02.07.2021 - 10:05 Uhr
Siebenkäs
63 Rezensionen
Siebenkäs
Top Rezension
27
Shelter from the storm
In der Via Corte d’Appello zu Turin, nicht weit von der
Piazza Savoia, befand sich eine alte Apotheke, die pracht-
voll renoviert war. Die blassrosa und zartgrau gestrichene
Barockfassade trug dezent goldene Ornamente, die sich
um Schaufenster und Eingang wanden. Genauso eindrucks-
voll waren die alten polierten Schubladenschränke und
Regale mit Gläsern, Tiegeln und Steinmörsern im Innern.
Der Besitzer, ein für einen Turiner recht großgewachsener
Mann in den Vierzigern, hatte das Geschäft geerbt.
Er bewohnte die großzügig geschnittene Wohnung direkt
über der Apotheke und hatte sie mit einer beeindruckenden
Mischung aus modernen Möbeln und einzelnen Antiquitäten
ausgestattet, dazu gab es deckenhohe Bücherregale.
Er las zwar kaum, empfand Bücher aber als unentbehrlich,
um bei angesagten Intellektuellen, Künstlern und Schau-
spielern, die bei ihm ein und ausgingen, Eindruck zu machen.
Und den machte er. Als beliebter Gast auf Vernissagen,
bei Modeschauen und Empfängen war er aus dem feinen
Gesellschaftsleben Turins nicht wegzudenken.
Um das Apothekengeschäft kümmerte er sich wenig.
Er hatte eine Schar kompetent wirkender und schön
anzusehender Damen angestellt, die er gut bezahlte,
damit sie sich um alles Geschäftliche kümmerten.
Für das gesamte Apothekenwesen interessierte er sich
so gut wie gar nicht, er kümmerte sich lieber in Ruhe
um Wichtigeres, wie zum Beispiel die Fotostory mit der
Wohnzeitschrift INTERNI ITALY.
Dieser Bon Vivant und Leone della società ist allerdings nur
die zweitwichtigste Person unserer Geschichte.
Die wichtigste Figur aber, im Verborgenen lebend, nie
gesehen, nie gehört, nie irgendwie wahrgenommen und
dennoch von nicht zu unterschätzender Macht,
ist nichts anderes als – ein kleiner Elementargeist.
Ein solches Wesen sollten wir uns nun jedoch nicht
als rein immaterielles Geisterwesen vorstellen, das wäre
ein ziemlicher, zugegeben weitverbreiteter, Irrtum.
Nein, näher kommen wir ihm eher, wenn wir uns
einen kleinen Wichtel vorstellen, was ja auch seinem
realen Echo entspricht, wie es den meisten aus Kinder-
büchern vertraut ist.
Aber egal, welche Vorstellung wir uns von ihm machen -
Tatsache bleibt, dass er sich in der Wohnung über der
Apotheke in der Via Corte d’Appello sehr behaglich fühlte.
Und Tatsache ist es auch, dass es dafür einen besonderen
Grund gab.
Es lag nicht etwa am Besitzer des Geschäfts oder der
Apotheke selbst, ja nicht einmal am alten Haus –
was schon eher mal vorkommt.
Nein, es lag einzig und allein an einem kleinen Fläschchen,
das sich im mit Carrara-Marmor gekachelten Badezimmer
der Wohnung befand. Rechteckig, hoch und dickglasig,
darauf ein Wappen mit zwei aufgebäumten Pferden
und ein geschwungener Schriftzug: Mazzolari.
Und sein Inhalt war nichts anderes als ein Parfum,
ein Eau de Toilette genauer gesagt.
Nun war unser Apotheken-Lebemann alles andere als ein
Parfumkenner, ja nicht einmal ein wirklicher Freund von
Düften. Aber er hatte eine Tante in Mailand, die Parfum
liebte und oft im Corso Monforte Nr. 2 war, wo sie in der
Profumeria Mazzolari einkaufte. Und dort kaufte sie auch
alljährlich den Duft, der jetzt bei ihm stand, als Weihnachts-
geschenk.
Dabei erfreute sich ihr Neffe gar nicht besonders daran –
er verwendete es nur bisweilen, weil er meinte, es könne
nichts schaden, nach etwas Parfum zu riechen.
