08.05.2023 - 02:46 Uhr
Intersport
90 Rezensionen
Intersport
Top Rezension
18
Jennifer in Paradise.tif
Jennifer in Paradise.tif ist der Name eines digitalen Bildes das 1987 von John Knoll für erste Demonstrationszwecke der Software Photoshop© verwendet wurde. Das Bild zeigt Knoll's Freundin im Sandstrand der Pazifik Insel Bora Bora, sitzend, es wird als Quellmaterial für mittlerweile grundlegende Anwendungsmöglichkeiten digitaler Bildbearbeitung dienen, wie etwa das Kopieren und wiederholte Einsetzten von Bildausschnitten (hier eben Knoll's Partnerin bzw. einer benachbarten Insel), usw. 'Jennifer in Paradise.tif' sollte somit als das erste offiziell mit Photoshop© manipulierte Bild in die Geschichte eingehen.
Mehr oder weniger zur gleichen Zeit ertönten mit Düften wie u.a. Cool Water, Garrigue (beide 1988) erste, und dabei bereits deutliche, Ansagen von dem was bald im Parfum-Volksmund als Aquatik bezeichnet werden sollte. Mit New West for her, Ocean Rain (beide 1990) oder Kenzo pour Homme (1991) erschienen weitere 'frühe' Höhepunkte. Danach wird es schnell unübersichtlich und die Flut aquatischer Düfte war kaum mehr zu stoppen, es schien gar so als ob es Momente gab, wo Non-Aquatik, eher die Ausnahme war. Vielleicht ist das auch einer der Gründe warum es aquatische Parfums seither mitunter schwer haben, kaum ein Genre das so inbrünstig verrissen wird und verpönt ist wie Aquatisches. In ihren Anfängen war Aquatik jedoch vor allem eins: anders. Eine Zäsur mit vielen Codes die sich in den 70'er und 80'er Jahren etablierten und die in der gegenwärtigen Retromania bei Düften wieder an Aufwind gewinnen. Vielleicht wollten Parfums wie besagtes Skinscent for Her auch erst mal gar nicht ozeanisch, atlantisch oder pazifisch riechen, sondern einfach nur 'anders'?
Auch wenn ich mit dem Gross dieser Düfte nicht viel anfangen kann, die Idee dass sich hier erstmals eine Tendenz abzeichnete, die weg von Fauna und Flora und vielmehr ein Element und eine Stimmung einfangen wollte, bleibt bemerkenswert. Freilich, es gab vereinzelte und dabei sehr unterschiedliche Solitärs die Ähnliches versucht haben: Après L'Ondée (1906 - ein ganzer Garten inklusive Regenschauer) L'Eau Trois (1975 - eine Insel samt Kultstätten im Mittelmeer), oder auch Fahrenheit (1985 - Textur, Atmosphäre, Feuer) aber nirgends wurde es so beständig bemüht wie bei den aquatischen Düften. Für mich lief das in den meisten Fällen ordentlich schief; die Veröffentlichungen schwanken zwischen versüsster Künstlichkeit oder allzu realistischen Landschaftsdüften die in ihrer Eindeutigkeit ebenso einer Abschlussprüfung einer der großen Parfum Schulen entstammen könnten.
Vielleicht versammeln sich gerade darum am Rande des Aquatischen eine beachtliche Summe bemerkenswerter Düfte, die alle irgendwie mit dieser Geschichte flirten, und gerade durch ihre Position am Rand etwas zum Diskurs beisteuern. Genau hier kommt The Saint Mariner ins Spiel, ein Parfum das bereits im Namen (in seiner kompletten Form The Saint Mariner - Pietro Sedda, dem italienischen Tätowierer, der die Motive aller Particulieres gestaltet hat, gewidmet) unverfroren seine maritimen Charakter präsentiert.
Diese Aspekte bleiben hier erstmal seicht, ein Strand auf Sardinien (Spiaggia di Maimoni) muss als geografische Koordinate herhalten, weisser Korallensand, optisch nicht unähnlich der Szene auf Bora Bora im 'Jennifer in Paradise.tif' Bild. Das Wasser hat sicherlich über 20 Grad Celsius, es reicht bis zu den Knien, weicher Sand, keine Wellen. Im Vergleich sind Ocean Rain oder Kenzo pour Homme Hochsee Abenteuer mit Seegang und Windstärke.
