Unguentum 2015

Writerhof
04.04.2021 - 12:50 Uhr
6
Sehr hilfreiche Rezension
6
Preis
9
Flakon
7.5
Duft

O tempora, o mores!

Diesen Ausspruch – O Zeiten! O Sitten! – hat Cicero in seinen Reden gegen Catilina geprägt, festgehalten durch seinen Freigelassenen Marcus Tullius Tiro in einer ersten Form dessen, was wir heute als Stenografie kennen. Nachdem er bei der Konsulnwahl für das Jahr 63 v. Chr. unterlegen war, plante ein gewisser Lucius Sergius Catilina einen Staatsstreich. Aufgedeckt und in einigen seiner berühmtesten Reden angeklagt wurde das Ganze durch Marcus Tullius Cicero, der in der Wahl gegen Catilina gewonnen hatte.

Cicero wurde dafür der Titel des pater patriae verliehen und er ist heute noch als berühmter Redner, Anwalt und Politiker der ausgehenden römischen Republik bekannt. Catilina dagegen wurde erst verbannt und später, als er sich mit einem Heer gegen Rom stellte, bei einer Schlacht getötet.

Die Zeit des Umbruchs, aber auch der Größe Roms, findet sich in Unguentum wieder. Unguentarii wurden im alten Rom Salben- oder Dufthersteller genannt. Im alten Rom wurden Düfte in Form von Salben oder Ölen dargereicht und nicht wie heute mit Alkohol und Wasser verdünnt. Es ist also gut möglich, dass Cicero, der homo novus, der alle Staatsämter im Mindestalter erreicht hatte, sich regelmäßig beim Unguentarius mit neuen Düften versorgte, die er nach dem Thermenbesuch auftrug.

Unguentum von Onyrico erinnert dabei an einen erfolgreichen römischen Politiker und Feldherrn wie Cicero einer war. Er kommt männlich daher, hat eine scharfe Rasierwassernote, wie man es vielleicht beim Rasieren auf dem Feld verwendet hat. Gleichzeitig kommt der Duft rauchig daher und erinnert damit noch weiter an das Heerlager. Kehrt der Erfolgreiche Heerführer nach Rom zurück, darf er als Triumphator sein Haupt mit einem Lorbeerkranz bedecken – von einem Sklaven, der ihm einflüsterte, stets an seine eigene Sterblichkeit erinnert.

Zieht er auf seinem Streitwagen durch Rom, so vermischt sich sein eigener Geruch mit den Düften, die aus den kleinen Gassen der Stadt herüberziehen. Honig aus den Stuben der Süßigkeitenhersteller, die ihre Stände während dem Triumphzug aufbauen, um das Volk mit ihren Kreationen zu versorgen. Aber auch andere exotische Gewürze mischen sich darunter, wie die Vanille, die damals aber noch ein großer Ozean vom römischen Reich trennte (ich tue mich immer schwer damit, Vanillenoten in den Beschreibungen solcher, historisch angehauchter Düfte unterzubringen) – oder auch Safran, Zimt und Tee, die im alten Rom schon sehr exotisch angemutet haben müssen.

Bis er am Ende des Triumphzuges am Jupitertempel auf dem Kapitol ankommt, mischen sich die Ausdünstungen der massiven Holzbogen, die für dem Triumphzug aufgestellt wurden, unter diese Duftmelange. Nur einige der Triumphbögen sind heute noch erhalten, da manche von ihnen dauerhaft aus Stein oder Marmor errichtet wurden. Aus jenem Stein, dem Travertin aus Tivoli, ist auch der Aufsatz auf der Verschlusskappe von Onyricos Unguentum gefertigt.

Unguentum war einer der ersten Düfte, die mich auf Nischendüfte neugierig gemacht und dafür begeistert haben, auch wenn er nicht ganz oben auf der Liste meiner Nischenlieblinge steht. Ich habe mit ihm ein paar Anläufe gebracht, bis ich etwas damit anfangen konnte. Aber er ist ganz gut für einen würzig-balsamischen Duft und meiner Meinung nach, obwohl ich nichts von der festen Einteilung in Geschlechterdüfte halte, ist er ein sehr maskuliner Duft. Dass man das aber auch durchaus anders sehen bzw. riechen kann als ich, sieht man an der bisherigen Verteilung der Duftinhaber*innen hier. Der Milliliter-Preis ist schon nicht ohne und kratzt an mittelrömischer Dekadenz. In diesem Sinne: O tempora, o mores!
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