Severny Северный Nóvaya Zaryá / Новая Заря 1911
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Top Rezension
Colognisten-Café: Nördliche Depressionen
1911 (vor 111 Jahren):
Das von nach Russland übergesiedelten Franzosen gegründete Dufthaus "Brocard", damals einer der Weltmarktführer, auch für Colognes, lanciert 'Severny'.
Das Wort ist Russisch und bedeutet 'Nord"/'Nördlich'. Wie bei so vielen wirklich sehr alten Düften ist heute nicht mehr festzustellen, wie das Ur-Severny duftete. In diesem Fall sind wahrscheinlich auch keine Duftproben aus den frühen Jahren mehr erhalten, und wenn ja, sind sie nicht mehr intakt. Vielleicht mag es irgendwo in Archiven noch alte Warenkataloge geben, in denen der Duft mit Worten beschrieben wird.
Ein Teil des alten Brocard-Portfolios ist heute, nach etlichen Marken- und Rechtsformwechseln, vom (Billig-) Dufthaus Novaya Zarya übernommen worden. So das wunderschöne florale Cologne, das hier kürzlich, noch zu Friedenszeiten, durchs Colognisten-Café gereicht wurde, und so auch dieses - jedenfalls in der heutigen Formulierung unbedeutende - Wässerchen.
Eine gewisse kühle Frische scheint dem Duft innezuwohnen, wobei die Frage berechtigt ist, ob man da nicht einer Autosuggestion durch den Namen aufsitzt. Der Versuch einer kritischen Analyse deutet am ehesten auf so etwas wie eine leicht scharfe Frische im Stil von Tomatenblatt- oder Geißblattaromen hin. Diese Frische ist aber alles andere als dominant. Charakterisch für den Duft ist weniger der klirrende sibirische Winter als die schlammige Tauperiode danach: olfaktorische Brauntöne, erdig und unspezifisch würzig, dazu fast stickige grüne Noten, bei denen man vielleicht kurz an die Hermès-Gärten denkt.
Insgesamt bleibt kein fester Eindruck, der Duft wirkt verwirrt und ziellos.
(...)
Ich vermute, dass 'Serverny' auch in seiner Ursprungsfassung kein Jahrhunderduft gewesen ist. Von monumentaler Bedeutung ist aber der Flakon. Der heutige Flakon präsentiert den Eisbär auf dem Eisberg in einer verballhornten, vergröberten Fassung. Die ähnliche, aber gewagtere und feinere Urversion aber stammte von niemand anderem als dem weltberühmten ukrainisch-polnischen Maler und Bildhauer, Künstler und großem Kosmopoliten Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, geboren in Kiew, gelebt und gewirkt in Witebsk (Belarus), Berlin und Moskau, gestorben 1935 in Leningrad.
(...)
EDIT:
Die erste und die zweite Version dieser Rezension waren länger und enthielten zeitgeschichtliche Referenzen.
Neunter Besuch im Café.
Das von nach Russland übergesiedelten Franzosen gegründete Dufthaus "Brocard", damals einer der Weltmarktführer, auch für Colognes, lanciert 'Severny'.
Das Wort ist Russisch und bedeutet 'Nord"/'Nördlich'. Wie bei so vielen wirklich sehr alten Düften ist heute nicht mehr festzustellen, wie das Ur-Severny duftete. In diesem Fall sind wahrscheinlich auch keine Duftproben aus den frühen Jahren mehr erhalten, und wenn ja, sind sie nicht mehr intakt. Vielleicht mag es irgendwo in Archiven noch alte Warenkataloge geben, in denen der Duft mit Worten beschrieben wird.
Ein Teil des alten Brocard-Portfolios ist heute, nach etlichen Marken- und Rechtsformwechseln, vom (Billig-) Dufthaus Novaya Zarya übernommen worden. So das wunderschöne florale Cologne, das hier kürzlich, noch zu Friedenszeiten, durchs Colognisten-Café gereicht wurde, und so auch dieses - jedenfalls in der heutigen Formulierung unbedeutende - Wässerchen.
Eine gewisse kühle Frische scheint dem Duft innezuwohnen, wobei die Frage berechtigt ist, ob man da nicht einer Autosuggestion durch den Namen aufsitzt. Der Versuch einer kritischen Analyse deutet am ehesten auf so etwas wie eine leicht scharfe Frische im Stil von Tomatenblatt- oder Geißblattaromen hin. Diese Frische ist aber alles andere als dominant. Charakterisch für den Duft ist weniger der klirrende sibirische Winter als die schlammige Tauperiode danach: olfaktorische Brauntöne, erdig und unspezifisch würzig, dazu fast stickige grüne Noten, bei denen man vielleicht kurz an die Hermès-Gärten denkt.
Insgesamt bleibt kein fester Eindruck, der Duft wirkt verwirrt und ziellos.
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Ich vermute, dass 'Serverny' auch in seiner Ursprungsfassung kein Jahrhunderduft gewesen ist. Von monumentaler Bedeutung ist aber der Flakon. Der heutige Flakon präsentiert den Eisbär auf dem Eisberg in einer verballhornten, vergröberten Fassung. Die ähnliche, aber gewagtere und feinere Urversion aber stammte von niemand anderem als dem weltberühmten ukrainisch-polnischen Maler und Bildhauer, Künstler und großem Kosmopoliten Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch, geboren in Kiew, gelebt und gewirkt in Witebsk (Belarus), Berlin und Moskau, gestorben 1935 in Leningrad.
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EDIT:
Die erste und die zweite Version dieser Rezension waren länger und enthielten zeitgeschichtliche Referenzen.
Neunter Besuch im Café.
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