Vielmehr als Aquatik nur im Sinne von Meeresrauschen und Strandgut Halluzinationen wühlt The Saint Mariner ein ähnlich beladenes Territorium auf, das der 'funktionalen Zitrik' - sprich dieses, der oft nicht näher identifizierbaren Agrumen Noten, die sich in ihrer Wucht und Effektivität gerne in Haushalts - bzw. industriellen Reinigungsprodukten wiederfinden. Der hier von Jilly gebrachte Vergleich zu 'WC Ente exklusiv; ist da gar nicht mal verkehrt.
Zogen, via Autor*innen Parfumerie, in den letzten Jahrzehnten die Namen der jeweiligen Menschen hinter den Düften in Presse Communiques ein, so bleibt die funktionelle Parfumerie ein zutiefst anonymes Feld. Keines dieser Produkte verrät wer beim Duftdesign dahinter steckt. Alte Meister, Forschungs-Parfumeure, Lehrlinge? Ein Parfum das früh und dabei recht deutlich mit dieser Kategorie geflirtet hat ist Comme des Garçons' Soda (2004) aus der 'Synthetic Serie', mit seinem Extreme-Power-House Zitrus/Ingwer Gemisch, ursprünglich präsentiert in einem transparenten Plastikflakon, wobei die Flüssigkeit in einer Plastikbeutel war - und einem Zerstäubermechanismus der das zig-fache des durchschnittlichen 'through-put' hatte. Diese bewusst artifizielle und alldurchdringende Zitrusnote wird immer wieder aufgegriffen, etwa bei Humięcki & Graef's Eau Radieuse, oder weiter verbreitet in Jacque Polge's Allure Homme Édition Blanche (beide 2008) - gerade dessen cremige Zitrik (minus jeglicher Tonka/Vanille Basis) kommt The Saint Mariner nahe. Weitere Referenzpunkte bieten auch Eau Sauvage Cologne (2015) oder die 'high impact' Symrise Zitrusnote aus Andy Warhol's You're In (2017) - zeitlich in die andere Richtung, könnten Versace's cremiges Versus Uomo (1991), Yves Saint Laurent's pour Homme (1971), oder die grossen Englischen Limetten Düfte wie West Indian Limes oder West Indian Extract of Limes (Datum mir nicht bekannt) dienen.
Einige der älteren hier erwähnten Düfte haben natürlich noch ordentlich Verlauf, die Power Zitrus Note ist nur eine von vielen - The Saint Mariner, passend zu seinem Alter, setzt vor allem einen Akkord und diesen dabei sehr überzeugend um: eine durchdringend, zunehmend süssliche aber stets abstrakte und unverfroren künstliche Zitrusfrucht, umspült von leicht schäumenden Seewasser, bei der gerade noch etwas rosa Pfeffer, die Frucht des Schinus Baums, erkennbar ist. Ein bestens integrieren Gesamtguss bei dem ich kaum Schattierungen einzelner Noten ausmachen kann. Aber genau das unterstreicht ja nochmal dessen industriell-funktionalen Charm. Konsequenterweise hätte Parfumerie Particulière auch gleich auf eine vermeintliche Notenpyramide verzichten können. Ganz im Sinne der Series 6: Synthetic, die Reihe, die ich als eine der Referenzen für das Team hinter Parfumerie Particulière sehe. Type Writer und auch Black Tar stehen nicht nur im Namen Tar und Garage (beide 2004) nahe, Pluie Noire setze ich neben Dry Clean (2004) und The Saint Mariner, eben neben besagtes Soda. Ursprünglich wurde keine Notenpyramide bei Series 6: Synthetic kommuniziert, es hiess in kryptischer Kawakubo Manier etwa nur 'man-made' scents, Parfumerie Particulière hätte dieser Schritt auch gut gestandnen.
