26.08.2019 - 12:56 Uhr
FvSpee
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Non è stato tutto male!
Ein polizeilicher Abschlussbericht unterscheidet sich im Grunde nicht sehr von einem historischen Fachbeitrag, dachte Odorato. Wir haben einen Fall (ein Thema), sammeln dazu Beweismittel (Quellen), hören, soweit vorhanden, Zeugen (Zeitzeugen) und dann formt sich in uns ein Bild von dem, was da war. Und das schreiben wir nieder. Und wenn wir etwas literarischen Ehrgeiz haben, wird daraus eine schöne kriminalistische Prosa, die den Staatsanwalt und den Richter (oder das historische Publikum) gleich packt: "Ja, nur so kann es gewesen sein!"
Dumm nur, wenn sich eben kein klares Bild ergibt. Und ganz besonders dumm, wenn das deshalb so ist, weil es zwar (theoretisch) noch möglich wäre, den Sachverhalt, den wir spannend finden, weiter aufzuklären, es aber (praktisch) nicht geht, weil kein Schwanz sich dafür interessiert. "Prozessökonomische Ermittlungsweise, Odorato, das wissen Sie doch! Wollen Sie für dieses lä-cher-li-che 'Lawall' eine Querschnittsbefragung von zehntausend ostdeutschen Haushalten lostreten oder das Etikett des Flakons einem papieranalytischen Gutachten nach der Carbon-14-Methode unterziehen? Ja, da könnten Sie ja auch bei jedem Ladendiebstahl eine DNA-Reihenuntersuchung vornehmen, hahaha!"
Es war ja richtig. Wie in der Geschichtsforschung. Wenn ich glaubhaft mache, dass ich da neue Erkenntnisse zur Schlacht von Waterloo finde, dann kriege ich auch eine Forschungsreise zum Bezirksarchiv von Ulan-Bataar Süd finanziert. Wenn ich die Chancen zum sozialen Aufstieg der Hintersassen am Lago di Pergusa zwischen 1724 und 1753 untersuchen will, eher nicht.
Und so war es auch hier, so spannend er diese curiosità tedesca auch fand, er konnte der verzwickten Sache nicht auf den tiefsten Grund gehen. Er musste es bei seiner Spürnase und ein paar Recherchen in allgemein zugänglichen Quellen belassen. Und im polizeilichen Schlussbericht dann entweder vieles offen lassen, oder die Lücken mit seiner Fantasie füllen, einen historischen Roman statt eines Fachartikels schreiben.
Soviel konnte als gesichert gelten: MAWA wurde 1946 als Familienunternehmen gegründet, ausgerechnet in Leinefeld, Thüringen. Die Amerikaner hatten sich im Juli 1945 zurückgezogen, die Russen hatten Thüringen übernommen, alleine das schon eine verrückte Sache, in dieser Zeit ein neues Privatunternehmen hochzuziehen. Im Zuge der großen Verstaatlichungswelle der frühen 70-er wurde das Unternehmen in ein Kombinat eingegliedert, die ehemaligen Eigentümer durften aber im Betrieb weiterarbeiten. Nach 1990 übernahmen diese Alteigentümer wieder die Regie; was für ein seltener Fall von Kontinuität.
Arg gezaust ist das Unternehmen aber. Wer sich heute seine Internetseite ansieht, wird von Mitleid erfasst über so viel hausbackenen Auftritt, mit laienhaften Fotos, Schreibfehlern in den Texten und Ramschpreisen, die keinen hohen Gewinn zulassen. Und die heutigen Chefs sind entweder nicht auf die Idee gekommen, bei den Stadtvätern von Zeulenroda-Triebes die Umbenennung der Ernst-Thälmann-Straße, wo sich der Firmensitz befindet, in "Tüff-Allee" zu beantragen, oder sie sind damit abgeblitzt.
Aus dem einst recht stolzen Sortiment aus DDR-Tagen hat sich, was die Düfte angeht, nur ein Teil des TÜFF-Spektrums erhalten. Für 3,05 Euro (ein Preis, der Odorato fast ein bisschen an die Auszeichnungen des Stils "3,07 M EVP" von seinen Besuchen in der DDR erinnerte), kann man auch heute noch zwei (ihm unbekannte, aber von Kennern vielgerühmte) After-Shaves und ein Rasiervorbereitungswasser erwerben, daneben ein Haarwasser und einige Produkte aus einer Beinpflegeserie. Nicht viel geblieben also, aber immerhin.
Nur: Wann war dann dieses LAWALL verloren gegangen, von dem ein Landsmann Odorato eine neutral verpackte und säuberlich beschriftete Probe übersandt hatte? Und wann war es ins Sortiment aufgenommen worden? War es vielleicht nur ein Kurzzeitprodukt? Eine Rarität, eine blaue Duftmauritius? Vom Fall der Mauer bis zur freien Volkskammerwahl erhältlich?
