überzeugt mich der Duft und ich sehe in seiner ganzen zurückhaltenden und risikolosen Anlage deutliche Parallelen zu Creeds ebenfalls in diesem Jahr veröffentlichten ‚Wind Flowers‘ (auch ein lieblich-sauberer Moschus-Weißblüherduft). Man erwartet von solchen Marken aufgrund ihrer Referenzen immer den nächsten großen Wurf, sicherlich auch zurecht, aber gerade deshalb empfinde ich diese überraschend wenig fordernde und gezügelte Herangehensweise als mutig, denn er wird viele Erwartungen enttäuschen (nicht nur, aber zum Teil auch aufgrund der Werbekampagne, die andere Erwartungen weckt). Vielleicht ist es in dieser Hinsicht wieder ein Besinnen auf das unaufdringliche und angenehme Beduftetsein, was ja die Hauptaufgabe von funktionellem Parfum ist (wenigstens aus meiner Sicht). Sozusagen gegen den Trend der gefühlt immer lauter werdenden Düfte gesetzt (und in sofern auch ein Gegenentwurf zu z.B. ‚Baccarat Rouge 540‘). Auf der anderen Seite kann man es aber genauso gut als Gegenteil eines mutigen Releases sehen, denn man könnte die These aufstellen – die sich mit Blick auf andere Marken, welche ebenfalls unter den Schirm eines Megakonzerns gekommen sind, sicher erhärten ließe – , dass durch eine solche Übernahme (Creed – Black Rock, Maison Francis Kurkdjian - LVMH) nun extrem auf Nummer sicher gegangen wird. Sozusagen der kleinste gemeinsame Nenner gesucht wird. Nur noch die Verkaufszahlen zählen. Streamlined das neue Credo ist. Das wäre für mich genauso nachvollziehbar. Zu meinem Glück mag ich diese Art des unaufdringlichen, unaufgeregten, unspektakulären, angenehm riechenden, cleanen Dufts, kann aber auch verstehen, wenn sie als sehr belanglos und uninspiriert empfunden wird. In dem Zusammenhang wird bei ihm z.B. bemängelt, dass er einigen der frischen Kurkdjian-Düften sehr ähnelt (v.a. dem 754, den ich leider nicht kenne) und nichts wirklich Neues in das Portfolio bringt. Das ist ebenfalls absolut nachvollziehbar. Ich würde dem dennoch entgegenhalten, dass er für mich einer der bislang besten und angenehmsten (und dabei auch elegantesten) frische Wäsche-Düfte ist, der durch die metallische Note genügend Eigenständigkeit aufweist. Ich habe mich nach den letzten eher enttäuschenden Veröffentlichungen aus dem Haus (den Forte-Versionen und L‘Homme À la Rose) jedenfalls über diese sehr gefreut und genieße ihn beim Tragen. Für mich atmet er in besonderer Weise das Gefühl des durchgängig angenehm-unaufdringlichen Beduftet-Seins ohne sich wirklich beduftet zu fühlen. Einen, den ich jeden Tag tragen kann, ohne dass er mir auf den Geist geht. Das hinzubekommen ist auch eine Kunst.
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