02.02.2022 - 09:43 Uhr
FvSpee
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FvSpee
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36
Zorn ist zauberhaft
So, ihr Tugendbolde und armen Sünder:innen! Über diesen Duft hab ich nicht so wahnsinnig viel zu erzählen. Wer sich nur für das Riechding an sich interessiert, kann Lebenszeit sparen und gleich zum Ende vorscrollen. Hauptsächlich nehme ich Era zum Vorwand für Infotainment-Klugsch**reien.
Schon länger hatte ich den Gedanken, wenn ich jemals ein eigenes Label gründen sollte, vierzehn Programmdüfte zu lancieren und sie nach den sieben Kardinatugenden und den sieben Todsünden zu benennen. Aber, nicht neues unter der Sonne und Stanislaw-Lem'sches Pseudoplagiat, Memoize hatte die Idee gleichzeitig und hat sie vor mir umgesetzt. Muss man neidlos (!) anerkennen. Allerdings, soweit ich es sehen kann, lief die Umsetzung eher holprig. Schade. Gute Idee verbrannt.
Memoize ist ein eher hippes und relativ teures (177 Pfund Sterling der 100 ml-Flakon) Londoner Label, das von Holly Hitchinson mit dem Ziel gegründet wurde, reich zu werden..., äh, Entschuldigung, mit dem Ziel, den Gedanken der Tragbarkeit und Alltagstauglichkeit mit dem Hauch der Vornehmheit, Eleganz und Einzigartigkeit zu verbinden unter strikter Beachtung der Verantwortung für unseren Planeten durch nachhaltiges... Naja, man kennt das. Die Arbeit werde von einem eigens "kuratierten Team aus hocherfahrenen britischen Parfumeuren" erledigt, deren Namen aber nicht genannt werden. Die Memoize-Düfte sind anonyme Werke.
Neben einigen Einzeldüften, die in keine der beiden Reihen passen, gibt es eine schwarze Reihe mit den sieben Todsünden und eine weiße mit den, hm, naja, irgendwie Tugenden, denn von den klassischen aristotelisch-christlichen sieben Kardinaltugenden sind nur zwei dabei: caritas (Nächstenliebe) und temperantia (Mäßigung). Prudentia, iustitia, fortitudo, spes und fides sind dagegen durch die Marke-Eigenbau-Tugenden (is auch wichtig) industria, patientia, humilitas und humanitas ersetzt worden.
Bei den sieben Todsünden (die eigentlich theologisch korrekt gar keine Todsünden sind, sondern Hauptlaster oder Wurzelsünden), hat sich die schwarze Serie hingegen an das seit Papst Gregor dem Großen (ca. 600 n. Chr.) feststehende Programm gehalten. Die Düfte heißen:
Superbia (Stolz, Arroganz)
Avaritia (Geiz, Habgier)
Luxuria (Ausschweifung, Begierde)
Ira (Zorn, Rachsucht)
Gula (Gefräßigkeit, Selbstsucht)
Invidia (Neid, Eifersucht)
Tristitia (Trübsinn).
Das ist alles gut theologisch, außer dass es bei den Klassikern statt tristitia meist acedia (Feigheit, Faulheit, Herzensträgheit) heißt. Und, was noch skurriler ist, dass bei Zorn und Rachsucht (ira), also diesem Duft hier, das Wort falsch geschrieben ist. Der Duft heißt ja Era mit E. Das wort gibt es aber nicht, außer im vorklassischen Latein, wo es "Herrin" heißt. Aus dem Werbetext geht aber hervor, dass Zorn gemeint ist. Ich persönlich vermute, Memoize hat sich die Freiheit erlaubt, weil das britische Kaufpublikum mit dem Duft sonst "Irish Republican Army" assoziiert und die Polizei gerufen statt die Kreditkarte gezückt hätte.
Ethisch etwas problematisch finde ich, dass bei den Werbesprüchen diese Laster und Sünden dann (natürlich) in etwas positives umgebogen haben, nach dem Motto "Arroganz ist astrein, Zorn ist zauberhaft, Geiz ist geil". Hier zum Wüterich-Duft heißt es zum Beispiel: "The essence of passion, provocation and power. Lose control of your emotions with this powerful fragrance...". Naja. Das hätte Rumpelstilzchen noch weniger elegant formuliert.
Den Duft selbst finde ich weder jähzornig noch provokant, sondern eher ein bisschen langweilig, obwohl er sicher nicht schlecht ist. Am Anfang muss man sich ein bisschen durch eine irritierende Haarspray-Synthetik kämpfen. Wenn die sich gelegt hat, kommt ein trockener, schlicht-oudiger Holzhammer zum Vorschein, der mit einem schmatzend-reifobstigem Weichlederwiderpart Walzer tanzt. Floyds Himbeer-Assoziationen sind nachvollziehbar, und damit (Holz, Leder, Himbeer) sind wir natürlich gleich in altbekannten, um nicht zu sagen ausgelutschten Gefilden.
Die in der Herznote angegebene Blütenpracht bemerke ich nicht; es mag aber sein, dass sie in Kombination mit dem Safran für die überweichen, fast schon glibberigen Vibes sorgen, die ich als Fruchtvelours wahrnehme. Irgendwann dann verdämmert alles in einer durchaus gefälligen, trockensüßen Allgemeinbasis.