Der Name bot keinen Anhaltspunkt, sondern war vollkommen grotesk. Was sollte das, "LAWALL"? Sollte das französisch wirken? "Laval" verballhornt? Wie "Chantall"? Doch wohl kaum. Nach einer oberflächlichen Internetrecherche ist "Lawall" ein deutscher Familienname mit Schwerpunkt in der Pfalz. Besonders in der Gegend von Alzey-Worms. So kommt man nicht weiter.
Bleibt das Flakon-Design, wie man es auf Abbildungen sieht. Man könnte eines typografischen Sachverständigen.... Jaja, die Prozessökonomie, ich weiß, Signor Chestore! Nach seiner eigenen Einschätzung handelte es sich um sozialistische Spätblüte, Zeit der Nikolaiviertel-Rekonstruktion im Plattenbaustil, oder unmittelbare Nachwendezeit. Zwischen 1985 und 1992, soweit würde er sich festlegen. Immerhin genauer als der Gerichtsmediziner, wenn es um Todeszeitpunkte ging.
Das wichtigste war natürlich der Duft selbst, das würde er im Abschlussbericht an den Anfang rücken müssen. Ein feiner, feiner Stoff, das hätte man denen kaum zugetraut, eher ein feiner Grappa als eine Wilthener Goldkrone sozusagen! Zitrisch, grün, moosig, minimal männerblumig vielleicht. Genug Substanz und Körper, um noch als holzig, würzig und eindeutig männertypisch, ja rasierwasserartig, zu bestehen, aber dabei sehr, sehr leicht, licht, heiter, schwebend.... Na, vielleicht wollen wir nicht zu sehr ins Schwärmen kommen, aber mehr als ein bisschen mediterrane Lebenskunst war da schon dabei. Nicht Sizilien vielleicht, aber ein guter Schuss Emilia Romagna, eher als Bitterfeld jedenfalls. Aber noch etwas war da, eine Signalnote, die er sofort wiedererkannte! Diese hochspezifische seifige Note aus dem tschechoslowakischen "Diplomat Classic", die ihn schon immer fasziniert hatte. Nur hier in einer aufgelockerten, hellgrünen Tönung. Obwohl Odorato kein Anhänger des Staatssozialismus war, nicht einmal in Gestalt von Bürgermeister Peppone, ging ihm ein vielgehörter Satz durch den Kopf: "Non è stato tutto male - Es war nicht alles schlecht..."
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Nachtrag 28. August 2019: Eine unerschütterliche Kollegin aus Deutschland hat Hausermittlungen in der Firma MAWA angestellt. Dort erfolgte Befragungen haben ergeben, dass die Produktion des Duftes Mitte und der Verkauf Ende der 80-er Jahre eingestellt worden sei. Also lag Odorato nicht so falsch...
Dumm nur, wenn sich eben kein klares Bild ergibt. Und ganz besonders dumm, wenn das deshalb so ist, weil es zwar (theoretisch) noch möglich wäre, den Sachverhalt, den wir spannend finden, weiter aufzuklären, es aber (praktisch) nicht geht, weil kein Schwanz sich dafür interessiert. "Prozessökonomische Ermittlungsweise, Odorato, das wissen Sie doch! Wollen Sie für dieses lä-cher-li-che 'Lawall' eine Querschnittsbefragung von zehntausend ostdeutschen Haushalten lostreten oder das Etikett des Flakons einem papieranalytischen Gutachten nach der Carbon-14-Methode unterziehen? Ja, da könnten Sie ja auch bei jedem Ladendiebstahl eine DNA-Reihenuntersuchung vornehmen, hahaha!"
Es war ja richtig. Wie in der Geschichtsforschung. Wenn ich glaubhaft mache, dass ich da neue Erkenntnisse zur Schlacht von Waterloo finde, dann kriege ich auch eine Forschungsreise zum Bezirksarchiv von Ulan-Bataar Süd finanziert. Wenn ich die Chancen zum sozialen Aufstieg der Hintersassen am Lago di Pergusa zwischen 1724 und 1753 untersuchen will, eher nicht.
Und so war es auch hier, so spannend er diese curiosità tedesca auch fand, er konnte der verzwickten Sache nicht auf den tiefsten Grund gehen. Er musste es bei seiner Spürnase und ein paar Recherchen in allgemein zugänglichen Quellen belassen. Und im polizeilichen Schlussbericht dann entweder vieles offen lassen, oder die Lücken mit seiner Fantasie füllen, einen historischen Roman statt eines Fachartikels schreiben.
