Iris Prima 2013

Marieposa
25.04.2021 - 02:21 Uhr
36
Top Rezension
10
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7
Duft

Die Euphorie des Augenblicks

Sie musste einen Moment innehalten und atmete dreimal tief durch. Dann nahm sie all ihren Mut zusammen, hielt die Luft an und setzte die Pinzette an. Mit einer schwungvollen Bewegung riss sie den abgelösten Zehennagel einfach aus.
Während sie die mit Jod getränkte Kompresse auf ihren verletzten Fuß drückte, zischte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen: „Eine Ballerina braucht Selbstdisziplin, keine Zehennägel!“ Wieder und wieder flüsterte sie diesen Satz wie ein Mantra, bis der Schmerz schließlich nachließ. Es war nicht der erste Nagel, den sie auf diese Weise einbüßte. Und schon morgen würde sie wieder im Ballettstudio an der Stange stehen, mit Haltung und Grazie, die Spitzenschuhe über den bandagierten Füßen und den Schmerz würde sie weglächeln, wenn sie sich in die Arabesque erhob.
Nichts ist schwerer als Leichtigkeit.
Andere Sportarten entlockten ihr nur ein müdes Lächeln, wenn sie zusah, wie riesengroße, muskelbepackte Kerle sich jammernd auf dem Boden herumwälzten, weil sie jemand geschupst hatte. Wie Riesenbabys trugen sie ihren Schmerz zur Schau – völlig unvorstellbar für eine Tänzerin.
Warum also tat sie sich all das überhaupt an? Das harte Training, die strenge Diät, die gnadenlose Selbstdisziplin? Es war dieser eine Moment der vollkommenen Euphorie, wenn sie wie schwerelos auf die Bühne schwebte. Vollkommen eins geworden mit sich selbst, ihrer Rolle und der unbeschreiblichen Schönheit des Augenblicks, eins mit dem Takt der Musik, aufgelöst in ihrem Tanz. Jede Bewegung voll erhabener Eleganz und messerscharfer Präzision, jeder Sprung so leicht, als würde sie den Boden gar nicht richtig berühren. Ein Aufblühen in jener Magie, für die sie das Ballett immer lieben würde, und die Blut, Schweiß und Tränen einfach vergessen ließ.

***

Als ich las, Alberto Morillas habe Iris Prima in Zusammenarbeit mit dem English National Ballet entwickelt und sich Inspiration und Einblick hinter den Kulissen verschafft, dachte ich einen Moment lang wirklich, Penhaglion’s würde einen Schritt gehen, den noch niemand gewagt hat, und ein ungeschöntes Bild des Balletts olfaktorisch abbilden. Ob der Duft von schweißnassen Körpern, Kolophonium, Kytasalbe, staubigen Requisiten und noch mehr Schweiß ein Verkaufsschlager geworden wäre, sei mal dahingestellt. Spannend wäre er auf jeden Fall geworden. Deutlich aufregender, als Iris Prima es aufs erste Riechen ist: Eine grün-pudrige Iris, flankiert von hellem, trockenem Holz und einer leichten, aber präsenten Wildledernote. Dazu gesellen sich leuchtend weiße Jasminblüten, wolkenweicher Moschus und ein Hauch Vanille.
Beim ersten Tragen fand ich den Duft hübsch, aber auch ein wenig unspektakulär und hatte die Duftspur so schnell wieder verloren, dass ich Iris Prima als nett, aber belanglos abhakte. Erst als mir das Pröbchen zufällig bei wärmerem Wetter wieder in die Hände fiel, entfaltete der Duft seinen vollen Zauber. Plötzlich konnte ich die Ballerina auf die Bühne schweben und ihr weißes Tutu im Rampenlicht schimmern sehen. Ich spürte die Euphorie des Augenblicks, aber auch die Unerbittlichkeit, die dafür notwendig gewesen sein musste. Interessanterweise umschwebte mich der Duft nun auch für Stunden. Eine erstaunliche Haltbarkeit für so ein Leichtgewicht.
Was beim zweiten Mal anders gewesen ist? Ich weiß es nicht. Aber seither hege ich die Vermutung, dass ich manche Arten von Moschus und vermutlich auch Hedione, die wohl in hoher Konzentration in Iris Prima enthalten sind, nur bei höheren Temperaturen richtig wahrnehme. Alberto Morillas Ballerina durfte jedenfalls bei mir einziehen und begleitet mich nun schon seit Jahren. Es gibt zugegebenermaßen facettenreichere und aufregendere Düfte, aber wenn ich an Sommertagen keine Lust auf die üblichen Zitrus- oder Blumendüfte habe, ist das pudrige Leder mit den blitzenden Jasminsternchen von Iris Prima genau richtig.
22 Antworten