Sie war nicht besonders groß, korpulent. Eine patente Frau, die sich nicht unterkriegen ließ. Stets geschäftig den Alltagsverpflichtungen nachgehend, die emotionale Seite gut untergraben.
Als Kind den 2. Weltkrieg miterlebt und mit 9 Jahren aus der Heimat vertrieben, ist das sicher keine dumme Entscheidung.
Perfekt organisiert, alles lief am Schnürchen: Haushalt, eine große Wohnung, 2 Kinder, Hausaufgabenhilfe, kochen, waschen, nähen, Sprachen llernen, was so alles eben anfällt.
Es ging nach der Uhr, nie blieb etwas liegen.
Sie war in sich mit einer großen Zufriedenheit versorgt, die ihr oft eine Hilfe war und dadurch viele Bedürfnisse gar nicht aufkommen ließ. Aussehen, Kleidung, alles war im damals üblichen Rahmen, einfach und praktisch gewählt.
Nur bei Düften, da war sie äußerst pinibel.
Nur ihr Mann schaffte es, ihr Düfte auszusuchen, die ihr gefielen.
So lief er regelmäßig vor Weihnachten die „Zeil“ (eine Einkaufstraße in Frankfurt) entlang, nachdem er sich in einer privaten Parfümerie beraten ließ und auf den rechten und den linken Puls jeweils einen Duft aufsprühen ließ. Erst rechts dann links schnuppernd, immer wieder, ging er also diese Straße auf und ab, bis die Entscheidung fiel, was beeindruckend schnell ging.
Das Weihnachtsgeschenk war immer mit Erfolg gekrönt und es war immer nur das reine Parfum, das er wählte. Die Frau, für ihn die Schönste und Wichtigste, da gab es gar keine Zweifel, da musste die reine Essenz her!
Sie gingen montags immer tanzen.
Zu diesen Anlässen verwandelte sie sich förmlich!
Sie kleidete sich nahezu elegant, was sonst nie vorkam.
Sie legte Parfum auf. Einige Sorten. Eine aber ist besonders gewesen:
La Nuit von Paco Rabanne.
Es war meine Mutter, die zu dieser anderen Frau wurde. Mein Vater ihr „Duftheld“.
Elegant und präsent, sogar mit etwas sehr passendem Schmuck ausgestattet, optisch und olfaktorisch nicht zu übersehen, schwebte sie mit ihrem Ehemann hinaus in den Abend……
Was blieb, war eine unglaublich intensive, wunderbare Duftwolke, die lange, lange währte und ihre Anwesenheit markierte.
War das der Zibet?
Blüten satt. Dunkles Leder, in der Sonne erwärmt und auf heiße Menschenhaut gelegt, die sich in einem großen Bett aus Eichenmoos räkelt.
Oppulent. Dunkel, tief, unfassbar intensiv. Ja, eigentlich erotisch. Eine Eigenschaft, die man der eigenen Mutter nicht so einfach zuordnet.
Absolut passend zu ihrer Statur und Person.
So habe ich sie auch in Erinnerung, neben der geschäftigen, hektischen, wahrhaft auch gefühlsfernen Frau des Alltags, gab es eine Dame. Eine Dame, die sich für ihren Mann, meinen Vater, schön machte.
Die immer Düfte zu solchen Anlässen auftrug.
Das ist eine sehr schöne Seite, die nicht jede Frau lebt.
Die Schwierigkeit, Düfte zu finden, die den eigenen Ansprüchen genügen, aber auch die Liebe zu denen, die es tun, hat sie mir ganz klar auf beide Stränge meiner DNA Doppelhelix vererbt und irreversibel eingebrannt. Auch die Selbstverständlichkeit, Parfum aufzulegen.
In der Nachbetrachtung ein sehr wertvolles Erbe.
La Nuit, die Nacht.
Möge sie in Frieden ruhen, ihr Mann ist schon dort, in der ewigen Nacht……..