Chypre Palatin 2012

Profumo
03.07.2012 - 05:52 Uhr
69
Top Rezension
7.5
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
10
Duft

Zum Niederknien!

Selten geschieht es, dass mich ein Duft derart begeistert, aber vor ‚Chypre Palatin’ möchte ich beinahe niederknien - was für ein Duft!
Ein volles, sattes Chypre, modern einerseits - ein typischer Duchaufour, mit all seiner Raffinesse, seiner fein gewebten, dennoch robusten Textur - aber andererseits mit der Grandeur alter Chypre-Legenden ausgestattet, die augenblicklich an ‚Mitsouko’, an ‚Diorama’ oder ‚Azurée’ denken lassen.

Und das heute!
Wer hätte gedacht, dass in unserer Zeit noch einmal ein solches Chypre das Licht der Welt erblickt – in einer Zeit, da einer regulierungswütigen IFRA zufolge schon der Untergang des Chypre-Duftes ausgerufen wurde, zu sehr ging es ans Eingemachte, ans Essentielle, an das Herz des Genres, genannt ‚Evernia Prunastri’ bzw. ‚Evernia Furfuracea’, Eichen- bzw. Baummoos. Bekanntlich wurde es auf eine Weise inkriminiert, dass an einen Fortbestand des Chypres im klassischen Sinne nicht mehr zu denken war. Viele Parfumeure versuchten in der Folge dieses für viele als Königsklasse geltendes Genre neu zu definieren. Düfte wie ‚31-Rue Cambon’ oder ‚Timbuktu’ entstanden, Eichenmoos-lose Chypre, die zwar die Grenzen dieser Gattung etwas weiteten, für mich persönlich aber – so gut sie sind ¬ nie wirkliche Chypre-Düfte wurden.
Nicht so ‚Chypre Palatin’. Dieser Duft wartet mit einer Neuigkeit auf, und die heißt: ‚Oakmoss extract – low atranol’, einem Eichenmoos-Substitut der französischen Firma ‚Biolandes’, das – wie das Unternehmen betont – mit den Vorgaben der IFRA nicht nur absolut vereinbar ist, sondern darüber hinaus auch noch zu 100% natürlich.
So ‚chyprig’ wie der neue Duft von MDCI riecht, kann Betrand Duchaufour mit diesem Ersatzstoff nicht gegeizt haben!

Doch zum Duft selbst: ‚Chypre Palatin’ ist, wie gesagt, ein sattes Chypre mit allen Insignien der ganz Großen seiner Zunft – frisch und herb-fruchtig beginnend, mit grünen und würzigen Akzenten, einem üppig aufblühendem Herzen und einer warmen, holzig-bitter-moosigen Basis, angereichert mit dunklen orientalischen Tönen und feinen animalischen Beiklängen. Die Vielzahl der Noten – der Duft ist erkenn- bzw. erriechbar üppig ausgestattet und reich orchestriert – ist perfekt verblendet, sodass es schwerfällt einzelne isoliert betrachten zu wollen. Dennoch sind es einige, die diesen Duft für mich im besonderen Maß charakterisieren: Mandarine (bzw. Clementine) und Thymian zu Beginn, gefolgt von Rose und pudriger Iris, rauchigem Styrax und feiner Vanille, weichem Leder und einem ordentlichen Schuss Bibergeil. Alles durchdringend: der celloartige Moll-Ton des Chypre-Duos Labdanum (Zistrose) und Eichenmoos. Sie alle erzeugen zunächst eine pudrig-seifige Aura, die unter Zuhilfenahme einer dezenten Prise Lavendel entfernt an uralte Fougères à la ‚Zizanie’ oder ‚Mouchoir de Monsieur’ erinnert, sich aber zusehends in eine Velours-artige, weich-ledrige verwandelt.
Die Entwicklung verläuft gemächlich und nach ca. drei Stunden hat der Duft seine vollen Basis-Noten entfaltet, die wiederum Stunde um Stunde nicht aufhören wollen ihre warmen und dunklen Wogen auszusenden. Dabei ist der Duft in keiner Sekunde flach und eindimensional, sondern entfaltet jederzeit ein angenehmes Volumen, offenbart Tiefe und entwickelt eine akzeptable Sillage. Man bedenke: dieser Duft ist dem Manne zugeeignet – was nicht bedeutet, dass er nicht ebenso gut und gewinnbringend von Frauen getragen werden kann – und eine überbordende, offensive, ja raumsprengende Abstrahlung, die manche der alten Chypres durchaus haben konnten, ist hier zum Glück nicht zu erleben. Dennoch, ‚Chypre Palatin’ entwickelt eine energische Präsenz und Ausdauer, die trotzdem nie laut oder übergriffig wird.

