Palonera
26.04.2014 - 17:21 Uhr
24
Top Rezension
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft

Bekenntnisse und Erkenntnisse

Manchen Düften eilt ein so schlechter Ruf voraus, daß der Entschluß, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, fast schon einer Mutprobe gleichkommt.
Was so viele Nasen gerümpft hat, das kann doch nicht gut sein, das kann doch nicht guten Gewissens getragen werden, ohne als Trägerin Gefahr zu laufen, olfaktorischer Protesthaltung verdächtigt zu werden.
Sollte man meinen.
Und wagt man es gar noch, in offenen Widerspruch zur Gesamtwertung zu gehen, kommt dies einem Bekenntnis zum schlechten Geschmack gleich.
Sollte man meinen.

Und so bekenne ich mich schuldig im Sinne der Anklage:
Vier Tage lang habe ich "Bay Rum" getragen, getestet, auf Herz und Nieren, auf Eigen- und Fremdwirkung geprüft.
Habe meine Schüler und Kollegen, meine betreuten Kinder und den Mann an meiner Seite konfrontiert mit einem Duft, der hier und heute mit 24 Prozent bewertet wird.
Habe vor dem ersten Auftragen befürchtet, fortan als Suffnase verschrien zu sein, in einer Polizeikontrolle in Erklärungsnöte zu geraten, habe mich schon für die Dauer dieser Testreihe auf dem Sofa nächtigen sehen.
Und muß am Ende dieser vier Tage festhalten:
Ich mag diesen Duft, der heimelig ist und doch nicht mein Zuhause, vertraut und zugleich fremd, verspielt und zutiefst bodenständig, nah bei mir und sich all jenen offenbarend, die nicht mehr als eine Armlänge von mir entfernt sind.
Auch mein Partner mag diesen Duft – er, der nicht zimperlich ist mit harten Urteilen, wenn ihm ein Duft nicht gefällt, welch großen Namen er auch tragen mag.
"Schönes Parfum!" meinte einer meiner Schüler, "du riechst lecker" mein jüngstes Betreuungskind.
Und beide haben sie recht.

Vielleicht ist der Inhalt meiner Phiole nachgereift, vielleicht lag es an der vorsichtigen Dosierung:
Zwei Tropfen nur hatte ich Tag für Tag auf meine Haut gegeben, winzige Pfützen, gewarnt und gewappnet durch mahnende Worte.
Wir waren einander ja schon in anderen Düften begegnet, Ellen Covey und ich – sie hatte es mir nicht immer leicht gemacht, Zugang zu finden, Sympathie zu entwickeln, hatte mir vielmehr einiges an Geduld, an Ausdauer und Durchhaltevermögen abverlangt.
Doch diesmal nicht, dieses Mal nicht, an keinem einzigen Tag.

Süß und golden wie Honig sind sie, die Duftschleier, die sich von meiner benetzten Haut erheben, für einen Augenblick reglos, schwerelos im sonnengefluteten Raum verharren und sich im nächsten Atemzug verweben mit ätherisch-kampherartigen Schlieren, die schwere Süße zugleich kontrastierend und betonend.
Sekundenlang pirouettieren sie umeinander, faszinieren, irritieren mich auch in ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit, ihrer gedachten Unvereinbarkeit, bevor sich die Symbiose öffnet und melassig-würzige Komponenten aufnimmt.
Scharf konturiert setzen Gewürznelke, Kardamom und Zimt ihre Schritte in diesem Tanz, wiegen und wogen minutenlang divengleich im Scheinwerferlicht, ehe sie unmerklich mit warmholzigen Akzenten und der Süße des Honigs verschmelzen.
Der Duft eines Dritte-Welt-Ladens kommt mir in den Sinn...

...und in diesem Augenblick wird mir klar, daß hier das Geheimnis der Coveyade liegen muß, jener unverwechselbaren Note, die ich in fast jedem Duft von Ellen Covey als ihre olfaktorische Handschrift erschnuppert habe: würzig und ein wenig fruchtig, leicht verstaubtes Holz und das Odeur alternativer Parfumöle.
In "Bay Rum" wird sie nicht nur angedeutet, nicht nur als Signatur verwendet – hier stellt die Coveyade den Kern des Duftes, sein Herz und seine Seele dar, bildet seine Persönlichkeit und zugleich die Leinwand, auf der alle übrigen Aspekte des Gesamtkunstwerks erst zur Geltung kommen.

Ellen Coveys Düfte polarisieren, die einen mehr, die anderen weniger.
"Bay Rum" scheint bisher nur sehr wenige Freunde gefunden zu haben.
Ich bekenne: Ich bin einer der wenigen geworden.
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