Helen, Herrgott! Jetzt werden sie sich wieder die Mäuler über dich zerreißen. Und, nein, schau mich nicht so an mit deinen rauchblauen Augen. Als wüsstest du nicht ganz genau, worüber ich spreche.
Warum nur, warum musstest du auf den Ball von Lady Borerich gehen? Du weißt doch , dass dich solche Veranstaltungen zu Tode langweilen! Du hättest dich in die Kaschmirdecke kuscheln können, von der später noch die Rede sein wird, ein gutes Buch lesen und die Gelegenheit verpassen, deinen Ruf noch weiter zu ruinieren, als er es ohnehin schon ist.
Aber nein, für Helen of Noheartat Hall ist das natürlich keinen Option. Du konntest nicht widerstehen, stimmt's? Der Versuchung nämlich. Du wolltest Lady Borerich mit dem rauchblauen Seidenkleid ärgern, das du dir hast machen lassen. Nicht wegen der Farbe, obwohl die wirklich wunderbar zu deinen Augen harmoniert, nein. Des Ausschnitts wegen. Und das ist dir ja dann auch gelungen.
Aber der Reihe nach.
Natürlich warst du der Glanzpunkt auf diesem Fest von dem Augenblick an, als der Butler deinen Namen verkündete. Und das war Pech für dich, denn das bedeutete, dass nichts dort auch nur annähernd so interessant war wie du. Sogar der Champagner schmeckte langweilig (erwartbar nach Champagner halt), weshalb du den Butler angewiesen hast, die Mandarinen aus der Obstschale des fünften Earls of Borerich auszupressen und gemeinsam mit einigen zerstoßenen zartrosa Pfefferkörnern dem Champagner beizufügen. Das sah hübsch aus, denn die rosa Pfefferkörner perlten frivol in dem nun aprikosenfarbenen Getränk, und außerdem entfaltete es ein interessantes, weil säuerlich - spritziges und leicht aromatisch-scharfes Bouquet. Der Cocktail wurde der Renner auf dem Ball, der bedauernswerte Butler musste pausenlos nachpressen und Lady Borerich ließ sich zu der Bemerkung hinreißen, die liebe Helen sei eben überaus originell (was sie ein wenig so klingen ließ, als sei es etwas unerfreuliches und möglicherweise sogar ansteckend).
Jedenfalls sprachen alle dem Champagner Cocktail zu; ganz besonders der Marquess of Havenofun, der ein Glas nach dem anderen leerte und schließlich mit deutlich vertiefter Gesichtsfarbe und leider in Hörweite seiner Gemahlin an Helen gewandt verkündete, dass ihre Augen die Sterne beschämten.
Das war nun wirklich geschmacklos, fand Helen. Nicht wegen der Gemahlin. Sondern weil es so abgedroschen klang.
Und deshalb fordertest du ihn auf, anstelle der Augen doch lieber die Blumen an deinem Mieder zu besingen: Tuberosen und Jasmin, die, üppigen Duft verströmend, am rauchblauen Decolté genau dort angeheftet waren, wo der hoffnungsvolle Betrachter zuversichtlich war, mehr zu erblicken als sich ziemte.
Und als ob das noch nicht gewagt genug gewesen sei, untermaltest du deine Aufforderung mit einer Geste, indem du mit der Fingerspitze von den Augen über das gerade Näschen, die Lippen, das Kinn und den langen Hals hinunter bis zu der seligkeitsversprechenden Stelle mit den Blumen fuhrst. Die Fingerspitze des gestreckten Mittelfingers übrigens, aber eventuell ist der englische Adel nicht so deutungsfest in dieser Art der Symbolik, jedenfalls schien niemand dieses Detail zu bemerken, ganz besonders nicht der Marquess of Havenofun, der das Ganze als Einladung verstand.
Das war nun zu viel für die tugendhafte, wenn auch bedauerlich vorgealterte Gemahlin des Marquess, die, das letzte ihr verbleibende Register ziehend, mit dem Ausruf "Skandal!" in Ohnmacht sank.
Und das war wirklich dumm von ihr, denn der Marquess nutzte die Verschiebung der Aufmerksamkeit zu seiner bedauernswerten Gemahlin hin augenblicklich, um, Helens Aufforderung folgend, den Kopf tief in Richtung der süß cremig duftenden Blütenpracht zu senken.
Und dort verweilte er, verweilte er lange und immer länger, denn unglücklicherweise hatte er, übermütig vom Champagnercocktail, seine Neigung vergessen, in bestimmten Situationen einen steifen (was denkt ihr euch denn? Es handelt sich um einen älteren Herren!) Hals zu bekommen. Und das war geschehen, weshalb er nun gezwungen war, im Dunst von Champagnercocktail und Weißblühern mit dem Gesicht an Helens cremeweißen Busen zu verharren, als hätte ihn der liebe Gott persönlich zur Strafe dort einfrieren lassen.
Weshalb seine Gemahlin, unter der liebevollen Fürsorge der Hälfte aller Anwesenden im Saal (die andere Hälfte hatte sich gut positioniert um das nun erwartbare Folgende zu beobachten), zu den Lebenden zurückkehrend mit dem ersten Blick der flatternd aufgeschlagenen Lider den Gemahl in kompromittierender Position vorfand und sofort einen hysterischen Anfall erlitt. Und Helen, ich gebe zu, dass das irgendwie lustig ist. Aber hättest du es nicht vermeiden können, gar so laut und schallend zu lachen?
Der Rest des Abends verlief irgendwie ungeordnet und Lady Borerich äußerte, es sei das Letzte Mal gewesen, dass sie Helen of Noheartat Hall eingeladen habe. Aber niemand glaubt das, denn du bist ein Garant dafür, zum Tagesgespräch zu werden und dieser Versuchung widersteht keine Gastgeberin.
Du allerdings bist nach Hause gefahren, bist zu Bett gegangen und hast dich in deine Kaschmirdecke geschmiegt, was du von Anfang an hättest tun sollen. Unter dieser Decke trugst du, nicht ganz den sehnsuchtsvollen Phantasien des Marquess of Havenofun entsprechend, durchaus nicht nichts. Sondern einen Hauch dieses extravaganten unbescheiden und absolut fantastischen Duftes von Penhaligon`s hinter jedem Ohrläppchen. Rauchblau und herzlos. Wie du, liebe Helen. Wie du.