Mit Moschus wird soviel Unsinn gemacht. Wenn ich Moschus in den Duftangaben eines Parfums lese, bin ich schon vorsichtig. Moschus bzw. die unterschiedlichen Stoffe, die als solcher bezeichnet werden, können nämlich richtig fies sein: unangenehm seifig, süß und cremig-breit. Manch teurer Nischenduft beinhaltet genau diese Ausprägungen von Moschus, die mir überhaupt nicht gefallen.
Verständlich, dass ich mich erst langsam an Moschusparfums herantaste, sozusagen von der Seite. Doch es gibt auch Moschusvarianten, die ganz anders sind. Zum Beispiel Moschus von eher maskuliner Prägung, der an alte Aromatic Fougères erinnert (Moschus-Keton?). Rodier pour Homme wäre mein persönlicher Referenzduft in dieser Richtung. Doch selbst die moderne Note „weißer Moschus“ kann gut sein, wenn sie in ein entsprechendes Umfeld gestellt wird. Gut gelungen ist das zum Beispiel bei Acca Kappas „Cedro“. Und die beiden preiswerten arabischen Moschus-Parfumöle Atheer und Tagreed der Marke Al Rehab sind ein wunderbares Kapitel für sich…
Meine Sammlung „guter“ Moschusparfums konnte ich bei meinem heutigen Besuch in der Kantstraße um ein wirklich hervorragendes Parfum erweitern: Musc Oil!
Bei diesem Namen denkt man natürlich zuallererst an das preiswerte, bekannte Produkt der Marke Jovan. Leider habe ich das noch nicht getestet, sodass ich nicht sagen kann, ob die beiden Parfums in näherer Beziehung stehen. Nicht ausschließen will ich, dass es sich bei Musc Oil um eine traditionelle Rezeptur handelt - die Firma Harry Lehmann ist ja eine der wenigen, welche die Tradition der ganz alten Düfte hochhält (Kölnisch Wasser, Fougère, Russisch Juchten).
Doch nun endlich zum Duft: Musc Oil fängt an mit einer Art Haarspraynote. Im Unterschied zu manchem, was man etwa von Montale bekommt, ist diese jedoch gar nicht so scharf, eher trocken-puderig. Sie hat aber schon was von Friseurladen, genau so, wie man das aus der Kindheit erinnert - und das ist überhaupt nicht unangenehm! Was mich von Anfang an für Musc Oil einnimmt, ist, dass mit dieser Barber Shop Eröffnung der Duft gleich in eine trocken-schlanke Richtung marschiert - also genau entgegengesetzt dessen, was ich beim Thema Moschus befürchte.
Doch beim Haarspray bleibt es nicht. Nach Kurzem gesellt sich doch eine wärmende, dunklere Note hinzu. Diese nehme ich eher als Moschusnote der alten Art wahr. Irgendwie sehe ich in dieser wärmenden Note auch eine Brücke zu dem ebenfalls hervorragenden Duft „Sandelholz“ dieser Marke. Vielleicht sind an dem runden, warmen Akkord hier auch minimal florale Noten beteiligt, so Richtung Geranium. Leider verrät man uns nicht viel, sodass alles reine Spekulation ist.
Damit sind die Themen gesetzt. Was folgt, ist ein Wechselspiel zwischen der eher hellen, trocken-pudrigen Seite und dem wärmenden Akkord. Die von mir befürchtete Seifigkeit tauchte bei meinem Test nur ganz kurz einmal auf, im Übergang der beiden Akkorde. Sie drehen sich eine ganze Weile umeinander, dann scheint der wärmende Anteil etwas die Überhand zu gewinnen, doch nur direkt auf der Haut. Es gibt Projektion, wenn auch dezent, und da überwiegen die hellen, schlanken und auch puderigen Anteile. Schließlich verschwindet die Haarspraynote, doch eine sehr dezente puderige Eleganz nimmt ihre Stelle ein, um in der Basisnote wiederum die warmen Anteile zu dominieren und zu verwandeln. Hier haben wir also eine mustergültige dreistufige Duftentwicklung. Sehr gut finde ich, dass es dabei in meinem Empfinden keinerlei Brüche gibt: alles ist aufeinander bezogen und geht in harmonischem Wechselspiel ineinander über.
Oft sind Moschusnoten über Gebühr anhaftend - besonders jene, die man gerne wieder abwaschen möchte. Das sehe ich hier nicht so; ein Wunder an Haltbarkeit scheint Musc Oil nicht zu sein. Ich gebe dem Duft etwa vier Stunden, wobei auch die Duftintensität stark nachlässt. Danach sind nur noch Reste da. Immerhin - annähernd gleichbleibende Duftintensität schaffen nicht viele Parfums. Das alles muss kein Nachteil sein, Dank der sehr kundenfreundlichen Preisgestaltung. Man bekommt die Harry-Lehmann-Parfums ja schon ab 10 ml, und genau dieses kleine Flaköngchen kann man immer dabeihaben - nachlegen ist kein Faux-Pas!
Freudentränen kann uns die Preisgestaltung in die Augen treiben: die 10 ml kosten 5 €, abgefüllt dann 9 €! Und das für ein Parfum, das wirklich Spaß macht.
Ich habe ja bereits das eine oder andere Harry Lehmann Parfum kennenlernen können. Musc Oil spielt für mich da ganz oben mit. Hier wurde alles richtig gemacht, alles Unangenehme, das ich mit dem Wort Moschus verbinde, wurde vermieden. Musc Oil ist einfach ein schöner Duft, sehr tragbar, und zumindest mir macht er gute Laune!