B683 2020 Extrait de Parfum

Profumo
10.02.2021 - 08:50 Uhr
60
Top Rezension
7
Flakon
8
Sillage
10
Haltbarkeit
8.5
Duft

Zur Abwechslung mal ein echtes Extrait!

Nach ‚B683’ und ‚Ganymede’ nun also ‚B683 Extrait de Parfum’.
Drei Düfte, mit fast identischer DNA: ein moderner Leder-Akkord, der sich gänzlich anders entwickelt, als wir es von klassischen Leder-Konzepten, wie beispielsweise einem Cuir-de-Russie, kennen.
Marc-Antoine Barrois’ Trio entfaltet seinen Leder-Akkord aus der trockenen Würze des Pfeffers und des Safrans, der uns hier in Gestalt von Givaudans Riechstoff ‚Safraleine’ entgegenduftet: das bitter-ledrige Aroma des herben Gewürzes, gepimpt mit Nuancen von Tabak und Rose. Grasig feuchtes Veilchenblatt und die kühlen, holzigen Aspekte eines fraktionierten Patchoulis, das hin und wieder ‚Patchouli-Coeur’ genannt, oder von Givaudan als ‚Akigalawood’ vermarktet wird (der Parfümeur arbeitet bei dem Verein!), ergänzen den Leder-Akkord und bilden eine Art Barrois´sches Duftgerüst.
Aus dem Riechstoffarsenal von Givaudan stammt noch eine weitere Substanz, die dringend der Erwähnung bedarf, da sie vor allem bei den beiden ‚B683’-Düften deutlich mit von der Partie ist: ‚Ambroxan’, oder neuerdings ‚Ambrofix’ genannt. Sie zeichnet sich durch eine süßliche, erneut tabakartige und leicht salzige Ozonik aus, und bildet synthetisch einen kleinen Ausschnitt aus dem wesentlich breiter gefächerten Duftkosmos der Ambra ab.
Für Ambroxan-Hasser, zu denen ich mich zähle, ist das natürlich eine Zumutung, aber ich muss gestehen, dass mich die beargwöhnte Synthetik hier erstaunlicherweise nicht gar so sehr stört.

So kühl-geglättet das Leder im EdP ist, so als beträte man ein schick gestyltes Schuhgeschäft; im Extrait beginnt es zu leben, wird weich, hat plötzlich aufgeraute Stellen. Phasenweise ersetzt eine angedeutete Intimität die ansonsten stylisch-nüchterne Distanziertheit, verliert sich aber rasch wieder, sodass es allein beim Flirt mit dem Gewagten bleibt. Der Couturier behält, zumal wenn er Marc-Antoine Barrois heißt, in Sachen Leder stets die Contenance. Anderen käme vermutlich noch Tierisches in den Sinn: Castoreum zum Beispiel, ohnehin mit ledrigen Facetten gesegnet, oder gar Zibet und Hyraceum, die das edle Schuhwerk – Gott bewahre! – am Ende noch fäkal besudelten, als wäre man versehentlich in eine unschöne Hinterlassenschaft getreten. Nein, derart antiquierte Ferkeleien haben in einem modernen Ambrox-Safran-Konzept natürlich nichts zu suchen.
Schade eigentlich.
Egal.

Dafür gibt´s Apfel, grünen Apfel.
Als ich das las, dachte ich mir: oh je, das kann ja heiter werden.
Wer, wie ich, mit kreisch-lautem Apfelshampoo-Duft aufgewachsen ist, hat gelernt dieser Duftnote zu misstrauen.
Zu Unrecht.
Der Apfel riecht hier nämlich ziemlich gut. Irgendwie zwar nicht wirklich natürlich, aber trotzdem gut. Das ist überhaupt das Seltsame an den Barrois-Düften (wie an eigentlich allen Düften von Monsieur Bisch): sie riechen furchtbar synthetisch, als wären alle darin enthaltenen Noten, die sich erst mal so natürlich lesen, bestenfalls naturidentisch, um nicht zu sagen: gefakt. Trotzdem gefallen mir seine Düfte, zumindest die meisten. Offenbar hat Bisch eine Handschrift gefunden, die es ihm ermöglicht aus vermeintlich minderwertiger Synthetik etwas Wertiges, Kunstvolles entstehen zu lassen, selbst wenn das Ausgangsmaterial dieser scheinbaren Synthetik natürlichen Ursprungs ist.
Das Extrait von ‚B683’ ist dafür ein perfektes Beispiel.