Ganz so für sich eingenommen wie etwa Pluie Noire, das andere grenzwertig aquatische Parfum der Marke, hat mich The Saint Mariner nicht, dazu ist es einen Tick zu untief, aber die beinahe industriell funktionale Zitrusnote ist hier wirklich exzellent umgesetzt, ob es das ganze letztendlich als Extrait de Parfum zu 100ml bedarf bleibt eine andere Frage, ich sehe es eher als Konsens, nach der kaum mehr unumgänglichen Eau de Parfumisierung, mit der zunehmenden Extrait de Parfumisierung mitzuhalten.
Mehr oder weniger zur gleichen Zeit ertönten mit Düften wie u.a. Cool Water, Garrigue (beide 1988) erste, und dabei bereits deutliche, Ansagen von dem was bald im Parfum-Volksmund als Aquatik bezeichnet werden sollte. Mit New West for her, Ocean Rain (beide 1990) oder Kenzo pour Homme (1991) erschienen weitere 'frühe' Höhepunkte. Danach wird es schnell unübersichtlich und die Flut aquatischer Düfte war kaum mehr zu stoppen, es schien gar so als ob es Momente gab, wo Non-Aquatik, eher die Ausnahme war. Vielleicht ist das auch einer der Gründe warum es aquatische Parfums seither mitunter schwer haben, kaum ein Genre das so inbrünstig verrissen wird und verpönt ist wie Aquatisches. In ihren Anfängen war Aquatik jedoch vor allem eins: anders. Eine Zäsur mit vielen Codes die sich in den 70'er und 80'er Jahren etablierten und die in der gegenwärtigen Retromania bei Düften wieder an Aufwind gewinnen. Vielleicht wollten Parfums wie besagtes Skinscent for Her auch erst mal gar nicht ozeanisch, atlantisch oder pazifisch riechen, sondern einfach nur 'anders'?
Auch wenn ich mit dem Gross dieser Düfte nicht viel anfangen kann, die Idee dass sich hier erstmals eine Tendenz abzeichnete, die weg von Fauna und Flora und vielmehr ein Element und eine Stimmung einfangen wollte, bleibt bemerkenswert. Freilich, es gab vereinzelte und dabei sehr unterschiedliche Solitärs die Ähnliches versucht haben: Après L'Ondée (1906 - ein ganzer Garten inklusive Regenschauer) L'Eau Trois (1975 - eine Insel samt Kultstätten im Mittelmeer), oder auch Fahrenheit (1985 - Textur, Atmosphäre, Feuer) aber nirgends wurde es so beständig bemüht wie bei den aquatischen Düften. Für mich lief das in den meisten Fällen ordentlich schief; die Veröffentlichungen schwanken zwischen versüsster Künstlichkeit oder allzu realistischen Landschaftsdüften die in ihrer Eindeutigkeit ebenso einer Abschlussprüfung einer der großen Parfum Schulen entstammen könnten.
Vielleicht versammeln sich gerade darum am Rande des Aquatischen eine beachtliche Summe bemerkenswerter Düfte, die alle irgendwie mit dieser Geschichte flirten, und gerade durch ihre Position am Rand etwas zum Diskurs beisteuern. Genau hier kommt The Saint Mariner ins Spiel, ein Parfum das bereits im Namen (in seiner kompletten Form The Saint Mariner - Pietro Sedda, dem italienischen Tätowierer, der die Motive aller Particulieres gestaltet hat, gewidmet) unverfroren seine maritimen Charakter präsentiert.
Diese Aspekte bleiben hier erstmal seicht, ein Strand auf Sardinien (Spiaggia di Maimoni) muss als geografische Koordinate herhalten, weisser Korallensand, optisch nicht unähnlich der Szene auf Bora Bora im 'Jennifer in Paradise.tif' Bild. Das Wasser hat sicherlich über 20 Grad Celsius, es reicht bis zu den Knien, weicher Sand, keine Wellen. Im Vergleich sind Ocean Rain oder Kenzo pour Homme Hochsee Abenteuer mit Seegang und Windstärke.