Ganz und gar anders verhielt sich‘s bei seinem geheimen
Mitbewohner.
Für den war genau dieser Duft der Grund, warum er im
Hause verweilte, der wahre Grund dafür, dass er sich hier
wohlfühlte.
Fast jeden Tag, wenn der Hausherr abwesend war –
und das war mehr als oft genug der Fall – begab sich
unser Elementargeist also in das Badezimmer und nahm
sich das Fläschchen.
Er öffnete es und applizierte sich eine winzige Menge davon
auf seine Hand.
Dann zog er sich an einen anderen Ort zurück, etwa in den
Wohnraum, wo die vielen Bücher standen.
Hier gab er sich in Ruhe ganz dem Zauber des Duftes hin,
der von seiner Hand aufstieg.
Der begann mit feiner Zitrone, die auftrat wie ein leiser Herold
und hinüberführte in eine märchenhaft grün schimmernde
Waldaura. Herb und doch irgendwie liebkosend. Grün in allen
denkbaren Spielarten – wiesengrün, tannengrün, krautgrün,
blattgrün, ja gar zwergenmützengrün, hoffnungsgrün und ein
ganz klein wenig neidgrün.
Dazu harmonisch abgestimmt holzige Töne, abgeschmeckt mit
bester Waldbodenessenz und kräftigen Baumharzen.
Dunkle, verspielt rauchige Töne erklangen aus den Schatten,
Meister Vetiver leuchtete keck aus dem tiefen Waldodem
hervor. Dazu tat zart grün-bitterer Galbanum, seine gute,
balsamische Wirkung. Welch merkwürdige Vielfalt!
Blättersaft und Nadelessenz, Rindensirup und Kräutergeist
waren mit allem anderen zusammen mit am Werk, ohne sich
aber je vollständig entblößt zu zeigen.
Eine grüne Medizin, die der Wald selbst bereitet hat, grün-
aromatisch, gebraut aus dem guten Geist des Waldes.
Eine feine Süße schlich sich schließlich auf Zehenspitzen ein,
beginnend mit feiner Heu-Lieblichkeit.
Das behagliche Element des Duftes erinnerte ihn an den
früheren Bewohner des Hauses, bei dem er auch schon gelebt
und gewirkt hatte, ein Obst und Gemüsehändler, der unten
seinen Laden mit vielerlei duftenden Waren geführt hatte,
kaum 200 Jahre war es her.
Und auch damals war es der Duft der Natur, der den Wicht
im Hause hielt. So wie heute.
Ja, es stimmte schon, was einmal ein Menschenkind gesagt
hatte - die Natur ist immer neu, solange das Auge frisch bleibt.
Der Wichtel schnupperte in sich versunken weiter.
Aus dem vielgesichtigen Grün des Duftes wurde am Ende Gold,
feines, reines Gold, wie gesponnen aus Sonnenlicht, das in der Walddämmerung versinkt und still zerfließt.
Für einen Elementargeist das Schönste, das vorstellbar war,
denn es erinnerte ihn an die Vereinigung von Himmel und Erde.
So lebten sie also gemeinsam unter einem Dach und unser
kleiner Geist fühlte sich rundum wohl, weshalb er auch
stetig seine guten Kräfte über dem ganzen Anwesen
walten liess – etwas, das ihm kaum Mühe bereitete.
Der Apothekenbesitzer merkte gar nicht, dass sein Geschäft
mehr als gut lief, trotz der eigentlich schlechten Lage, trotz
der sinkenden Verkaufszahlen aufgrund von stürmisch
steigenden Online-Käufen, trotz seiner teilweise hoch-
näsigen Verkäuferinnen, trotz der viel zu hohen
Preise, die sie überall verlangten, wo es möglich war.
Und trotz vielerlei anderer Gefahren und Anfeindungen,
von denen er nichts sah oder spürte oder auch nur ahnte.
Denn der kleine Geist hielt treu und wohlwollend seine
schützende Hand über ihn.
Und Schutz, den konnte er gut brauchen, denn es waren
stürmische Zeiten.