Neben dem Apfel riecht auch der Kreuzkümmel irgendwie nicht echt, und doch gibt er dem Duft in einer kurzen Phase das gewisse Etwas: eine kunstvoll flirrende erotische Körperlichkeit, die aber, kaum aufgeblitzt, schon wieder zur Chimäre zerfällt. Einer Chimäre, der ich begeistert hinterher schnüffle.
Auch das Oud, angeblich sogar echtes aus Laos: ja, es ist da, aber seltsam ent-oudisiert. Ohne den Anschein irgendeines natürlichen Ursprungs und allein auf seine medizinischen Nuancen und ein paar schüchterne Rauchfähnchen reduziert. Ebenso das aus Indonesien herbeigeschaffte Patchouli: durch Fraktionierung um jegliche feucht-knarzige Gruftigkeit gebracht. Und selbst das Sandelholz scheint die australische Wildnis nie wirklich gesehen zu haben, zu glatt poliert, zu steril wirkt es.

Und trotzdem: es duftet toll!
Vor allem die Kombination von Apfel, Kreuzkümmel und Leder ist, aller Künstlichkeit zum Trotz, richtig apart. Für meinen Geschmack hätte sie sogar noch deutlicher herausgearbeitet werden können, da sie leider recht zügig von der süßlich-holzigen Ozonik des Fonds überlagert wird, die sich zusehends wie eine dicke, schwere Decke über das Duftgeschehen ausbreitet.
All diese seltsam gestylten Noten entwickeln ein üppiges Volumen und eine dichte, samtige Textur, die entfernt an alte Guerlain-Extraits erinnern. Denn im Gegensatz zu den vielen Parfums und Extraits, die heutigen Verbrauchern untergejubelt werden (im Grunde sind das nur geringfügig höher konzentrierte Eau de Parfums), handelt es sich hier um ein richtiges Extrait, mit annähernd 40 prozentigem Parfumöl-Anteil.
Ein derart hochkonzentriertes Parfum tupft man eigentlich, aber selbst das Tupfen würde angesichts der radikal modernen Duftsprache anachronistisch wirken. Es wird also gesprüht. Zum Glück ist der Sprühmechanismus so konzipiert, dass nur kleinste Mengen zu feinsten Tröpfchen vernebelt werden.

Im Gegensatz zu ‚Ganymede’ bleibt das Extrait von ‚B683’ noch gerade so in der Nähe seines Trägers, oder seiner Trägerin, ohne kilometerlange Duftschleppen hinter sich herzuziehen. In Sachen Beharrlichkeit übertrifft das Extrait seine beiden Vorgänger allerdings um Längen.
Auch hier verhält sich der Duft wie vergleichbar hochprozentige Extraits: stetige und langsame Entwicklung, statt raumsprengender Detonation; deutliche und langanhaltende Präsenz, ohne Knockdown des Gegenübers.

Ob mir dieser Duft auf Dauer gefallen wird, weiß ich noch nicht. Ich bewundere ihn seiner kunstvollen Ausführung und seiner Modernität wegen. Womöglich bin ich aber schon zu alt, um mich vorbehaltlos von ihm entführen zu lassen.
Ich erinnere mich noch gut an einen mehr als zwanzig Jahre älteren Kollegen, der mir 1988, als ich zum ersten Mal begeistert ‚Cool Water’ trug, zu verstehen gab, dass er für derlei Synthetik definitiv zu alt sei. Mag sein, dass es mir heute ähnlich ergeht, obwohl ich mich bemühe nicht konservativ zu werden. Aber, ich gestehe, es fällt mir zunehmend schwerer,
So werde ich mich vermutlich noch eine Weile an den beiden ‚B683’-Düften abarbeiten, mit ungewissem Ausgang.

Eines aber muss man dem Team Barrois/Bisch lassen: sie haben ein Duft-Logo erschaffen, das kongenial die Arbeit des Couturiers und Herrenausstatters Barrois erfasst. Das gab es lange nicht mehr. Vincent Roubert gelang vor 90 Jahren ein ähnlicher Wurf: für den Wiener Herrenausstatter Knize schuf er das legendäre ‚Knize Ten’. Zwanzig Jahre später komponierte Edmond Roudnitska für Hermès, den bekannten Hersteller von Pferdesatteln und Ledertaschen, eine vergleichbare Duft-Signatur: ‚Eau d’Hermès’. Hier wie dort spielen Lederwaren eine zentrale Rolle, hier wie dort spiegelt sich das Leder im Zentrum der Düfte.
‚B683’ ist gewissermaßen das ‚Knize Ten’ von Heute. Im Gegensatz zu seinen berühmten Vorgängern, weist es in der Namensgebung allerdings nur kryptisch auf seinen Hersteller hin: ‚B683’ ist nämlich eine Hommage an ‚B612’, den Planeten von Saint-Exuperys ‚Der kleine Prinz’. Barrois änderte die Zahlenfolge entsprechend seiner Geburtsdaten: 6/83.

Vorerst bleibt ‚Ganymede’ mein Favorit aus dem Trio, aber das Extrait – knapp dahinter – verringert zusehends den Abstand.
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