30.05.2014 - 03:28 Uhr
Naaase
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Der Duft einer Familie
Der Duft einer Familie
Roberto hatte Angst. Denn: Mit der "Familie" ist nicht zu scherzen. Das wusste er. Das hatte man ihm schon beigebracht, als er noch ein kleines Kind gewesen war. Schon damals hatte ihn "Don Alfredo" auf seinen knochigen Schoß genommen. Hatte ihn mit seinen tief liegenden dunkelbraunen Augen lange angesehen und mit heiserer Stimme stets gekrächzt: "Roberto, merke Dir eins: Man wendet sich nicht gegen die Familie !" Und das Wort "Familie" hatte "Don Alfredo" stets so bedeutungsschwanger lang gezogen, dass man hätte meinen können, man schreibe dieses Wort mit mehren "Ä" am Ende. Lange hatte ihn darauf hin "Don Alfredo" angesehen, ja fast schon angestarrt. Und mit einer unerwartet raschen Bewegung seines knorrigen Körpers hatte "Don Alfredo" den damals noch kleinen Jungen urplötzlich runter geschubst. Einfach so. Mit einer schnellen und fast schon herrischen Bewegung. "Robertino" - wie alle ihn damals noch nannten- war überrascht zu Boden gefallen und trotz des plötzlich aufkommenden Schmerzes ob des Sturzes hatte er sich nicht getraut zu weinen. Denn: Alle wussten, dass "Don Alfredo" keine Schwächen duldete. Und erst recht keine Tränen. Und so hatte sich der kleine Junge stets auf die Zähne gebissen und war eiligst weg gelaufen. Doch das hatte "Don Alfredo" schon gar nicht mehr gesehen; vielmehr hatte er bereits nach wenigen Atemzügen den kleinen Jungen und erst recht die -sehr einseitig geführte Unterhaltung mit diesem- vollends vergessen. Dringende Familienangelegenheiten hatten stets auf ihn gewartet. Doch diese Gespräche sind Roberto bis zum heutigen Tag in Erinnerung geblieben. So auch jetzt. Jetzt, in der Stunde seiner Angst. Denn er hatte das getan, vor dem ihn "Don Alfredo" stets gewarnt hatte. Dabei hatte er es nicht einmal für sich selbst getan. Nein, seine Frau Maria war gerade mit dem dritten Kund schwanger. Endlich ein Junge - ein Stammhalter nach zwei Mädchen. Jedenfalls war die ärmlich eingerichtete Zwei-Zimmer-Wohnung Im malerischen Städtchen "Castelvetrano" nunmehr zu klein geworden. "Und wenn da nicht diese Arbeitslosigkeit wäre..." schoss es Roberto durch den Kopf. Und da war er offensichtlich der Versuchung erlegen. "Na ja, es war ja nur ein einziges Mal..." rechtfertigte sich Roberto -so ganz im Stillen- vor sich selbst. "Nur ein einziges Mal !" wiederholte er gedankenverloren. "Wenn da nicht dieser verdammte..." Roberto erschrak: Jetzt hatte er doch schon wieder geflucht. Dabei hatte ihm doch seine wunderschöne Frau Maria und nicht auch zuletzt das mächtige Familienoberhaupt "Don Alfredo" jedwede Gotteslästerung verboten. "Gott, verzeihe mir diese kleine Schwäche ..." betete Roberto mit flehendem Blick nach oben "... und mach', dass 'Don Alfredo' mir vergibt." Roberto senkte seinen Blick: "Es war doch nur dieses eine Geschäft. Und da ist mir wohl dieses Familiengeheimnis über die Lippen gekommen. Einfach so. Aber, wir hatten ja auch nichts mehr zu Essen." Doch für weitere Gedanken blieb ihm keine Zeit. Denn ein plötzlicher Geruch stieg in seine Nase: Eine "Armada an Zitrusfrüchten" konnte er wahrnehmen: Eine saftige Bergamotte, eine natürliche Zitrone. Aber auch Grapefruit und Mandarine waren dabei. Er erinnerte sich, wie er vor vielen Jahren als kleiner Junge mit "Don Alfredo" durch den Park des Familienanwesens spaziert war. "Don Alfredo" hatte mit seinen langen knochigen Fingern zu den für den kleinen Robertino unerreichbar hoch hängenden reifen Früchten gegriffen, diese behände mit einem Taschenmesser aufgeschnitten und sie dem Jungen zu Kosten gegeben. "War das eine Erfrischung !" schoss es Roberto durch den Kopf. Und selbst in diesen für ihn und seine Familie so schweren Stunden konnte er sich noch an die erfrischende Säure der Zitronen, die