Soviel konnte als gesichert gelten: MAWA wurde 1946 als Familienunternehmen gegründet, ausgerechnet in Leinefeld, Thüringen. Die Amerikaner hatten sich im Juli 1945 zurückgezogen, die Russen hatten Thüringen übernommen, alleine das schon eine verrückte Sache, in dieser Zeit ein neues Privatunternehmen hochzuziehen. Im Zuge der großen Verstaatlichungswelle der frühen 70-er wurde das Unternehmen in ein Kombinat eingegliedert, die ehemaligen Eigentümer durften aber im Betrieb weiterarbeiten. Nach 1990 übernahmen diese Alteigentümer wieder die Regie; was für ein seltener Fall von Kontinuität.
Arg gezaust ist das Unternehmen aber. Wer sich heute seine Internetseite ansieht, wird von Mitleid erfasst über so viel hausbackenen Auftritt, mit laienhaften Fotos, Schreibfehlern in den Texten und Ramschpreisen, die keinen hohen Gewinn zulassen. Und die heutigen Chefs sind entweder nicht auf die Idee gekommen, bei den Stadtvätern von Zeulenroda-Triebes die Umbenennung der Ernst-Thälmann-Straße, wo sich der Firmensitz befindet, in "Tüff-Allee" zu beantragen, oder sie sind damit abgeblitzt.
Aus dem einst recht stolzen Sortiment aus DDR-Tagen hat sich, was die Düfte angeht, nur ein Teil des TÜFF-Spektrums erhalten. Für 3,05 Euro (ein Preis, der Odorato fast ein bisschen an die Auszeichnungen des Stils "3,07 M EVP" von seinen Besuchen in der DDR erinnerte), kann man auch heute noch zwei (ihm unbekannte, aber von Kennern vielgerühmte) After-Shaves und ein Rasiervorbereitungswasser erwerben, daneben ein Haarwasser und einige Produkte aus einer Beinpflegeserie. Nicht viel geblieben also, aber immerhin.
Nur: Wann war dann dieses LAWALL verloren gegangen, von dem ein Landsmann Odorato eine neutral verpackte und säuberlich beschriftete Probe übersandt hatte? Und wann war es ins Sortiment aufgenommen worden? War es vielleicht nur ein Kurzzeitprodukt? Eine Rarität, eine blaue Duftmauritius? Vom Fall der Mauer bis zur freien Volkskammerwahl erhältlich?
Der Name bot keinen Anhaltspunkt, sondern war vollkommen grotesk. Was sollte das, "LAWALL"? Sollte das französisch wirken? "Laval" verballhornt? Wie "Chantall"? Doch wohl kaum. Nach einer oberflächlichen Internetrecherche ist "Lawall" ein deutscher Familienname mit Schwerpunkt in der Pfalz. Besonders in der Gegend von Alzey-Worms. So kommt man nicht weiter.
Bleibt das Flakon-Design, wie man es auf Abbildungen sieht. Man könnte eines typografischen Sachverständigen.... Jaja, die Prozessökonomie, ich weiß, Signor Chestore! Nach seiner eigenen Einschätzung handelte es sich um sozialistische Spätblüte, Zeit der Nikolaiviertel-Rekonstruktion im Plattenbaustil, oder unmittelbare Nachwendezeit. Zwischen 1985 und 1992, soweit würde er sich festlegen. Immerhin genauer als der Gerichtsmediziner, wenn es um Todeszeitpunkte ging.
Das wichtigste war natürlich der Duft selbst, das würde er im Abschlussbericht an den Anfang rücken müssen. Ein feiner, feiner Stoff, das hätte man denen kaum zugetraut, eher ein feiner Grappa als eine Wilthener Goldkrone sozusagen! Zitrisch, grün, moosig, minimal männerblumig vielleicht. Genug Substanz und Körper, um noch als holzig, würzig und eindeutig männertypisch, ja rasierwasserartig, zu bestehen, aber dabei sehr, sehr leicht, licht, heiter, schwebend.... Na, vielleicht wollen wir nicht zu sehr ins Schwärmen kommen, aber mehr als ein bisschen mediterrane Lebenskunst war da schon dabei. Nicht Sizilien vielleicht, aber ein guter Schuss Emilia Romagna, eher als Bitterfeld jedenfalls. Aber noch etwas war da, eine Signalnote, die er sofort wiedererkannte! Diese hochspezifische seifige Note aus dem tschechoslowakischen "Diplomat Classic", die ihn schon immer fasziniert hatte. Nur hier in einer aufgelockerten, hellgrünen Tönung. Obwohl Odorato kein Anhänger des Staatssozialismus war, nicht einmal in Gestalt von Bürgermeister Peppone, ging ihm ein vielgehörter Satz durch den Kopf: "Non è stato tutto male - Es war nicht alles schlecht..."
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Nachtrag 28. August 2019: Eine unerschütterliche Kollegin aus Deutschland hat Hausermittlungen in der Firma MAWA angestellt. Dort erfolgte Befragungen haben ergeben, dass die Produktion des Duftes Mitte und der Verkauf Ende der 80-er Jahre eingestellt worden sei. Also lag Odorato nicht so falsch...
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