Chypre Palatin 2012

Apicius
16.08.2012 - 18:44 Uhr
38
Top Rezension
2.5
Flakon
7.5
Sillage
10
Haltbarkeit
3
Duft

Olfaktorische Schnitzelküche

Liebe Leute, ist das euer Ernst? Ihr habt diesen Betriebsunfall auf derzeit Platz 1 der Herrendüfte gewählt? Ist Euer Verlangen nach neuen Herrenchypres denn so groß, dass man Euch alles vorsetzen kann?

Chypre Palatin mag sich ja durch eine besondere Aromenvielfalt auszeichnen – genießen kann ich sie nicht. Das ist kein einfaches Chypre, sondern ein sogenanntes Oriental Chypre. Bei diesen Düften wird der dunkle Chypre-Akkord vor allem durch vanilleartige Noten ergänzt und modifiziert. Je nach Ausprägung können diese Chypres besonders opulent ausfallen, Vorsicht ist also geboten.

Und bei Chypre Palatin ist genau das der Fall: Der vanillige, orientalische Teil ist viel zu dick; am süßlichen, mandelpuddingartigen Eindruck dürften zudem die weißen Blüten wesentlichen Anteil haben, allen voran eine Gardenie. Viel hilft viel – das scheint das Motto bei der Konzeption gewesen zu sein. Das ist nicht mehr elegant, eventuelle weitere Nuancen werden einfach erschlagen. Chypre Palatin ist gerade so obszön wie zentimeterdick aufgetragenes Makeup. Ich hatte während des Testens mit einem leichten Würgereiz zu tun.

Wie so viele Chypre-Parfums wird auch Chypre Palatin mit zunehmender Tragedauer immer besser. Nach etwa drei bis vier Stunden hat sich die Chypre-Basis voll entfaltet und schlussendlich sogar die unsägliche Puddingnote hinter sich gelassen. Man mag eine solche sich steigernde Entwicklung als raffiniert inszenierten Spannungsbogen ansehen, vielleicht steckt aber auch nur das Unvermögen der Parfümeure dahinter, einer grandiosen Chypre-Basis gleichwertiges voranzustellen.

Ein guter Chypre-Akkord ist an sich schon opulent, der braucht keine Verstärkung. Im Gegenteil, ich persönlich warte darauf, dass es mal jemandem gelingt, diese altmodische Basis in einen schlanken, modern anmutenden Zusammenhang zu stellen. Mit Vanille und Gardenie rettet man Chypre nicht in die heutige Zeit.

Ausnahmsweise möchte ich Kritik an einem meiner Vorredner üben. Mir ist nicht verständlich, wie Profumo die von Jacques Polge nur leicht orientalisierte Variante Pour Monsieur Concentrée als Verschlimmbesserung des originalen Chanel Pour Monsieur ablehnen kann, dann aber die viel ausgeprägtere florientalische Opulenz des Chypre Palatin durchgehen lässt und den Duft so über die Maßen positiv beschreibt. Das hat dieses anstrengende Parfum nicht verdient.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: meine Ablehnung richtet sich nur gegen Chypre Palatin, nicht gegen die Duftrichtung der Oriental Chypres als solche. Neben Chanels Pour Monsieur Concentrée wäre besonders das soeben wieder eingestellte Sagamore von Lancôme zu nennen. In beiden kann man bewundern, wie dezent eingesetzte orientalische Noten eine dunkle, chypreartige Basis aufhellen sowie weicher und zugänglicher erscheinen lassen.

Und auch weiße Blüten verbieten sich keinesfalls in einem Herrenchypre: Aquaba Man zeigt ihre leuchtende Pracht vor dunklem Hintergrund; die florale Opulenz dieses Duftes geht bis fast an jene Sperrlinie, die Chypre Palatin bedenkenlos niedertrampelt.

Chypre Palatin ist zugegebenermaßen ein spektakulärer Duft. Vanillige Opulenz zulasten der Eleganz scheint ja ein gewisser Trend in Herrendüften zu sein, man denke zum Beispiel an das kürzlich erschienene Eau Sauvage Parfum. Doch gerade solch laute Düfte darf man vor Erwerb ruhig darauf untersuchen, wie lange man es mit ihnen aushält.
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