Fresh21
08.05.2022 - 01:00 Uhr
32
Top Rezension
7
Preis
8
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7.5
Duft

Vom hässlichen Entlein zum…

Mittlerweile hatte ich ca. 800 Parfums vor der Nase, doch Aqaysos ist noch immer meine Nr.2. Da mag mein fiebriges Interesse nicht wundern, als es offiziell hieß, dass Pierre Guillaume mit seinem neuen Duft "der Komposition des Bestsellers Aqaysos nachspürt".

WOW, dass ist doch 'ne Ansage, meine Dauerverliebtheit bekommt ein Schwesterchen. Die muss ich sofort daten… und zack, gleich ins Oshiso-Sharing eingereiht.

Aber vielleicht hätte ich besser die folgende Zeile etwas aufmerksamer lesen sollen, denn weiter heißt es (übersetzt) "eine kristalline, holzig-würzige Note, die unter einer "bissigen Frische" eine pudrige und einhüllende Natur offenbart".

Oops.

Naja, abwarten und Tee trinken, das wird schon…

Von wegen!

Kaum eingetroffen und aufgesprüht, drängt sich mir augenblicklich eine heftige Note auf ...wie die Montagsproduktion eines mutierten Armani Code Profumo, versetzt mit konzentriertem Süßmandelbackaroma - voll auf die Zwölf: schrill, laut, gedopt, 210%.

Und jaaa …das IST "bissig", weil schonungslos synthetisiert und auf Höchstleistung potenziert. Okay okay, bei Pierre klingt das mit "kristallin" etwas moderater. Doch würde er nicht von einer holzigen Note sprechen, hätte ich diese kaum als solche erkannt: ein heftiges Kunstgebräu! Komischerweise konnte ich den neuen Oshio aber dennoch einigermaßen ertragen, der sich über die erste halbe Stunde ein wenig beruhigt, die nächste sogar erträglich macht, und im Anschluss gar ein kleines Wunder vollzieht!

Waaas?... wie ist das möglich nach DEM Start?

Tatsächlich konnte ich es kaum glauben, aber diese übersüßte Aromachemie[holz?]keule braucht genau eine Stunde, um sich nahezu vollständig in den wundervollen (späten) Drydown des Aqaysos zu wandeln! Und in den bin ich seit eineinhalb Jahren verknallt. Allerdings kommt dessen fluffig-weiche Frucht-Moschus-Holz-Note bei mir nur auf Kleidung so richtig zur Geltung, und auch erst nach 5-6 Stunden, dann aber besonders lang! Also machte ich mich in den letzten Monaten auf die Suche, welche Noten im Aqaysos diesen schönen Ton ergeben könnten, sowie entsprechenden Düften, die ihn möglichst von Anfang an erzeugen.

Dabei war meine Recherche (+Tests) nicht die Kleinste, doch letztlich kam ich zu dem Schluss, dass der bezaubernde Drydown des Aqaysos einzigartig, und damit unnachahmlich ist. Nicht dass dieser besonders außergewöhnlich wäre, sondern gerade das Gegenteil: einfach nur seeehr angenehm, man fühlt sich total wohl mit ihm, ja er ist wie ein bester Freund, ein Vertrauter… Und um diesen Effekt zu erzeugen, braucht es im Aqaysos wohl eine komplexe, sehr austarierte Melange, die auch einen speziellen "animalischen Moschus" enthält, der jedoch eher Richtung Haut denn Tier geht - einfach top!

Und nun kommt dieser Oshiso daher, öffnet mit einer Rocky Horror Synthie Show und lehrt uns eines Besseren: Pierre Guillaume weiß, wie es geht und ahmt seinen eigenen Duft nach! Offensichtlich hat er die Zeichen der Zeit erkannt, denn ganz sicher bin ich nicht der Einzige, der den Aqaysos-Drydown liebt und ihn über den gesamten Verlauf wünscht (u.a. unser geschätzter Medianus76).

Aber wie bei so einigen anderen Düften, besteht auch beim Oshiso leider das Problem, eine hohe Dosierung der Ingredienzen zu benötigen, den erzielten Vibe über einen längeren Verlauf halten zu können. Dass jedoch aus diesem völlig überzeichneten, überschrillen Synthetik-Mix der gelisteten Oshiso-Noten ein dauerhafter Aqaysos-Drydown werden kann, hätte ich nie für möglich gehalten, die einzeln kaum herauszuriechen sind.

Wirklich beeindruckend, dass der neue PG nach einer guten Stunde viel weniger nach Synthetik riecht, bzw. dessen Resteindruck genau wie beim Aqaysos sogar zum Gestaltungsmerkmal wird.

Mit zwei Spritzern am Hals reduziert sich zwar seine Power-Sillage über die erste Stunde von anfänglichen 7-8 auf 6, und schwächelt mal nach ca. 4h auf nur noch 5,5... doch schon eine halbe Stunde später liegt der Oshiso wieder bei 6, indem nun eine helle, leicht cremige, lieblich dezent frische Note hinzukommt und ein wenig vom Aqaysos-Drydown abweicht. So verbleibt der Duft dann und projiziert noch weitere 3-4 Stunden. Zum Vergleich: Mit 2-3 Spritzern auf einem Shirt gibt's zunächst die gleiche Backaroma-Explosion wie auf der Haut, der Duft wandelt sich jedoch deutlich zögerlicher in die schöne Aqaysos-Note, bleibt dafür aber ewig (nach 12h noch Sillage 6).

Fazit: übersteht man die erste 1/2h entwickelt sich Oshiso bald zu einem angenehmen, leicht frischen, nur mäßig synthetischen, weichholzigen Duft, der schon nach gut einer Stunde sehr dem späten Aqaysos-Drydown (auf Shirt) ähnelt. Nach ca. 4,5h wird er noch etwas heller, ähnelt seiner Vorlage aber immer noch 80-90%. Insgesamt ist er etwas nussiger, mandeliger, während Aqaysos diesen Anteil hell-fruchtiger wirkt. Doch auf Kleidung ähneln sich die beiden nach >12h sogar >90%.

Zum Schluss noch etwas Persönliches:

Lange habe ich gehofft und gesucht, einen Duft zu finden, der den Aqaysos-Drydown möglichst über den gesamten Verlauf abbildet. Doch als ich ihn nun endlich fand, war mein Liebling plötzlich entzaubert, die Magie verpufft und seine Einzigartigkeit erloschen. So mache ich die Erfahrung: etwas so Schönes, das sich erst nach Stunden zeigt, soll wohl nicht früher erscheinen und einfach den ganzen Tag zugegen sein.

Insofern nehme ich nicht nur wegen des extremen Starts von Oshiso Abstand, sondern freue mich von nun an beim Aqaysos umso mehr darauf, jedes Mal stundenlang auf sein Highlight warten zu dürfen, und ihn dadurch nur noch mehr zu schätzen:)

Aber für die Ungeduldigen unter euch, die über spezielle Nasenschließmuskeln verfügen, die erste halbe Stunde einfach auszublenden, ist der Oshiso wie gemacht:

Vom hässlichen Entlein zum… schönen Albratos (oder so ähnlich;)

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