geheimnisvolle Süße der Mandarinen und auch an den für ihn damals noch so ungewohnten Duft einer kalabrischen Bergamotte erinnern. "Was ist mit mir los ? Woher kommt dieser Duft ? Phantasiere ich bereits ?" dachte Roberto und bemerkte nicht, dass ihm immer mehr Schweißperlen über seine vor Anstrengung ohnehin schon rot gefärbte Stirn liefen. Doch, so plötzlich, wie dieser fruchtige Duft gekommen war, so schnell war er nunmehr auch schon wieder verschwunden. Kein Hauch einer Frucht. Dafür nahm Roberto nun plötzlich viele viele würzige Noten wahr: Lavendel drang in seine Nase. Doch hatte er diesen kaum wahrgenommen begannen urplötzlich Estragon und Rosmarin, sich olfaktorisch um seine Aufmerksamkeit und nicht zuletzt um seine Gunst zu balgen. Ein ganzer Gewürzgarten drang mit einem Mal zu ihm vor: Estragon, Rosmarin und Lavendel lösten nun vollends den anfänglichen Obstgarten ab und reinigten seine Gedanken. "Ein angenehmer Duft !" schoss es Roberto durch den Kopf. Just, als sich würziger Wacholder zu diesem Trio gesellte. In Roberto stieg eine Wärme auf. Es war eine wohlige Wärme. In gleichem Maße angenehm und geheimnisvoll: Amber und edle Hölzer -mit einem Hauch von Vanille umweht. Aber auch irgendwie männlich. Dunkel. Geheimnisvoll. Und würzig, da Roberto nach wie vor deutlich Lavendel, Estragon und Rosmarin wahrnehmen konnte. "Woher kommt dieser Duft ?" fragte sich Roberto immer und immer wieder. "Er kommt mir doch so vertraut vor. Sehr vertraut sogar. Irgendwie, als hätte mich dieser Duft ein Leben lang begleitet." Doch dafür war jetzt keine Zeit. Roberto musste Weg von hier. Weg aus diesem alten Fabrikgebäude. Mit einer raschen Bewegung trat er aus seinem Versteck heraus. Hinein in das helle Licht einer Glühbirne, die einsam von der Decke hing. Doch da hörte er plötzlich einen Schuss. Da fiel ihm plötzlich ein, dass "Don Alfredo" stets "Vespri Esperidati Colonia Maxima" von Nobile 1942 getragen hatte. Doch dann wurde es dunkel um Roberto...
Roberto hatte Angst. Denn: Mit der "Familie" ist nicht zu scherzen. Das wusste er. Das hatte man ihm schon beigebracht, als er noch ein kleines Kind gewesen war. Schon damals hatte ihn "Don Alfredo" auf seinen knochigen Schoß genommen. Hatte ihn mit seinen tief liegenden dunkelbraunen Augen lange angesehen und mit heiserer Stimme stets gekrächzt: "Roberto, merke Dir eins: Man wendet sich nicht gegen die Familie !" Und das Wort "Familie" hatte "Don Alfredo" stets so bedeutungsschwanger lang gezogen, dass man hätte meinen können, man schreibe dieses Wort mit mehren "Ä" am Ende. Lange hatte ihn darauf hin "Don Alfredo" angesehen, ja fast schon angestarrt. Und mit einer unerwartet raschen Bewegung seines knorrigen Körpers hatte "Don Alfredo" den damals noch kleinen Jungen urplötzlich runter geschubst. Einfach so. Mit einer schnellen und fast schon herrischen Bewegung. "Robertino" - wie alle ihn damals noch nannten- war überrascht zu Boden gefallen und trotz des plötzlich aufkommenden Schmerzes ob des Sturzes hatte er sich nicht getraut zu weinen. Denn: Alle wussten, dass "Don Alfredo" keine Schwächen duldete. Und erst recht keine Tränen. Und so hatte sich der kleine Junge stets auf die Zähne gebissen und war eiligst weg gelaufen. Doch das hatte "Don Alfredo" schon gar nicht mehr gesehen; vielmehr hatte er bereits nach wenigen Atemzügen den kleinen Jungen und erst recht die -sehr einseitig geführte Unterhaltung mit diesem- vollends vergessen. Dringende Familienangelegenheiten hatten stets auf ihn gewartet. Doch diese Gespräche sind Roberto bis zum heutigen Tag in Erinnerung geblieben. So auch jetzt. Jetzt, in der Stunde seiner Angst. Denn er hatte das getan, vor dem ihn "Don Alfredo" stets gewarnt hatte. Dabei hatte er es nicht einmal für sich selbst getan. Nein, seine Frau Maria war gerade mit dem dritten Kund schwanger. Endlich ein Junge - ein Stammhalter nach zwei