23.12.2017 - 14:42 Uhr
JacSi9
13 Rezensionen
JacSi9
Top Rezension
67
Die Suche nach dem Signatur-Duft. Oder: Vom kühlen Kopf im Hype-Orkan
Hätte man mir vor zwei Monaten gesagt, dass ich zeitnah eine Parfumbewertung schreiben würde, hätte ich wahrscheinlich gesagt: „Wirklich Witzig. Magst Du mir eben die Mango-Chutney-Soße reichen?“
(In der Situation sitze ich in einem anspruchsvollen Burgerrestaurant. Fragt mich nicht warum. Ist einfach so.)
Doch dann neigte sich mein süßlich-jugendlicher Duft der letzten Jahre (Carolina Herrera 212 Sexy Men) dem Ende zu und langweilte mich plötzlich mit einer Wucht, die es in sich hatte - oder besser gesagt: Eine Wucht ohne Substanz. Gott, war ich gelangweilt. Meine zarten 23 Jahre prallten in diesem Moment an meinem Vollbart und meiner 1,96-Meter-Körperfläche ab. Und ganz ehrlich: Als ich mir das letzte Mal wie 23 vorkam, war ich 17. Kann man nichts machen. Aber am Duft könnte man schrauben. Die erstmals wirklich bewusste Jagd nach dem Duft, der die Persönlichkeit markant unterstreicht und versinnlicht, wo man sich in fünf Jahren sieht: Sie war eröffnet.
Angefixt durch diese Ambition machte ich mich mit dem Elan eines Wissenschaftlers ohne Privatleben auf die Suche. Einmal Parfumo ausdrucken. Schwarz-weiß. Wegen Umwelt. Farbige, beinahe haptische Beschreibungen trieben mich zu einer Vielzahl hochgelobter Düfte. Wenn beinahe die gesamte Belegschaft jubelt, dann muss was dran sein, oder? Was war ich aufgeregt, als ich König-Aventus auf mein Handgelenk sprühte. Als mich dann plötzlich ein langweiliger Emporkömmling mit seiner gefälligen Arroganz anlächelte, war ich kurz davor, die Polizei zu rufen. Pulsader-Friedensbruch, Paragraph whatever.
Halt, stopp! Bis hier und nicht weiter. Und doch hörte es nicht auf. Bis auf GIT ließen mich die gefeierten Creed-Düfte kalt, die Duftwand bei Douglas konnte mich nicht in andere Welten katapultieren (und das wollte ich). Frauen lieben Sauvage, sterben für The One, steigen mit wildfremden Männern ins Bett, solange La Nuit dabei ist (Sogar tagsüber. Kleiner Schenkelklopfer, Ladies and Gentlemen). Hype aufsprühen, damit 18-jährige Mädels in Ohnmacht fallen, auch wenn es sich nicht nach mir anfühlt? Wollte ich nicht, sorry. Geschmäcker sind verschieden, das ist völlig in Ordnung. Aber ich konnte mich fortan weder auf Bewertungen noch auf Youtube verlassen - Sinnkrise im 21. Jahrhundert. Musste ich anfangen, selbst zu denken? Anstrengend.
Tom Fords Noir Extreme bildete mit seiner dunklen Süße und seiner wuchtig-blumigen Eleganz eine Ausnahme. So schnell schmiss sich noch nie ein dunkelblauer Anzug an meinen Körper. Umgeben von einem Luxusapartment im gedimmten Licht. Now we talk. Doch konnte ich mir nicht vorstellen, die extreme Nacht übers ganze Jahr hinweg auch am Tag zu tragen. (Ich hab’s heute mit den Tageszeiten. Entschuldigt, es wird einfach gerade so dermaßen früh dunkel draußen. Wo bist Du, mein Sonnenlicht?)
Eine Flut aus Parfumproben und eine nach wie vor nicht wirklich zufriedene Nase. Ich spielte mit dem Gedanken, einen Flakon Green Irish Tweed zu adoptieren. Der Duft gefällt mir nach wie vor sehr gut. Restlos begeistert war ich nicht.
Ex-Langzeitsingles wissen: Manchmal muss man aufhören zu suchen und sich finden lassen. Loslassen. Durchatmen. Also, hab ich mal irgendwo gelesen. Bin Single.
