Russian Forest
Русский лес
1982

Konsalik
11.04.2022 - 11:17 Uhr
16
Top Rezension
10
Preis
7
Sillage
6
Haltbarkeit
7.5
Duft

Waldgeflüster unter Birken

Gute, "anständige" Reinlichkeit aus alten Tagen scheint einer der parfumologischen Leitbegriffe in der Veröffentlichungsgeschichte des Hauses Novaya Zarya zu sein. Denn wie zuvor schon "Consul" (glorified WC-Ente bzw. Scheuermilch) und "Shipr" (blumige Textilbeduftung) umweht auch "Russischer Wald" ein Hauch von gebügelter Gardine und geklöppeltem Untersetzer für die Obstschale.

Für meine Nase ist der gesamte Waldgang, zu dem uns "Russischer Wald" dem Namen nach einladen möchte, unterlegt mit dem stabilen, hellen Duft von Gallseife. Das ist per se weder gut, noch schlecht und ich für meinen Teil schätze durchaus die Haltung, die damit ausgerückt wird: Kampf dem Kragenspeck! Aber was hat das mit "Wald" zu tun? Nadelhölzer, Harz und Ähnliches geben sich allenfalls verschämt zu erkennen, Blumiges schon eher (cremig-hochgeschlossene Iris!). Zur Entschlüsselung des spezifischen Waldcharakters kam mir in diesem Fall die Gestaltung des Flaschenetiketts in seiner derzeitigen Version zu Hilfe.

Abgebildet ist ein biedermeierliches Idyll eines mit Birken gesäumten Waldweges. Während der Rest der Familie (Dame mit kleinem Sonnenschirm, Töchterchen im rosafarbenen Rock, Vater mit Zylinder) diskret Abstand hält, flaniert im Bildvordergrund eine junge Dame in innigem Gespräch mit einem soldatisch anmutenden Herrn. Eine Jane Austen-Szene also, der Wald Panorama und Symbol abgeschiedener Aussprache und Klärung.

Das ist also mit "Russischer Wald" gemeint: Nicht die enigmatische Wildheit sibirischer Ferne, sondern ein zivilisationsnaher, erschlossener Rückzugsraum im St. Petersburger Umland. Und so, wie sich "Russischer Wald" in seiner Komposition darstellt (ähnlich verwaschen und verhalten wie schon "Shipr"), könnte es auch während des Gesprächs der beiden Verliebten im Bildvordergrund gerochen haben: Die Sonntagskleider frisch gereinigt, die widerborstigen Grasflecken an Saum und Rockschoß mit Gallseife herausgerieben, ein dezentes, florales Wässerchen hinter den Ohrläppchen der Dame, von den rückwärtigen Birken her ein schwacher Duft von Grün und trockenem Boden. Alles hochanständig und, ich meine das gänzlich unironisch, wirklich schön!

Dies ist der erste Duft des Hauses, den ich zumindest Freunden klassischer bis archaischer Duftsignaturen wirklich empfehlen möchte, nicht nur angesichts des absurd niedrigen Preises von 1,99€/100ml. Bleiben noch zwei Schwergewichte des Hauses, die es zu besprechen gilt: "Rotes Moskau" (Parfum) sowie "Or des Scythes" (EdP).
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