Mädchen. Jedenfalls war die ärmlich eingerichtete Zwei-Zimmer-Wohnung Im malerischen Städtchen "Castelvetrano" nunmehr zu klein geworden. "Und wenn da nicht diese Arbeitslosigkeit wäre..." schoss es Roberto durch den Kopf. Und da war er offensichtlich der Versuchung erlegen. "Na ja, es war ja nur ein einziges Mal..." rechtfertigte sich Roberto -so ganz im Stillen- vor sich selbst. "Nur ein einziges Mal !" wiederholte er gedankenverloren. "Wenn da nicht dieser verdammte..." Roberto erschrak: Jetzt hatte er doch schon wieder geflucht. Dabei hatte ihm doch seine wunderschöne Frau Maria und nicht auch zuletzt das mächtige Familienoberhaupt "Don Alfredo" jedwede Gotteslästerung verboten. "Gott, verzeihe mir diese kleine Schwäche ..." betete Roberto mit flehendem Blick nach oben "... und mach', dass 'Don Alfredo' mir vergibt." Roberto senkte seinen Blick: "Es war doch nur dieses eine Geschäft. Und da ist mir wohl dieses Familiengeheimnis über die Lippen gekommen. Einfach so. Aber, wir hatten ja auch nichts mehr zu Essen." Doch für weitere Gedanken blieb ihm keine Zeit. Denn ein plötzlicher Geruch stieg in seine Nase: Eine "Armada an Zitrusfrüchten" konnte er wahrnehmen: Eine saftige Bergamotte, eine natürliche Zitrone. Aber auch Grapefruit und Mandarine waren dabei. Er erinnerte sich, wie er vor vielen Jahren als kleiner Junge mit "Don Alfredo" durch den Park des Familienanwesens spaziert war. "Don Alfredo" hatte mit seinen langen knochigen Fingern zu den für den kleinen Robertino unerreichbar hoch hängenden reifen Früchten gegriffen, diese behände mit einem Taschenmesser aufgeschnitten und sie dem Jungen zu Kosten gegeben. "War das eine Erfrischung !" schoss es Roberto durch den Kopf. Und selbst in diesen für ihn und seine Familie so schweren Stunden konnte er sich noch an die erfrischende Säure der Zitronen, die geheimnisvolle Süße der Mandarinen und auch an den für ihn damals noch so ungewohnten Duft einer kalabrischen Bergamotte erinnern. "Was ist mit mir los ? Woher kommt dieser Duft ? Phantasiere ich bereits ?" dachte Roberto und bemerkte nicht, dass ihm immer mehr Schweißperlen über seine vor Anstrengung ohnehin schon rot gefärbte Stirn liefen. Doch, so plötzlich, wie dieser fruchtige Duft gekommen war, so schnell war er nunmehr auch schon wieder verschwunden. Kein Hauch einer Frucht. Dafür nahm Roberto nun plötzlich viele viele würzige Noten wahr: Lavendel drang in seine Nase. Doch hatte er diesen kaum wahrgenommen begannen urplötzlich Estragon und Rosmarin, sich olfaktorisch um seine Aufmerksamkeit und nicht zuletzt um seine Gunst zu balgen. Ein ganzer Gewürzgarten drang mit einem Mal zu ihm vor: Estragon, Rosmarin und Lavendel lösten nun vollends den anfänglichen Obstgarten ab und reinigten seine Gedanken. "Ein angenehmer Duft !" schoss es Roberto durch den Kopf. Just, als sich würziger Wacholder zu diesem Trio gesellte. In Roberto stieg eine Wärme auf. Es war eine wohlige Wärme. In gleichem Maße angenehm und geheimnisvoll: Amber und edle Hölzer -mit einem Hauch von Vanille umweht. Aber auch irgendwie männlich. Dunkel. Geheimnisvoll. Und würzig, da Roberto nach wie vor deutlich Lavendel, Estragon und Rosmarin wahrnehmen konnte. "Woher kommt dieser Duft ?" fragte sich Roberto immer und immer wieder. "Er kommt mir doch so vertraut vor. Sehr vertraut sogar. Irgendwie, als hätte mich dieser Duft ein Leben lang begleitet." Doch dafür war jetzt keine Zeit. Roberto musste Weg von hier. Weg aus diesem alten Fabrikgebäude. Mit einer raschen Bewegung trat er aus seinem Versteck heraus. Hinein in das helle Licht einer Glühbirne, die einsam von der Decke hing. Doch da hörte er plötzlich einen Schuss. Da fiel ihm plötzlich ein, dass "Don Alfredo" stets "Vespri Esperidati Colonia Maxima" von Nobile 1942 getragen hatte. Doch dann wurde es dunkel um Roberto...
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