Spontan ging es für mich also diese Woche für drei Tage nach Wien. Wie ein Alkoholiker, der ein „letztes“ Mal durch die Spirituosen-Abteilung schlendert, besuchte ich einen Ösi-Douglas. Kurz bevor ich der Konzern-gewordenen Duftwolke entfliehen wollte, fiel mein Blick auf einen Flakon von Maison Margiela - Jazz Club. Die Replica-Linie war mir durch eine Duftprobe von Soul of the Forest bekannt, ganz bewusst hatte ich zwischendurch nach Walddüften gesucht. Toller, ungewöhnlicher Duft, aber für mich nicht alltagstauglich. Nirgendwo sonst hatte ich Tester der Marke gesehen. Stand hinter diesem City-Trip ein kosmischer Plan?
Nein.
Dennoch: Wenige Augenblicke später ergab alles Sinn. Bereits mit 20 Jahren hatte ich über zehn Jahre Big-Band-Erfahrung. Während sich andere Kids für Tokio Hotel das Leben nahmen, hörte und spielte ich Jazz. Dem Griff zu Jazz Club wohnte also eine biographische Ebene inne. Doch kann Nostalgie den Geruchssinn nachhaltig vernebeln?
Ich werde nicht auf einzelne Duftnoten eingehen. Das mag anspruchsvoll sein und beeindruckend klingen, mich interessiert der fertige Mix. Da bin ich pragmatisch. Wird mein Account jetzt gesperrt?
Als der Duft erstmals in meinem Nervensystem eintraf, war ich hin und weg, verwirrt, begeistert und gleichzeitig skeptisch. Jazz Club polarisierte und stellte für einen Sekundenbruchteil meine Welt auf den Kopf. Endlich! Klaus Kinski hätte im ersten Moment geschrien: „Ich liebe Dich, du dumme Sau!“
Atmosphärisch, süß, beinahe exotisch, würzig, dezent maskulin, Vorstellungen einer anderen Welt. Eine leichte Schwere, die sowas von elegant ist. Ich hatte so einen Duft nie zuvor gerochen. Richtiger Wow-Moment. Anstelle des Jazz Clubs machte sich schnell das Bild einer teuren Cocktail-Bar um meine Synapsen herum gemütlich. Wer gibt schon was auf Titel? Antwort: Jeder. Aber ihr wisst, was ich meine.
Ich konnte mir anfangs jedoch trotz allem nicht vorstellen, Jazz Club zu tragen, geschweige denn zu kaufen. Wahrscheinlich stand ich unter Schock und musste erstmal klarkommen. Die nötige Ehrfurcht zusammenkratzen. So hatte ich mir das vorgestellt. Endlich war was los. Langeweile mit Tränen in den Augen am Horizont.
Der Teststreifen verschwand in meiner Jackentasche, beseelt ging es wieder an die Wiener Luft. Nun führte meine Hand im 2-Minuten-Takt den Jazz-Cocktail an meine Nase. Ich konnte nichts dagegen tun, war dem Automatismus des Schicksals ausgeliefert. Mit jedem Einatmen gefiel mir der Duft besser, gedanklich war ich in anderen Realitäten. Wem machte ich etwas vor? Ich ging zurück, sprühte den Jazz-Moment auf meine Haut und bestellte online einen Flakon als ich im Hotel ankam. Richtig, ich habe die besagte Parfümerie ausgenutzt. So sind wir jungen Menschen.
Jazz Club ist ein besonderer, extrem schöner, eleganter Duft. Inmitten des Alltagswirbels entführt er mich und sagt mir: Da ist noch mehr. Außerhalb Deines engen Fokus. Du musst nur gucken.
Die Suche nach dem Signatur-Duft ist für mich beendet, der Hype-Orkan hat sich in ruhige Luft aufgelöst. Es gibt bei dieser Suche kein pauschales Richtig oder Falsch. Aber eines habe ich erneut gelernt: Das Intuitive, das nicht Aussprechbare unterhalb unseres Verstandes interessiert sich nicht für Hypes und Internetbewertungen. Es interessiert sich nur für den Moment, in dem sich die Duftmoleküle ihren Weg in unser Bewusstsein bahnen und neue Perspektiven eröffnen. In meinem Fall ist das mit Jazz Club geschehen.
