Bergamask 2014

HerrNilson
15.06.2014 - 16:26 Uhr
12
Sehr hilfreiche Rezension
7.5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
7
Duft

Bergamatto

„Bergamask - Alessandro Gualtieri’s Neuinterpretation eines Eau de Colognes.“
„Inspiriert von einem Tanz auf einem Fest an einem heißen Sommertag nach der Sonntagsmesse: erhitzte Körper, die von einer Aura aus Bergamott und Moschus umgeben sind.“
„Inspiriert von dem Lebensgefühl der Lombardei und der Stadt Bergamo, dem Heimatort von Gualtieri’s Großvater Vincenzo Parisi.“
...so oder so ähnlich hallen die Schilderungen des Orto Parisi- Marketings in meinen Gedanken nach als ich eine schlichte Probe des Duftes dieses „alchemistischen Projekts“ in den Fingern hin und her wiege.

Mmh - da kommt mir irgendwie irgendwas bekannt vor:
Parisi? Es ist überliefert, dass Nicola Parisi im Jahre 1750 erstmalig ein Bergamottenextrakt gewann. Jedoch nicht in der norditalienischen Lombardei, sondern im süditalienischen Kalabrien, in dessen Mikroklima diese Zitruspflanze gut gedeiht. Mit Bergamo hat die Bergamotte erst einmal gar nicht so viel zu tun... glaube ich. Den „Bergamask“ hielt ich bisher für einen volkstümlichen Tanz der Lombardei.
Eau de Cologne? Das die Bergamotte ein maßgeblicher Bestandteil vieler klassischer Eaux de Cologne sei, ist wiederum unstrittig. Die klassischen Eaux sind zumeist schön komponiert, aber neigen bisweilen auch zur monotonen Langweiligkeit. Daher ist für mich auch das Bestreben einiger avantgardistischer Parfumeure zur „jetzt-mal-wirklich-eine-ganz-andere-Art-der-Neuinterpretation-eines-Eau-de-Colognes“durchaus nachvollziehbar.

Gespannt auf das „alchemistische Konzept“ und natürlich auf die olfaktorische Umsetzung, sprühe ich Bergamask auf meinen Unterarm und atme tief ein:
Ich rieche eine satte Bergamotte-Note,
dann Nuancen von Rosmarin, Neroli und Basilikum
und meine auch dezente Anklänge von Lavendel wahrzunehmen.

Ich atme erneut tief ein und schließe die Augen:
Bergamotte und fruchtige, leicht jasminartige Noten
Und auf einmal wähne ich mich auf einem kleinen Hof in der Lombardei. Es ist Sommer. Die Mittagssonne lässt die Luft über dem staubigen Schotterweg, der von Orangenbäumen gesäumt ist, flirren. Zwei klassisch, elegant gekleidete Herren schreiten mir langsam entgegen. Es sind Henri Robert und Edmond Roudnitska. Beide lamentieren hitzig über die Kopfnoten ihrer Meisterwerke aus den Jahren 1955 und 1966. Roudnitska gestikuliert heftig und verteilt dabei mit seinem parfümierten Unterarm eine Aura hedionesker Anklänge in der Luft.
Ich verneige mich andächtig und überlege, ob Seniore Vincento Parisi eventuell „Eau Sauvage“ genutzt haben könnte? Also mein Großvater hatte das Eau Sauvage als Aftershave im Badezimmer stehen...
Ich zucke mit den Achseln und schaue ihnen kurz nach, während sie weiterziehen.
Ich öffne die Augen.

Eine prima Kopfnote, wie ich finde. Sehr vertraut zwar, aber gut – aber wo sind denn nun die animalischen Moschusnoten von tanzenden und schwitzenden Menschen?
Ich atme wieder tief ein und schließe voller Erwartung meine Augen:
Und?
Ich kann nichts erkennen.

„TÖ-RÖÖH!“

Das liegt eindeutig daran, dass ein beleibter Elefant direkt vor meiner Nase steht. Auf einmal ist der Dickhäuter da und kaut unentwegt auf etwas „Sandelholzigem“.
Den kenn ich doch auch irgendwoher! Er ist langsam aus dem Orangenhain getreten und versperrt mir nun die Sicht. Sind da nun tanzende Menschenmassen? Nein. Ich bin mir ziemlich sicher: hier sind grade nur er und ich.
Ungläubig rieche ich noch mal an meinem Arm.
Und noch einmal...

Der Elefant ist immer noch da. Auf seinem massigen Bauch prangt eine pinkfarbene „9“. Meine Nase arbeitet auf Hochtouren. Vor meinem inneren Auge ist es jetzt kein lombardischer Hof mehr, sondern ein Hackischer Hof. Klar – ich hab’s!
Ich nehme Javanol wahr. Massen an Javanol. Und eventuell holziges Norlimbanol (= Timberol)? Die Verwendung von Polysantol im Fond könnte die zederartigen Anklänge assoziieren lassen, die meine Vorrednerin bemerkt zu haben scheint (v.a. in Kombination mit Timberol)?
Ich schließe ein letztes Mal die Augen und atme mehrmals ganz nah an meinem Arm.
Und:

Es ist September!

Ok. Ich verbeuge mich erneut: DAS erkenne ich gerne als ein „alchemistisches Prinzip“ an: der Versuch aus auf Kuhdung Lanciertem Gold zu machen (preislich liegt dieser Nischenduft momentan bei ca. 140 Euro/ 50 ml). Die Javanol-Diskusion ging ja auch auf Parfumo schon rauf und runter. Und daher bin ich schon gespannt, ob sich bezüglich dieses Duftes ein „Javanolblinder“ dazu hinreißen lässt, von einem „lauen Orangensaft“ zu sprechen. Eventuell hat Alessandro Gualtieri die Moschusverbindungen hier aber so gewählt, dass sie bei denen einspringen, bei denen Javanol nichts auszurichten vermag? Und dann könnte ja das o.g. Moschusverprechen doch noch wahr werden.
Meine Frau weigert sich indes mögliche Moschusnoten dieses Duftes zu erriechen - denn bei Norlimbanol wird ihr vorhersagbar blümerant – also zumindest wird so meine Timberol-Vermutung (wenn auch nicht mit wissenschaftlichen Methoden) untermauert.
Schade.
Naja, bei mir tanzt eben nur der Korrman’sche Elefant und trötet laut dröhnend in die von Angua schon erwähnte „Trompete von Jericho“.
Die Sillage des lange anhaltenden Bergamask ist gut eingestellt, jedoch ähnelt mir persönlich der meiste Duftverlauf – bis auf die herrliche Kopfnote – zu sehr dem September von Erik Kormann. Dieser hat in seiner aktuellen Fassung übrigens eine neue Orange bekommen hat (hab’s grade in den Hackischen Höfen überprüft).
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