2. Nawab of Oudh Intensivo 2015

Alexxx
14.09.2020 - 17:30 Uhr
22
Top Rezension
8
Preis
9
Flakon
8
Sillage
9
Haltbarkeit
9.5
Duft

Concordia discors – oder die perfekte Harmonie der Gegensätze

Wer sich gerne mal mit Begrifflichkeiten der Kunst und Ästhetik auseinandersetzt, dem ist vielleicht schon mal der Terminus concordia discors über den Weg gelaufen. Er meint im Grunde die perfekte Harmonie des Gegensätzlichen, des Mannigfaltigen. Als großer Fan englischer Lyrik kommt mir da als Beispiel das Gedicht „The Thames“ des Dichters Sir Jonathan Denham in den Sinn. In den letzten Zeilen wird das Wesen der Themse gewissermaßen als perfekte Mitte zwischen den Kräften der Gegensätze beschrieben:

Though deep yet clear, though gentle yet not dull;
Strong without rage, without o’erflowing full.

Eine derartig vollendete Form hat meiner Meinung nach auch Geza Schön mit Nawab of Oudh Intensivo geschaffen. Wenn auch Oud und Rose Bestandteile seiner Genese sind, sind sie in diesem Duft doch so komplett eigen und gänzlich anders umgesetzt, als dass etwaige Vorverurteilungen à la "noch ein Rosenoud" hier gänzlich an der Realität vorbeirauschen. Vielmehr erwartet den geneigten Duftfreund ein spannender Verlauf, der Gegensätze aufmacht, um sie schließlich kompromisslos zur Vollendung zu bringen. Nichts ist schwülstig. Weder steht Florales, noch steht das Oud im Vordergrund.

Grün ist der Auftakt, charakterisiert durch eine herbe, säuerliche Frische: sehr markant, sehr kantig, sehr maskulin, so verläuft der Start. Mehr und mehr von süßlich-floralen Tönen betupft, schwenkt der Duft seinen Kurs alsbald in Richtung unisex ein. Dann folgt die nächste Wende: Es wird deutlich würziger, die floralen Noten nehmen sich distinguiert zurück, werden einen Tick leiser, bleiben aber präsent.

In seiner substanzreich exklusiven Basis mit für meinen Geschmack allenfalls dezenter Süße verharrt der Duft dann über viele Stunden. Und lässt den Träger zurück mit einer Aura von Eleganz, von in sich ruhender Kraft. Trotz seiner Geschmeidigkeit, evoziert durch Labdanum und Ambergris, wirkt er ein bisschen distanziert, und nicht so stark umschmeichelnd, wie man das vielleicht erwarten würde. Das Oud schließlich vollendet mit seinem in diesem Fall feinen und unaufdringlichen Akzent das Ganze zu einer olfaktorisch äußerst runden, um nicht zu sagen vollendeten Komposition.

Ich sehe ihn dabei nicht unbedingt als waschechten Unisexduft. Er geht für mich zu mindestens 70% ins Maskuline. Aber an einer Frau, die mit einem grün-herben, durchaus markanten Auftakt klarkommt und auch vor konzentrierter Kraft nicht scheut, wird er womöglich beste Dienste tun. Ich möchte es nur noch einmal betonen: Die Rose hat in diesem Schauspiel nur eine Nebenrolle inne, wie eigentlich alle Duftnoten. So sehr ich kraftvolle Rosendüfte liebe, so sehr begrüße ich das Maßvolle hier.

Der konzentrierte Substanzreichtum sorgt für eine formidable Haltbarkeit. Menschen, die einen Duft suchen, der einen Tag mitmacht, sind hier richtig: Ja, ich zähle mich zu jener Spezies, die solche Düfte zu schätzen weiß – ich wechsele ja auch nicht während eines langen Arbeitstages dreimal die Kleidung (mal abgesehen davon, dass in meiner Branche – der Kreativbranche – die Arbeitstage auch mal länger und intensiver sind). Die Projektion ist dabei wirklich angenehm bemessen. Mit einer wahrnehmbaren, aber völlig unaufgeregten Präsenz. Zu keiner Zeit wird hier geschrien, oder die Stimme erhoben. Aber auch zu keiner Zeit sich beschämt unters Hemd verkrochen.

Fazit: Gegensätze. Anziehende und gleichzeitig wieder distanzierte, leichte Kühle. Kantig, aber feingeschliffen. Würzig, herb – und dennoch weich und geschmeidig. All das in Harmonie. Dazu ein Duft, von dem sein Träger einen Tag lang zehren kann. Bei einem Preis von 240 Euro für 50 ml darf man konzentrierte Duftstoffe auch erwarten. Und doch, hier wurde mehr erreicht als Erwartungen zu erfüllen: Ich kenne ein paar der Ormonds, einige fand ich irgendwie gut, aber so richtig inspirierend fand ich bis dato keinen. Selbst Ormonde Man, der mich aus der Reihe bislang am meisten überzeugte, konnte mich nicht vollends begeistern. Aber Nawab of Oudh Intensivo spielt für mich in einer eigenen Liga. Ein siganturwürdiger Duft. Und doch, bei allen Lobeshymnen – mit seiner leicht herben Distanziertheit würde ich ihn für ein romantisches Candle-Light-Dinner oder einen gemeinsamen Filmeabend auf der Couch nicht empfehlen ... solche Gegensätze machen wir lieber erst gar nicht auf, da könnte die perfekte Harmonie dann doch auf der Kippe stehen.
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