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Top Rezension
Sturm der Emanzipation
Habanita – zu Deutsch etwa „kleines Havanna, die Essenz von Havanna“, der Verkaufsschlager aus dem Hause Molinard. Die Urversion erschien 1921 und wurde von einem bis heute nicht weiter als „Herr Boucanier“ bekannten Pharmazeutiker geschaffen. Im Laufe von mittlerweile einem Jahrhundert wurde das Parfum mehrmals reformuliert. Was zeichnet dieses Wasser aus, dass es weiterhin produziert wird und Menschen weltweit begeistert?
René Lalique, „einer der bekanntesten Schmuck- und Glaskünstler des Art Déco“, hat den ursprünglichen schwarzen Flakon kreiert und nannte sein Werk schlicht „Schönheit“. Der 1988er Flakon ist daran angelehnt und wird von goldenen Schriftzügen und nackten Nymphen auf gesondertem Fries geziert. Farbsymbolik: Schwarz: Eleganz, Modernität – Gold: Freiheit, Abenteuerlust. Ein Blick auf den Flakon verrät, was die Intention des Dufts ist und für welche Anlässe sich dieser eignet – Golfen, Briefmarken sortieren und Kindergeburtstage gehören nicht dazu.
Grob kategorisieren kann man Habanita als orientalischen Leder-Chypre. Hierbei handelt es sich um einen fein ineinander verwobenen Duftcocktail, der laut Aussage von Molinard in seiner Urversion aus über 600 Rohstoffen zusammengesetzt war. Werde ich diese einzeln aufschlüsseln? Bestimmt nicht. Habanita ist ein leidenschaftlicher Sturm, der alle beinhalteten Duftstoffe gnadenlos mitreißt – Gewürze, Blumen, Kräuter und Hölzer warten wirbelnd in der Dunkelheit auf den Augenblick, sich an die Haut zu krallen.
Der Sturm zieht herb würzig herauf, tost lautstark und wird im Verlauf ruhiger. Fruchtige Schüchternheit blitzt spontan auf; irgendwo sausen auch Blumen mit, die den Sturm etwas aufhellen und ihn nicht ins Finstere abdriften lassen. All das wird anschließend von holzigen Akkorden, rauchig-pudrigen Nuancen und Leder umschlungen – bis zuletzt steht ein trockener Vanilleturm im Auge des Sturms. Wie ein richtiger Sturm, ist der Duft nie wirklich greifbar, da er stets in Bewegung ist. Habanita ist jedoch keineswegs aufdringlich, dass sie einen förmlich wegfegt, sondern immer stilvoll und ansprechend – wie ein gefühlvoller Blick, der ohne Worte alles offenbart. In Summe eine warme, sinnliche und elegante fein austarierte Melange, die seinesgleichen sucht. Wer den Duftverlauf genauer kennenlernen möchte, wird fündig im Kommentar von Serenissima.
Habanita trägt sich ausgezeichnet auf Männerhaut. Verblüfft? Ich auch! Im Vergleich zu „klassischen Damenparfüms“ tendiert Habanita für mich nie exklusiv in eine genderspezifische Richtung. Vergleichbares schaffen nur wenige ausgewählte Vintagedamen wie z. B. Bandit, Cabochard, Tabac Blond oder Shalimar. Habanita vollführt eine perfekte Symbiose aus femininen und maskulinen Attributen, dadurch wird sie zur olfaktorischen Bereicherung für alle: Zweiklang im Einklang.
In den 1920er galt es als chic und modern zu rauchen – kosmopolitische Frauen griffen folglich zur Zigarette. Habanita war ursprünglich zur Beduftung von Zigaretten gedacht. So konnte man Zigarettenschachteln mit kleinen Duftsäckchen ausstatten oder Zigaretten mit der Flüssigkeit direkt beträufeln; das sollte den Geruch des Qualms kaschieren. Ironisch, dass man dafür einen Duft wählte, der mitunter rauchig roch. Der erstklassige Duft fand so großen Anklang, dass man ihn zunächst als Seife und anschließend als Parfüm für Frauen vermarktete. 1924, wenige Jahre nach dem Ende der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wollte man die dunkle Zeit vergessen und genoss das Leben – es war eine Zeit des ausgelassenen Feierns und der grenzenlosen Freiheit. Frauen begannen aus den Fesseln der traditionellen Geschlechterrolle auszubrechen und nahmen mehr als je zuvor am gesellschaftlichen Leben teil: der sukzessive Beginn der zweiten Welle der Frauenbewegung Mitter der 1940er. Habanita ist ein Produkt dieses Zeitgeists und vermittelt diesen in Perfektion.
Habanita ist kein süßes Mauerblümchen, das träumend im Turm auf die Rettung durch einen Prinzen wartet; sie ist kühn und erkämpft sich ihre Freiheit selbst, macht keine Gefangenen und ergreift im Sturm alles, wonach es ihr verlangt – sie ist selbstbewusst, unabhängig, charakterstark und ambitioniert: Habanita verkörpert die weibliche Emanzipation.
