Sea Censored
Sea Angel
2017

Hasi
29.09.2020 - 06:45 Uhr
10
Flakon
7
Sillage
10
Haltbarkeit
8
Duft

Der Atem der Charybdis

Die breite Öffnung des Globuli Cap von Seejungfrau (lieben Dank an dieser Stelle!) gibt mir die Möglichkeit, schon beim Öffnen des Schnappverschlusses einen Eindruck der grünen Flüssigkeit zu bekommen: verpinkeltes Hafenbecken. Faulige Fischabfälle.
Das ist wirklich schlimm.

Auf der Haut
Mein erster Gedanke: Der kleinen Seejungfrau hätte jemand sagen müssen, dass sie auch ne Mumu bekommt, wenn sie sich Beine wünscht.
Mein zweiter Gedanke: Ich weiß gar nicht, ob fischig allein der richtige Ausdruck ist, da muss salzig-algig dazu, wie eine geöffnete Auster, die ihr Leben vom Meerwasser durchspült wurde. Dann las ich, dass unglaubliche 240 l Meerwasser eine einzige Auster an jedem Tag durchspülen, und dass nichts mehr nach salzigem Ozean riecht und schmeckt, als die Königin der Muscheln.

Mir fällt die Sage von Skylla und Charybdis ein. Charybdis saugt 3 x am Tag das Meerwasser ein uns stößt es danach brüllend wieder aus. Sie ist also die Monster-Auster der antiken griechischen Sagenwelt. Was da alles so am Tag durchgeht... kein Wunder, dass Charybdis Mundgeruch hat und schwitzt vor lauter Arbeit.

Schwitzen tut sie, weil Kreuzkümmel (Cumin) und Koriander schon von Beginn an mit dabei sind. Warme und kalte Noten vereint, auch eine Besonderheit des Dufts. Hab ich vorher auch noch nie so gerochen. Ich muss an Cans wunderschönen Kommi denken, die kaltblütige Nixe, die den warmen Körper umschlingt und mitnimmt in die Tiefe. Das macht Sinn.

Koriander, dessen Geruch nicht nur an Anis- bzw. Dill erinnert, sondern auch den Ausdünstungen verschiedener Wanzenarten gleicht. Der Name Koriander bedeutet übersetzt Wanzendill. Wer schon mal eine Stinkwanze auf der Hand hatte, die zur Abwehr "gepupst" hat, weiß was ich meine.

Cumin, dessen Duft als holzig, würzig, warm, anisartig beschrieben wird, aber sehr oft auch als schweißig wahrgenommen wird, und mich persönlich immer an schwitzige, warme Achseln denken lässt. Warm-würzig, menschelnd-fleischlich, und gleichzeitig trocken-bitter. Im Fall vom See-Engel nur verhalten schwitzig.

Dann ist mir noch was eingefallen zu dem anfänglichen Uringeruch. Vor vielen Jahren ging ich mit einer kleinen Gruppe Arbeitskollegen während der kühlen Jahreszeit 1 x wöchentlich zum Schwimmen in ein Hallenbad. Jede Woche ein anderes im Wechsel. Einmal waren wir in einem kleineren, und da ist mir schon zu Anfang ein ganz unangenehmer Geruch aufgefallen. Je näher man zur Treppe kam, wo das Wasser auch niedriger wurde, desto schlimmer wurde der Geruch. Chlor und Pipi. Chlor hat eigentlich kaum Eigengeruch, erst in Verbindung mit Harnstoff wird es eine Chlorverbindung mit dem typisch beißenden Geruch. Genauso riecht der Anfang von SC. Vor allem aus dem Cap raus.

Auf Haut wandelt sich diese Fisch-Chlor-Algennote rasch in eine medizinische Note, Oud (mit Cypriol habe ich keine Erfahrung), durchwachsen vom ätherischen Duft der Kiefer. Ingwer spielt fruchtig-pikant mit. Ab hier wird der Duft angenehmer, zieht sich aber zurück. Bleibt hier stundenlang als süßlich warm-würziger und trocken-bitterer Haut-an-Haut-Duft, als würde man mit seinem Partner nach ner Runde Matratzentango im Bett liegen, den Kopf in seine Achsel gekuschelt. Der Duft ist sehr körperlich. Hier würde auch die Note Fuchspelz/Pelz Sinn machen. Wobei ich eher an Frettchen denke (meine Schwester hatte jahrelang Frettchen), die einen ganz typischen Geruch haben, mir persönlich manchmal etwas zu animalisch streng, dunkler tierischer Moschus (verschwitzte haarige Achsel) und manchmal auch leicht urinös, da sie sich gegenseitig markieren, aber gleichzeitig auch süßlich-wildartig. Frettchen-Fans schwärmen davon, dass ihre Lieblinge nach Met bzw. wildem Honig duften. Das kommt gut hin, ich erkenne diesen Duft hier in dezenter Form wieder. Und als honigartig-narkotisierend wird auch der Duft der Tuberose beschrieben. Passt alles zusammen. Die Basis erinnert mich übrigens an Rubj von Vera Profumo.
An einem Fuchs habe ich noch nicht gerochen, ich weiß nur, dass Füchse aus den Afterdrüsen mit einem kleinen gelblichen Tropfen markieren, der für Fuchs und Mensch bis zu 6 Wochen riechbar ist. Der intensive, üble Geruch wird durch die Einwirkung von Wasser noch verstärkt.
Vielleicht wurde für SC doch ein Fuchs gemolken.

Zwischendurch dreht Oud immer wieder mal auf, in Verbindung mit dem fruchtigen Ingwer. Dann verliert der Duft für diesen Moment etwas an Wärme, wird trocken-metallisch-fruchtig, um dann wieder an würziger Wärme zu gewinnen. Erst nach vielen Stunden bleibt dann das würzig-warme ganz weg und es bleibt das trocken-metallisch-fruchtige. (mag ich am liebsten, ich kann nicht mit warmen Düften). In der Aura ist nur das fruchtige Oud zu riechen.
Das hält sich jetzt nicht nur stunden- sondern tagelang, vor allem an Kleidung. Der Ärmel meines Shirts und meine Strickjacke riechen heute noch - 5 Tage später - nach trocken-fruchtigem zarten Oud. Richtig toll jetzt sogar. Heute am Arm... die Haut... zum Anbeten! So viele Ebenen, so viel Wandlung in diesem Duft, ist mir eine 8 wert.

Den Namen Sea Censored hat der Duft verdient. Es ist wie bei einem zensierten Film, einem Hardcore-Porno oder Horror-Schocker. Eine Warnung.
Wer die Warnung ignoriert und seine Nase trotzdem reinsteckt mag schockiert sein, wird aber zumindest überrascht und lernt neues kennen.
Auf jeden Fall ist er Charybdis zu nahe gekommen.

https://www.youtube.com/watch?v=Z7aV3Q-bA5M
47 Antworten