Gold
Top Rezension
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The market, the rules...
"My Empire, my rules", das sagt Number 45 in abgewandelter Form auch gerne. Weltreich-Träume und Prinzessinnen - Fantasien werden hier von der Marke Paco Rabanne aus dem Hause Puig hervorragend bedient. Der rosafarbene Flakon besitzt einen so hohen Trash-Faktor, dass Barbie und Ken ihn sich garantiert gerne in ihrem Plastikpalast ins Gäste - WC stellen würden. Zu Heidi und ihrem Schlagzeuger würde das Styling auch gut passen.
Das kann man doch mittlerweile alles gar nicht mehr ernsthaft "kulturkritisch" betrachten, oder?
Wenn ein verkopfter Inti-Duft für Vernissage - Dauergäste und wahre Nischenexperten (zu denen ich wahrlich nicht zähle) 200 Euro kostet und in einer puristischen Flasche aus recyceltem Glas aus dem Kosovo präsentiert wird, dann stößt sich niemand daran. Im Gegenteil. Rare distribution etc. Wenn dann der Inhalt auch noch weitgehend "natürlich" ist, mit ökologisch angebauten Rosen vom Hindukusch und Jasmin aus Idlib, garantiert ohne Kinderarbeit hergestellt, ja, dann hat das "Eau des larmes d'un enfant abandonné à l'extrême" (nennen wir es der Einfachheit halber so) durchaus gute Chancen, sehr, sehr hochgehypt zu werden.
Lady Million Empire braucht solche Verrenkungen nicht zu vollziehen. Der Name Lady Million ist etabliert und spricht die Masse an, besonders junge Frauen, die ständig ihre neusten Errungenschaften aus dem Bereich der Mode und Kosmetik posten und zu gerne "Influencer" wären, auch wenn es im real life nur ihre Clique ist, die sie mit ihren täglichen, mehrfachen Posts erreichen.
Der Parfummarkt ist heiß umkämpft, unzählige Neulancierungen warten monatlich, ja nahezu täglich auf Kunden und Kundinnen, die sich mit dem Kauf eines von der Allgemeinheit anerkannten Parfums ein Gefühl von sozialer Zugehörigkeit verschaffen möchten.
Der Erwerb eines Duftes wie Lady Million Empire erhöht den Status innerhalb einer bestimmten sozialen Gruppe.
Außerdem sind die Leute von Puig wirklich, wirklich clever. Sie haben durch ihre beständige und teure Marktforschung stets ihre Nasen am Puls der Zeit, checken ab, was angesagt ist und was eher nicht so läuft.
Denn Lady Million Empire riecht überhaupt nicht schlecht.
Im Gegenteil. Es ist ein supermoderner, nach allen Regeln des Marktes zusammengestelltes Parfum mit einem durchaus spannenden Duftverlauf. Die Kopfnote ist ausgeklügelte Duftchemie der Spitzenklasse. Frisch, ungestüm, neugierig machend. Gar nicht so quietschend oder blumig-fruchtig wie bei anderen Blockbustern üblich, sondern erfreulich und die Laune hebend wie ein Cocktail aus Cognac und rosa Champagner. Hört sich sehr seltsam an, funktioniert aber hier. Eine gewisse dessertartige Vanille - Gourmetnote bestimmt dann im Verlauf den Duft. Offenbar spielt hier auch ein künstliches Patchouli die Hauptrolle mit warmen, aber nicht zu dunklen Facetten. Der eingearbeitete Osmanthus wirkt edel (1000 von Patou enthält viel Osmanthus!) und überhaupt nicht trashig.
Ich muss zugeben, dass ich selbst Lady Empire nicht tragen würde, da ich ja ein langweiliger Klassikfan bin, der sich lieber mit Mitsouko einnebelt als mit dem neusten Paco Rabanne. Obwohl ich ja jetzt hier erwähnen möchte, dass ich damals, also in den berühmten 80's, wo ja angeblich alle Parfums besser und jedes zweite ein Meisterwerk darstellte, meinen absoluten Favoriten für's Leben gefunden habe, nämlich einen Duft von Paco Rabanne. Er heißt "La Nuit" und verursacht bei mir immer wieder Herzklopfen. Es war bzw. ist ein dunkler Rosenchypre mit einem angeblich "animalischen Touch". 1985 kam er heraus und war kein besonderer Verkaufsschlager...
Lady Million und das männliche Pendant sind seit Jahren die Cashcows von Paco Rabanne. Offenbar hat die Firma hier einen absoluten Nerv getroffen und bedient mit clever komponierten Parfums ihre meist jüngere Kundschaft.
Das neue Lady Million Empire könnte Puig dabei helfen, ihre Marktmacht weiter auszubauen. Angesichts der Tatsache, dass es sich um eine europäische Firma handelt, bin ich gar nicht so traurig darüber.
Wir leben in diesem kapitalistischen System und bewirken viel mit unseren Kaufentscheidungen. So wird plötzlich ein simpler Parfumkauf zu einem weiteichenderen Akt, der viel über meine Persönlichkeit und meine Lebenseinstellung aussagt.
Wir kaufen mit Düften komplexe Industrieprodukte, über deren Bezüge zu unserem Leben wir ruhig öfter auf verschiedenen Ebenen nachdenken sollten, nicht nur auf der rein olfaktorischen.
So. Genug geschwafelt... ich will nun die Gelegenheit nutzen, es am Ende doch noch rauszuhauen:
Leute, das Zeug riecht ziemlich geil.