Besonderer Dank für die großzügige Abfüllung und ein kleines
Grüßlein vom Elementargeist gehen an den lieben Jacko.
Piazza Savoia, befand sich eine alte Apotheke, die pracht-
voll renoviert war. Die blassrosa und zartgrau gestrichene
Barockfassade trug dezent goldene Ornamente, die sich
um Schaufenster und Eingang wanden. Genauso eindrucks-
voll waren die alten polierten Schubladenschränke und
Regale mit Gläsern, Tiegeln und Steinmörsern im Innern.
Der Besitzer, ein für einen Turiner recht großgewachsener
Mann in den Vierzigern, hatte das Geschäft geerbt.
Er bewohnte die großzügig geschnittene Wohnung direkt
über der Apotheke und hatte sie mit einer beeindruckenden
Mischung aus modernen Möbeln und einzelnen Antiquitäten
ausgestattet, dazu gab es deckenhohe Bücherregale.
Er las zwar kaum, empfand Bücher aber als unentbehrlich,
um bei angesagten Intellektuellen, Künstlern und Schau-
spielern, die bei ihm ein und ausgingen, Eindruck zu machen.
Und den machte er. Als beliebter Gast auf Vernissagen,
bei Modeschauen und Empfängen war er aus dem feinen
Gesellschaftsleben Turins nicht wegzudenken.
Um das Apothekengeschäft kümmerte er sich wenig.
Er hatte eine Schar kompetent wirkender und schön
anzusehender Damen angestellt, die er gut bezahlte,
damit sie sich um alles Geschäftliche kümmerten.
Für das gesamte Apothekenwesen interessierte er sich
so gut wie gar nicht, er kümmerte sich lieber in Ruhe
um Wichtigeres, wie zum Beispiel die Fotostory mit der
Wohnzeitschrift INTERNI ITALY.
Dieser Bon Vivant und Leone della società ist allerdings nur
die zweitwichtigste Person unserer Geschichte.
Die wichtigste Figur aber, im Verborgenen lebend, nie
gesehen, nie gehört, nie irgendwie wahrgenommen und
dennoch von nicht zu unterschätzender Macht,
ist nichts anderes als – ein kleiner Elementargeist.
Ein solches Wesen sollten wir uns nun jedoch nicht
als rein immaterielles Geisterwesen vorstellen, das wäre
ein ziemlicher, zugegeben weitverbreiteter, Irrtum.
Nein, näher kommen wir ihm eher, wenn wir uns
einen kleinen Wichtel vorstellen, was ja auch seinem
realen Echo entspricht, wie es den meisten aus Kinder-
büchern vertraut ist.
Aber egal, welche Vorstellung wir uns von ihm machen -
Tatsache bleibt, dass er sich in der Wohnung über der
Apotheke in der Via Corte d’Appello sehr behaglich fühlte.
Und Tatsache ist es auch, dass es dafür einen besonderen
Grund gab.
Es lag nicht etwa am Besitzer des Geschäfts oder der
Apotheke selbst, ja nicht einmal am alten Haus –
was schon eher mal vorkommt.
Nein, es lag einzig und allein an einem kleinen Fläschchen,
das sich im mit Carrara-Marmor gekachelten Badezimmer
der Wohnung befand. Rechteckig, hoch und dickglasig,
darauf ein Wappen mit zwei aufgebäumten Pferden
und ein geschwungener Schriftzug: Mazzolari.
Und sein Inhalt war nichts anderes als ein Parfum,
ein Eau de Toilette genauer gesagt.
Nun war unser Apotheken-Lebemann alles andere als ein
Parfumkenner, ja nicht einmal ein wirklicher Freund von
Düften. Aber er hatte eine Tante in Mailand, die Parfum
liebte und oft im Corso Monforte Nr. 2 war, wo sie in der
Profumeria Mazzolari einkaufte. Und dort kaufte sie auch
alljährlich den Duft, der jetzt bei ihm stand, als Weihnachts-
geschenk.
Dabei erfreute sich ihr Neffe gar nicht besonders daran –
er verwendete es nur bisweilen, weil er meinte, es könne
nichts schaden, nach etwas Parfum zu riechen.