____
Nachtrag 13.01.2018
Bin nach wie vor schwer angetan. Allerdings hat sich mein Empfinden dahingehend entwickelt, dass Jazz Club ruhig eine Liaison mit rauchigen Holznoten eingehen könnte. Je nachdem wie krass ich drauf bin, ist er mir zeitweise zu weich. Geschmackssache. Aber keine Angst, Jazz Club: Ich verlass Dich nicht!
(In der Situation sitze ich in einem anspruchsvollen Burgerrestaurant. Fragt mich nicht warum. Ist einfach so.)
Doch dann neigte sich mein süßlich-jugendlicher Duft der letzten Jahre (Carolina Herrera 212 Sexy Men) dem Ende zu und langweilte mich plötzlich mit einer Wucht, die es in sich hatte - oder besser gesagt: Eine Wucht ohne Substanz. Gott, war ich gelangweilt. Meine zarten 23 Jahre prallten in diesem Moment an meinem Vollbart und meiner 1,96-Meter-Körperfläche ab. Und ganz ehrlich: Als ich mir das letzte Mal wie 23 vorkam, war ich 17. Kann man nichts machen. Aber am Duft könnte man schrauben. Die erstmals wirklich bewusste Jagd nach dem Duft, der die Persönlichkeit markant unterstreicht und versinnlicht, wo man sich in fünf Jahren sieht: Sie war eröffnet.
Angefixt durch diese Ambition machte ich mich mit dem Elan eines Wissenschaftlers ohne Privatleben auf die Suche. Einmal Parfumo ausdrucken. Schwarz-weiß. Wegen Umwelt. Farbige, beinahe haptische Beschreibungen trieben mich zu einer Vielzahl hochgelobter Düfte. Wenn beinahe die gesamte Belegschaft jubelt, dann muss was dran sein, oder? Was war ich aufgeregt, als ich König-Aventus auf mein Handgelenk sprühte. Als mich dann plötzlich ein langweiliger Emporkömmling mit seiner gefälligen Arroganz anlächelte, war ich kurz davor, die Polizei zu rufen. Pulsader-Friedensbruch, Paragraph whatever.
Halt, stopp! Bis hier und nicht weiter. Und doch hörte es nicht auf. Bis auf GIT ließen mich die gefeierten Creed-Düfte kalt, die Duftwand bei Douglas konnte mich nicht in andere Welten katapultieren (und das wollte ich). Frauen lieben Sauvage, sterben für The One, steigen mit wildfremden Männern ins Bett, solange La Nuit dabei ist (Sogar tagsüber. Kleiner Schenkelklopfer, Ladies and Gentlemen). Hype aufsprühen, damit 18-jährige Mädels in Ohnmacht fallen, auch wenn es sich nicht nach mir anfühlt? Wollte ich nicht, sorry. Geschmäcker sind verschieden, das ist völlig in Ordnung. Aber ich konnte mich fortan weder auf Bewertungen noch auf Youtube verlassen - Sinnkrise im 21. Jahrhundert. Musste ich anfangen, selbst zu denken? Anstrengend.
Tom Fords Noir Extreme bildete mit seiner dunklen Süße und seiner wuchtig-blumigen Eleganz eine Ausnahme. So schnell schmiss sich noch nie ein dunkelblauer Anzug an meinen Körper. Umgeben von einem Luxusapartment im gedimmten Licht. Now we talk. Doch konnte ich mir nicht vorstellen, die extreme Nacht übers ganze Jahr hinweg auch am Tag zu tragen. (Ich hab’s heute mit den Tageszeiten. Entschuldigt, es wird einfach gerade so dermaßen früh dunkel draußen. Wo bist Du, mein Sonnenlicht?)
Eine Flut aus Parfumproben und eine nach wie vor nicht wirklich zufriedene Nase. Ich spielte mit dem Gedanken, einen Flakon Green Irish Tweed zu adoptieren. Der Duft gefällt mir nach wie vor sehr gut. Restlos begeistert war ich nicht.
Ex-Langzeitsingles wissen: Manchmal muss man aufhören zu suchen und sich finden lassen. Loslassen. Durchatmen. Also, hab ich mal irgendwo gelesen. Bin Single.