Vielmehr als Aquatik nur im Sinne von Meeresrauschen und Strandgut Halluzinationen wühlt The Saint Mariner ein ähnlich beladenes Territorium auf, das der 'funktionalen Zitrik' - sprich dieses, der oft nicht näher identifizierbaren Agrumen Noten, die sich in ihrer Wucht und Effektivität gerne in Haushalts - bzw. industriellen Reinigungsprodukten wiederfinden. Der hier von Jilly gebrachte Vergleich zu 'WC Ente exklusiv; ist da gar nicht mal verkehrt.
Zogen, via Autor*innen Parfumerie, in den letzten Jahrzehnten die Namen der jeweiligen Menschen hinter den Düften in Presse Communiques ein, so bleibt die funktionelle Parfumerie ein zutiefst anonymes Feld. Keines dieser Produkte verrät wer beim Duftdesign dahinter steckt. Alte Meister, Forschungs-Parfumeure, Lehrlinge? Ein Parfum das früh und dabei recht deutlich mit dieser Kategorie geflirtet hat ist Comme des Garçons' Soda (2004) aus der 'Synthetic Serie', mit seinem Extreme-Power-House Zitrus/Ingwer Gemisch, ursprünglich präsentiert in einem transparenten Plastikflakon, wobei die Flüssigkeit in einer Plastikbeutel war - und einem Zerstäubermechanismus der das zig-fache des durchschnittlichen 'through-put' hatte. Diese bewusst artifizielle und alldurchdringende Zitrusnote wird immer wieder aufgegriffen, etwa bei Humięcki & Graef's Eau Radieuse, oder weiter verbreitet in Jacque Polge's Allure Homme Édition Blanche (beide 2008) - gerade dessen cremige Zitrik (minus jeglicher Tonka/Vanille Basis) kommt The Saint Mariner nahe. Weitere Referenzpunkte bieten auch Eau Sauvage Cologne (2015) oder die 'high impact' Symrise Zitrusnote aus Andy Warhol's You're In (2017) - zeitlich in die andere Richtung, könnten Versace's cremiges Versus Uomo (1991), Yves Saint Laurent's pour Homme (1971), oder die grossen Englischen Limetten Düfte wie West Indian Limes oder West Indian Extract of Limes (Datum mir nicht bekannt) dienen.
Einige der älteren hier erwähnten Düfte haben natürlich noch ordentlich Verlauf, die Power Zitrus Note ist nur eine von vielen - The Saint Mariner, passend zu seinem Alter, setzt vor allem einen Akkord und diesen dabei sehr überzeugend um: eine durchdringend, zunehmend süssliche aber stets abstrakte und unverfroren künstliche Zitrusfrucht, umspült von leicht schäumenden Seewasser, bei der gerade noch etwas rosa Pfeffer, die Frucht des Schinus Baums, erkennbar ist. Ein bestens integrieren Gesamtguss bei dem ich kaum Schattierungen einzelner Noten ausmachen kann. Aber genau das unterstreicht ja nochmal dessen industriell-funktionalen Charm. Konsequenterweise hätte Parfumerie Particulière auch gleich auf eine vermeintliche Notenpyramide verzichten können. Ganz im Sinne der Series 6: Synthetic, die Reihe, die ich als eine der Referenzen für das Team hinter Parfumerie Particulière sehe. Type Writer und auch Black Tar stehen nicht nur im Namen Tar und Garage (beide 2004) nahe, Pluie Noire setze ich neben Dry Clean (2004) und The Saint Mariner, eben neben besagtes Soda. Ursprünglich wurde keine Notenpyramide bei Series 6: Synthetic kommuniziert, es hiess in kryptischer Kawakubo Manier etwa nur 'man-made' scents, Parfumerie Particulière hätte dieser Schritt auch gut gestandnen.
Ganz so für sich eingenommen wie etwa Pluie Noire, das andere grenzwertig aquatische Parfum der Marke, hat mich The Saint Mariner nicht, dazu ist es einen Tick zu untief, aber die beinahe industriell funktionale Zitrusnote ist hier wirklich exzellent umgesetzt, ob es das ganze letztendlich als Extrait de Parfum zu 100ml bedarf bleibt eine andere Frage, ich sehe es eher als Konsens, nach der kaum mehr unumgänglichen Eau de Parfumisierung, mit der zunehmenden Extrait de Parfumisierung mitzuhalten.
13 Antworten