Ganz und gar anders verhielt sich‘s bei seinem geheimen
Mitbewohner.
Für den war genau dieser Duft der Grund, warum er im
Hause verweilte, der wahre Grund dafür, dass er sich hier
wohlfühlte.
Fast jeden Tag, wenn der Hausherr abwesend war –
und das war mehr als oft genug der Fall – begab sich
unser Elementargeist also in das Badezimmer und nahm
sich das Fläschchen.
Er öffnete es und applizierte sich eine winzige Menge davon
auf seine Hand.
Dann zog er sich an einen anderen Ort zurück, etwa in den
Wohnraum, wo die vielen Bücher standen.
Hier gab er sich in Ruhe ganz dem Zauber des Duftes hin,
der von seiner Hand aufstieg.
Der begann mit feiner Zitrone, die auftrat wie ein leiser Herold
und hinüberführte in eine märchenhaft grün schimmernde
Waldaura. Herb und doch irgendwie liebkosend. Grün in allen
denkbaren Spielarten – wiesengrün, tannengrün, krautgrün,
blattgrün, ja gar zwergenmützengrün, hoffnungsgrün und ein
ganz klein wenig neidgrün.
Dazu harmonisch abgestimmt holzige Töne, abgeschmeckt mit
bester Waldbodenessenz und kräftigen Baumharzen.
Dunkle, verspielt rauchige Töne erklangen aus den Schatten,
Meister Vetiver leuchtete keck aus dem tiefen Waldodem
hervor. Dazu tat zart grün-bitterer Galbanum, seine gute,
balsamische Wirkung. Welch merkwürdige Vielfalt!
Blättersaft und Nadelessenz, Rindensirup und Kräutergeist
waren mit allem anderen zusammen mit am Werk, ohne sich
aber je vollständig entblößt zu zeigen.
Eine grüne Medizin, die der Wald selbst bereitet hat, grün-
aromatisch, gebraut aus dem guten Geist des Waldes.
Eine feine Süße schlich sich schließlich auf Zehenspitzen ein,
beginnend mit feiner Heu-Lieblichkeit.
Das behagliche Element des Duftes erinnerte ihn an den
früheren Bewohner des Hauses, bei dem er auch schon gelebt
und gewirkt hatte, ein Obst und Gemüsehändler, der unten
seinen Laden mit vielerlei duftenden Waren geführt hatte,
kaum 200 Jahre war es her.
Und auch damals war es der Duft der Natur, der den Wicht
im Hause hielt. So wie heute.
Ja, es stimmte schon, was einmal ein Menschenkind gesagt
hatte - die Natur ist immer neu, solange das Auge frisch bleibt.
Der Wichtel schnupperte in sich versunken weiter.
Aus dem vielgesichtigen Grün des Duftes wurde am Ende Gold,
feines, reines Gold, wie gesponnen aus Sonnenlicht, das in der Walddämmerung versinkt und still zerfließt.
Für einen Elementargeist das Schönste, das vorstellbar war,
denn es erinnerte ihn an die Vereinigung von Himmel und Erde.
So lebten sie also gemeinsam unter einem Dach und unser
kleiner Geist fühlte sich rundum wohl, weshalb er auch
stetig seine guten Kräfte über dem ganzen Anwesen
walten liess – etwas, das ihm kaum Mühe bereitete.
Der Apothekenbesitzer merkte gar nicht, dass sein Geschäft
mehr als gut lief, trotz der eigentlich schlechten Lage, trotz
der sinkenden Verkaufszahlen aufgrund von stürmisch
steigenden Online-Käufen, trotz seiner teilweise hoch-
näsigen Verkäuferinnen, trotz der viel zu hohen
Preise, die sie überall verlangten, wo es möglich war.
Und trotz vielerlei anderer Gefahren und Anfeindungen,
von denen er nichts sah oder spürte oder auch nur ahnte.
Denn der kleine Geist hielt treu und wohlwollend seine
schützende Hand über ihn.
Und Schutz, den konnte er gut brauchen, denn es waren
stürmische Zeiten.
Besonderer Dank für die großzügige Abfüllung und ein kleines
Grüßlein vom Elementargeist gehen an den lieben Jacko.
21 Antworten