Spontan ging es für mich also diese Woche für drei Tage nach Wien. Wie ein Alkoholiker, der ein „letztes“ Mal durch die Spirituosen-Abteilung schlendert, besuchte ich einen Ösi-Douglas. Kurz bevor ich der Konzern-gewordenen Duftwolke entfliehen wollte, fiel mein Blick auf einen Flakon von Maison Margiela - Jazz Club. Die Replica-Linie war mir durch eine Duftprobe von Soul of the Forest bekannt, ganz bewusst hatte ich zwischendurch nach Walddüften gesucht. Toller, ungewöhnlicher Duft, aber für mich nicht alltagstauglich. Nirgendwo sonst hatte ich Tester der Marke gesehen. Stand hinter diesem City-Trip ein kosmischer Plan?
Nein.
Dennoch: Wenige Augenblicke später ergab alles Sinn. Bereits mit 20 Jahren hatte ich über zehn Jahre Big-Band-Erfahrung. Während sich andere Kids für Tokio Hotel das Leben nahmen, hörte und spielte ich Jazz. Dem Griff zu Jazz Club wohnte also eine biographische Ebene inne. Doch kann Nostalgie den Geruchssinn nachhaltig vernebeln?
Ich werde nicht auf einzelne Duftnoten eingehen. Das mag anspruchsvoll sein und beeindruckend klingen, mich interessiert der fertige Mix. Da bin ich pragmatisch. Wird mein Account jetzt gesperrt?
Als der Duft erstmals in meinem Nervensystem eintraf, war ich hin und weg, verwirrt, begeistert und gleichzeitig skeptisch. Jazz Club polarisierte und stellte für einen Sekundenbruchteil meine Welt auf den Kopf. Endlich! Klaus Kinski hätte im ersten Moment geschrien: „Ich liebe Dich, du dumme Sau!“
Atmosphärisch, süß, beinahe exotisch, würzig, dezent maskulin, Vorstellungen einer anderen Welt. Eine leichte Schwere, die sowas von elegant ist. Ich hatte so einen Duft nie zuvor gerochen. Richtiger Wow-Moment. Anstelle des Jazz Clubs machte sich schnell das Bild einer teuren Cocktail-Bar um meine Synapsen herum gemütlich. Wer gibt schon was auf Titel? Antwort: Jeder. Aber ihr wisst, was ich meine.
Ich konnte mir anfangs jedoch trotz allem nicht vorstellen, Jazz Club zu tragen, geschweige denn zu kaufen. Wahrscheinlich stand ich unter Schock und musste erstmal klarkommen. Die nötige Ehrfurcht zusammenkratzen. So hatte ich mir das vorgestellt. Endlich war was los. Langeweile mit Tränen in den Augen am Horizont.
Der Teststreifen verschwand in meiner Jackentasche, beseelt ging es wieder an die Wiener Luft. Nun führte meine Hand im 2-Minuten-Takt den Jazz-Cocktail an meine Nase. Ich konnte nichts dagegen tun, war dem Automatismus des Schicksals ausgeliefert. Mit jedem Einatmen gefiel mir der Duft besser, gedanklich war ich in anderen Realitäten. Wem machte ich etwas vor? Ich ging zurück, sprühte den Jazz-Moment auf meine Haut und bestellte online einen Flakon als ich im Hotel ankam. Richtig, ich habe die besagte Parfümerie ausgenutzt. So sind wir jungen Menschen.
Jazz Club ist ein besonderer, extrem schöner, eleganter Duft. Inmitten des Alltagswirbels entführt er mich und sagt mir: Da ist noch mehr. Außerhalb Deines engen Fokus. Du musst nur gucken.
Die Suche nach dem Signatur-Duft ist für mich beendet, der Hype-Orkan hat sich in ruhige Luft aufgelöst. Es gibt bei dieser Suche kein pauschales Richtig oder Falsch. Aber eines habe ich erneut gelernt: Das Intuitive, das nicht Aussprechbare unterhalb unseres Verstandes interessiert sich nicht für Hypes und Internetbewertungen. Es interessiert sich nur für den Moment, in dem sich die Duftmoleküle ihren Weg in unser Bewusstsein bahnen und neue Perspektiven eröffnen. In meinem Fall ist das mit Jazz Club geschehen.
____
Nachtrag 13.01.2018
Bin nach wie vor schwer angetan. Allerdings hat sich mein Empfinden dahingehend entwickelt, dass Jazz Club ruhig eine Liaison mit rauchigen Holznoten eingehen könnte. Je nachdem wie krass ich drauf bin, ist er mir zeitweise zu weich. Geschmackssache. Aber keine Angst, Jazz Club: Ich verlass Dich nicht!
10 Antworten