Passender Musik: Rodrigo y Gabriela – Hanuman
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Vielen Dank an Cappellusman für die stürmische Bekanntschaft!
René Lalique, „einer der bekanntesten Schmuck- und Glaskünstler des Art Déco“, hat den ursprünglichen schwarzen Flakon kreiert und nannte sein Werk schlicht „Schönheit“. Der 1988er Flakon ist daran angelehnt und wird von goldenen Schriftzügen und nackten Nymphen auf gesondertem Fries geziert. Farbsymbolik: Schwarz: Eleganz, Modernität – Gold: Freiheit, Abenteuerlust. Ein Blick auf den Flakon verrät, was die Intention des Dufts ist und für welche Anlässe sich dieser eignet – Golfen, Briefmarken sortieren und Kindergeburtstage gehören nicht dazu.
Grob kategorisieren kann man Habanita als orientalischen Leder-Chypre. Hierbei handelt es sich um einen fein ineinander verwobenen Duftcocktail, der laut Aussage von Molinard in seiner Urversion aus über 600 Rohstoffen zusammengesetzt war. Werde ich diese einzeln aufschlüsseln? Bestimmt nicht. Habanita ist ein leidenschaftlicher Sturm, der alle beinhalteten Duftstoffe gnadenlos mitreißt – Gewürze, Blumen, Kräuter und Hölzer warten wirbelnd in der Dunkelheit auf den Augenblick, sich an die Haut zu krallen.
Der Sturm zieht herb würzig herauf, tost lautstark und wird im Verlauf ruhiger. Fruchtige Schüchternheit blitzt spontan auf; irgendwo sausen auch Blumen mit, die den Sturm etwas aufhellen und ihn nicht ins Finstere abdriften lassen. All das wird anschließend von holzigen Akkorden, rauchig-pudrigen Nuancen und Leder umschlungen – bis zuletzt steht ein trockener Vanilleturm im Auge des Sturms. Wie ein richtiger Sturm, ist der Duft nie wirklich greifbar, da er stets in Bewegung ist. Habanita ist jedoch keineswegs aufdringlich, dass sie einen förmlich wegfegt, sondern immer stilvoll und ansprechend – wie ein gefühlvoller Blick, der ohne Worte alles offenbart. In Summe eine warme, sinnliche und elegante fein austarierte Melange, die seinesgleichen sucht. Wer den Duftverlauf genauer kennenlernen möchte, wird fündig im Kommentar von Serenissima.
Habanita trägt sich ausgezeichnet auf Männerhaut. Verblüfft? Ich auch! Im Vergleich zu „klassischen Damenparfüms“ tendiert Habanita für mich nie exklusiv in eine genderspezifische Richtung. Vergleichbares schaffen nur wenige ausgewählte Vintagedamen wie z. B. Bandit, Cabochard, Tabac Blond oder Shalimar. Habanita vollführt eine perfekte Symbiose aus femininen und maskulinen Attributen, dadurch wird sie zur olfaktorischen Bereicherung für alle: Zweiklang im Einklang.
In den 1920er galt es als chic und modern zu rauchen – kosmopolitische Frauen griffen folglich zur Zigarette. Habanita war ursprünglich zur Beduftung von Zigaretten gedacht. So konnte man Zigarettenschachteln mit kleinen Duftsäckchen ausstatten oder Zigaretten mit der Flüssigkeit direkt beträufeln; das sollte den Geruch des Qualms kaschieren. Ironisch, dass man dafür einen Duft wählte, der mitunter rauchig roch. Der erstklassige Duft fand so großen Anklang, dass man ihn zunächst als Seife und anschließend als Parfüm für Frauen vermarktete. 1924, wenige Jahre nach dem Ende der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, wollte man die dunkle Zeit vergessen und genoss das Leben – es war eine Zeit des ausgelassenen Feierns und der grenzenlosen Freiheit. Frauen begannen aus den Fesseln der traditionellen Geschlechterrolle auszubrechen und nahmen mehr als je zuvor am gesellschaftlichen Leben teil: der sukzessive Beginn der zweiten Welle der Frauenbewegung Mitter der 1940er. Habanita ist ein Produkt dieses Zeitgeists und vermittelt diesen in Perfektion.
Habanita ist kein süßes Mauerblümchen, das träumend im Turm auf die Rettung durch einen Prinzen wartet; sie ist kühn und erkämpft sich ihre Freiheit selbst, macht keine Gefangenen und ergreift im Sturm alles, wonach es ihr verlangt – sie ist selbstbewusst, unabhängig, charakterstark und ambitioniert: Habanita verkörpert die weibliche Emanzipation.
Passender Musik: Rodrigo y Gabriela – Hanuman
Vielen Dank fürs Lesen und weiterhin viel Spaß beim Entdecken neuer Düfte!
Vielen Dank an Cappellusman für die stürmische Bekanntschaft!
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