Alles in allem nehme ich diesen Duft weder als besonders sünd- noch tugendhaft wahr, mir kommt eher in den Sinn:
Bei Parfüm- und Duftesnot
bringt der Mittelweg den Tod.
Schon länger hatte ich den Gedanken, wenn ich jemals ein eigenes Label gründen sollte, vierzehn Programmdüfte zu lancieren und sie nach den sieben Kardinatugenden und den sieben Todsünden zu benennen. Aber, nicht neues unter der Sonne und Stanislaw-Lem'sches Pseudoplagiat, Memoize hatte die Idee gleichzeitig und hat sie vor mir umgesetzt. Muss man neidlos (!) anerkennen. Allerdings, soweit ich es sehen kann, lief die Umsetzung eher holprig. Schade. Gute Idee verbrannt.
Memoize ist ein eher hippes und relativ teures (177 Pfund Sterling der 100 ml-Flakon) Londoner Label, das von Holly Hitchinson mit dem Ziel gegründet wurde, reich zu werden..., äh, Entschuldigung, mit dem Ziel, den Gedanken der Tragbarkeit und Alltagstauglichkeit mit dem Hauch der Vornehmheit, Eleganz und Einzigartigkeit zu verbinden unter strikter Beachtung der Verantwortung für unseren Planeten durch nachhaltiges... Naja, man kennt das. Die Arbeit werde von einem eigens "kuratierten Team aus hocherfahrenen britischen Parfumeuren" erledigt, deren Namen aber nicht genannt werden. Die Memoize-Düfte sind anonyme Werke.
Neben einigen Einzeldüften, die in keine der beiden Reihen passen, gibt es eine schwarze Reihe mit den sieben Todsünden und eine weiße mit den, hm, naja, irgendwie Tugenden, denn von den klassischen aristotelisch-christlichen sieben Kardinaltugenden sind nur zwei dabei: caritas (Nächstenliebe) und temperantia (Mäßigung). Prudentia, iustitia, fortitudo, spes und fides sind dagegen durch die Marke-Eigenbau-Tugenden (is auch wichtig) industria, patientia, humilitas und humanitas ersetzt worden.
Bei den sieben Todsünden (die eigentlich theologisch korrekt gar keine Todsünden sind, sondern Hauptlaster oder Wurzelsünden), hat sich die schwarze Serie hingegen an das seit Papst Gregor dem Großen (ca. 600 n. Chr.) feststehende Programm gehalten. Die Düfte heißen:
Superbia (Stolz, Arroganz)
Avaritia (Geiz, Habgier)
Luxuria (Ausschweifung, Begierde)
Ira (Zorn, Rachsucht)
Gula (Gefräßigkeit, Selbstsucht)
Invidia (Neid, Eifersucht)
Tristitia (Trübsinn).
Das ist alles gut theologisch, außer dass es bei den Klassikern statt tristitia meist acedia (Feigheit, Faulheit, Herzensträgheit) heißt. Und, was noch skurriler ist, dass bei Zorn und Rachsucht (ira), also diesem Duft hier, das Wort falsch geschrieben ist. Der Duft heißt ja Era mit E. Das wort gibt es aber nicht, außer im vorklassischen Latein, wo es "Herrin" heißt. Aus dem Werbetext geht aber hervor, dass Zorn gemeint ist. Ich persönlich vermute, Memoize hat sich die Freiheit erlaubt, weil das britische Kaufpublikum mit dem Duft sonst "Irish Republican Army" assoziiert und die Polizei gerufen statt die Kreditkarte gezückt hätte.
Ethisch etwas problematisch finde ich, dass bei den Werbesprüchen diese Laster und Sünden dann (natürlich) in etwas positives umgebogen haben, nach dem Motto "Arroganz ist astrein, Zorn ist zauberhaft, Geiz ist geil". Hier zum Wüterich-Duft heißt es zum Beispiel: "The essence of passion, provocation and power. Lose control of your emotions with this powerful fragrance...". Naja. Das hätte Rumpelstilzchen noch weniger elegant formuliert.
Den Duft selbst finde ich weder jähzornig noch provokant, sondern eher ein bisschen langweilig, obwohl er sicher nicht schlecht ist. Am Anfang muss man sich ein bisschen durch eine irritierende Haarspray-Synthetik kämpfen. Wenn die sich gelegt hat, kommt ein trockener, schlicht-oudiger Holzhammer zum Vorschein, der mit einem schmatzend-reifobstigem Weichlederwiderpart Walzer tanzt. Floyds Himbeer-Assoziationen sind nachvollziehbar, und damit (Holz, Leder, Himbeer) sind wir natürlich gleich in altbekannten, um nicht zu sagen ausgelutschten Gefilden.
Die in der Herznote angegebene Blütenpracht bemerke ich nicht; es mag aber sein, dass sie in Kombination mit dem Safran für die überweichen, fast schon glibberigen Vibes sorgen, die ich als Fruchtvelours wahrnehme. Irgendwann dann verdämmert alles in einer durchaus gefälligen, trockensüßen Allgemeinbasis.
Alles in allem nehme ich diesen Duft weder als besonders sünd- noch tugendhaft wahr, mir kommt eher in den Sinn:
Bei Parfüm- und Duftesnot
bringt der Mittelweg den Tod.
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