Krasnaya Moskva
Красная Москва
1925

Konsalik
22.05.2022 - 11:33 Uhr
23
Top Rezension
10
Preis
8
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Achse "Madrid - Wien - Moskau"

Es gibt eine weithin unbekannte, europäische Duftsignatur, die von Österreich nach Spanien reicht und somit, in Ermangelung eines treffenderen Vergleiches, von einem lieben Mitparfumo als "habsburgisch" bezeichnet wurde. Aufgeflogen ist diese untergründige Linie durch den Vergleich zweier alter Granden kontinentaler Parfumeurskunst: "Knize Ten" und "Varon Dandy", die beide als Signaturdüfte ihrer jeweiligen Herkunftsländer anzusprechen sind - zumindest kann dies für weite Teile des 20. Jahrhunderts gelten.

Dieser habsburgische Abschiedsakkord (steinobstsüß, dezent blumig und glimmend-eichenholzig in vollster, beglückender Chypre-Opulenz) diente nun beiden genannten Referenzdüften als Rückgrat, das dem Rezensenten, bei allen wahrnehmbaren Unterschieden an der Oberfläche, doch eine ganz klare Verwandtschaft offenbar werden ließ; die vielbesungene "Guerlinade" drängt sich hier als Vergleich auf.

Wenige Minuten mit einem Tropfen "Rotes Moskau" auf dem Handrücken reichen aus, um diese Verwandschaftslinie im Geiste nach Nordosten zu verlängern. Dieses alte Flagschiff von Novaya Zarya zeigt sich weniger holzig, dafür mit stärkerer Rose, etwas hinzugefügter Vanille und mit einem Hauch von orangig-bitterer Frische, aber dennoch: Die dunkle, vielgestaltige, melancholische und dennoch freundliche Opulenz von Knize ist hier zu deutlich versammelt, als dass man eine Verwandtschaft abstreiten könnte. Überdies zeigt sich im späteren Duftverlauf (vielleicht durch die Vanille) eine gewisse Nähe zu "Russian Water" von Anglia Perfumery; ich habe diese Ähnlichkeit bestimmt nicht des Namens wegen gesucht, sie schien ganz unvermittelt auf. Einige Aldehyde sind hier auch eingearbeitet, aber gerade so dosiert, dass sie strahlen, um zu heben - nicht, um zu stechen. "Chanel No.5" verursacht bei mir Kopfweh, "Rotes Mokau" ist davon weit entfernt. Dabei würde man doch bei dem Gedanken an russische Opulenz genau das Gegenteil annehmen. Aber nein: "Rotes Moskau" ist, ebenso wie "Knize Ten" und "Varon Dandy", ein konservativer Duft der 1920er Jahre; dominante Aldehyde wie in besagtem Chanel-Klassiker waren (man mag es rückblickend kaum glauben) experimentell und progressiv.

Gerade ob seines hohen Alters und seiner, für heutige Nasen, nicht gerade archetypischen Femininität (nur sehr sanfte Aldehyde, kein Pfirsichgewölk o.ä.), halte ich "Rotes Moskau" somit für uneingeschränkt unisex, sofern der Herr bzw. die Dame dieser alten Interpretation eines Chypreduftes grundsätzlich zugeneigt ist.

Nun, ist die Habsburgtheorie mit diesem Duft hinfällig? Ich denke nicht. Jedoch ist sie in diesem Fall als erweiterte, kontinentaleuropäische Nachkriegsduftsignatur aufzufassen. Eine Klasse von Düften, deren farbenfrohes, dufthungriges Aufatmen nach vier Jahren Krieg nicht mit einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit (zu teuer) erkauft wurde, sondern im Bewusstsein des Verlustes alles Gewesene noch einmal in seiner mürben Reifeform versammelt und unter den Schirm des Kommenden stellt.

Und wenn zur Zeit viel von einer immer endgültiger werdenden Abwendung Russlands von Europa die Rede ist, bleibt "Rotes Moskau" ein Zeugnis jener Epoche, als sich das komplizierte Verhältnis Russlands zu Europa ("den Westen" in unserem Verständnis gab es noch nicht) noch in schwebender Ambivalenz befand - und so wäre "Weißes Sankt Petersburg" vielleicht ein treffenderer Name gewesen.
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