Warum eigentlich ‚Palatin’?
Hat nicht schon Guerlain vor einigen Jahren versucht einem Chypre-Duft mit römischer Namensgebung (Coriolan) imperiale Größe zu verleihen? Nun, geglückt ist es damals nicht wirklich – der Duft geriet zaghaft, spröde und blutarm. ‚Chypre Palatin’ ist dagegen das genaue Gegenteil: zwingend, energisch, kraftvoll, dabei überaus zivilisiert und auf diese Weise vielleicht wirklich ein olfaktorisches Abbild einer stark idealisierten Vergangenheit.
Aber greifen wir nicht mittlerweile gerne auf solche Bilder zurück?
Bietet womöglich die heutige Zeit nicht mehr genug Sehnsuchtspunkte à la ‚Timbuktu’ oder ‚Dzongkha’ – um bei weiteren Duchaufour-Kreationen zu bleiben – die sich in ein Parfum einfangen ließen, und liegt vielleicht deshalb der Blick in vermeintlich glorreiche, vergangene Tage nahe? Histoires de Parfums hat hier Exemplarisches geleistet und dahingegangenen Heroen posthum Duftdenkmäler errichtet: z. B. ‚1740 – Marquis de Sade’ oder ‚1725 - Casanova’. Aber auch Duchaufour selbst hat mit ‚1697’ für Frapin einen solchen, die Vergangenheit beschwörenden Duft geschaffen. Doch obwohl diese Düfte allesamt weit, weit zurükgreifen und zugleich die großen Werke der näheren Vergangenheit zitieren, sind sie dennoch unverkennbar zeitgenössische Kreationen – neoklassische gewissermaßen, mit einem kleinen Twist ins Moderne.

‚Chypre Palatin’ spielt nun wirklich virtuos mit diesen fast schon mehrfachen Rückgriffen: Roms Palatin zum einen, der Hügel auf dem einst Augustus’ gewaltiger Palast stand (symbolisch vielleicht durch eine zarte, leicht malzige Immortellen-Note im Fond vertreten), zum anderen die Heroen glorreicher Chypre-Tage, fruchtige wie ‚Mitsouko’, ‚Diorama’ oder ‚Le Parfum de Thérèse’, über grün-florale wie ‚Vent-Vert’, ‚Diorella, ‚Cristalle’ oder ‚Alliage’, bis hin zu orientalischen wie ‚Vol de Nuit’ oder ‚JHL’. Und schließlich klingen Bertrand Duchaufours vorangegangene Kreationen selbst erneut an: die schon erwähnte Immortellen-Note – Amouages ‚Jubilation XXV’ entlehnt, die Kombination von Trockenfrüchten und weichem Leder – direkt dem Herzen von ‚Traversée du Bosphore’ entnommen, der weiche, dunkle, fast bitter-schokoladige Fond – ein Wink in Richtung Frapins ‚1697’.
All diesen Rückgriffen zum Trotz, diesen Querverweisen, Zitaten und Huldigungen ist ‚Chypre Palatin’ – wie gesagt - kein altmodischer Duft, sondern ein durchaus moderner, einer, dem der Spagat zwischen Gestern und Heute auf beeindruckende Weise gelingt.

Dass dieser Duft mit seinem vollen Chypre-Sound ausnahmsweise mal dem männlichen Geschlecht gewidmet ist, empfinde ich im Übrigen als höchst erfreulich. Sicher, es gab und gibt zum Glück noch immer Chanels ‚Pour Monsieur’, ein vertiabler Chypre-Duft (nur leider im Cologne-Dress), aber im Großen und Ganzen sind die bedeutendsten Chypres der Vergangenheit mit all ihrer Opulenz, ihrem spannungsgeladenem Reichtum an bitteren und fruchtigen, an floralen und erdigen Nuancen doch allein der Damenwelt gewidmet, während die Herren jahrzehntelang mit zahllosen Fougère-Variationen bedacht (und vernachlässigt) wurden.

Männer (an Jungs kann ich ihn mir nicht denken), wenn ihr euch nicht traut ‚Mitsouko’ zu tragen, nehmt diesen Duft hier.
Ein bisschen teuer ist er, aber jeden einzelnen Cent wert!
Wer mag, kann sich den Flakon ja noch für ein paar hundert Euro mit einer hübschen Statuette krönen – mir genügt der Refill.
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