L'Homme 2016

MonsieurTest
10.02.2022 - 08:53 Uhr
57
Top Rezension
8
Preis
7
Flakon
7
Sillage
8
Haltbarkeit
8.5
Duft

Die Frau hinter L'Homme. Daniela Andriers Gespür für weiche Würze schuf diesen ultrabeliebten Puder-Seifen-Patcher

Dieser Prada L‘Homme hat was: Seine mild gepfefferte Patchouli-Würze; die weichgespültesten Rosengeranien-Veilchen seit es Blümchen (und Weichspüler) gibt; die pudrigste sanftsüße Amber-Kuscheligkeit seit Iriswurzel Gedenken.

Dieser Duft kann was: Er vermittelt das Gefühl von Sauberkeit. Er verpasst einen büro- wie operntauglichen Umhang dezenter Eleganz: ein gebügeltes, weißes Hemd zum Aufsprühen.

Dieser Duft hat Erfolg: Pradas L’Homme zählt bei Parfumo zu den meist verbreiteten Parfums. 4176 Nutzer besitzen ihn. Nur zwei andere, vulgärere Düfte, verzeichnen noch höhere Quoten. Dabei ist der 2016 erschienene Prada gar der jüngste unter den Reichweiten Top Ten hier. Auch als Signaturduft hält er einen bemerkenswerten dritten Platz auf der Parfumo-Rangliste.

So also riecht Erfolg! Dieses Duftwasser, das all seine weit verbreiteten, unoriginellen Komponenten raffiniert ausbalanciert, wirkt derart rundgeschliffen, dass es mir schwer fällt, einzelne Noten herauszuriechen. So verstehen auch Nase und Riechhirn, warum die Pyramide hier als Flachbau auftritt: auf eine Unterscheidung in Kopf-, Herz- und Basisnoten wurde verzichtet.

Iris schmust mit Veilchen; Neroli pfeffert Patch. Veilchen knuddelt mit Zeder und Rosengeranie schaut ambriert lächelnd zu. Auf zitrische Anfangsfrische wird weitgehend verzichtet; diesen Effekt übernimmt hier vermutlich ein Pfeffer-Neroli-Akkord, der als solcher kaum auffällt, jedenfalls keine Schärfe evoziert…

Irgendetwas, vermutlich die Seife auf dem Waschbecken meiner Heidelberger Großeltern roch ähnlich wie Pradas Homme. Leider ist es mir Jahrzehnte später rätselhaft, welcher der raffiniert zu einem geschmeidigen Gesamteindruck verwobenen Duftbestandteile dieses Erfolgsparfums meine Erinnerungen hervorrufen könnte. Ich wüßte es zu gerne.
Benutzten meine luxusfernen, protestantischen Großeltern eine Seife mit Patchouli-Neroli, mit Zedernnoten oder eher eine mit Irisbutter? Hatte Oma einen Puder, der die Luft mit vergleichbaren Irisnoten schwängerte? Hat das 4711 Cologne-Neroli meiner Vorfahren etwas mit dem (hier aber ganz anders verbauten) Neroli zu tun?

Gab es eine gemeinsame Schnittmenge zwischen meinen Kindheitserinnerungen und den Inspirationen Daniela Andriers? Andrier stammt jedenfalls aus Heidelberg, migrierte dann freilich im Alter von Jahren 15 nach dem Tod ihrer Mutter mit ihrem Vater nach Paris. Dort nahm sie erst ein Philosophiestudium auf und stürzte sich nach einem Chanel-Praktikum in die Parfumeurs Ausbildung, ihrer seit Kindheitstagen bestehenden Faszination für Duftwelten folgend.

Vibriert in diesem wirklich sehr gut gemachten Supersauberduft ein calvinistischer Grundakkord? Denn Genf, wo Givaudan angesiedelt ist, gilt als Hauptort des Calvinismus und die Heidelberger protestantischen Theologen waren lange stark von dortigen Einflüssen geprägt…
Freilich lernte Frau Andrier ihr Metier in Grasse und lebt mit ihrem Mann und den vier Kindern in Paris, was nun so wenig calvinistisch daher kommt wie die Marke Prada oder wie das katalanische Dufthaus Puig, welches die Prada Düfte (wie auch Nina Ricci, Artisans Parfumeurs, Penhaligon sowie die Zara Düfte u.a.m.) vermarktet.
Über Kindheitserinnerungen, die Ursprünge und tröstlichen Funktionen ihrer Duftliebe sprach Daniela Andrier übrigens in einem interessanten 2010 publizierten Portrait–Artikel der ZEIT:

https://www.zeit.de/lebensart/mode/2010-03/parfum-daniela-andrier/komplettansicht

Die Mehrzahl der 30 TopTen Erfolgsdüfte (in m/f/unisex) bei Parfumo wurden von männlichen Parfumeuren verantwortet. Jedoch findet sich neben anonymen (Industrie-Team-) Schöpfern auch eine gute Handvoll Frauen unter den Erfolgsmixern: Andriers L‘Homme ist der Verbreitetste, daneben zählt Annick Menardo mit Hypnotic Poison (dem am häufigsten besessenen F-Duft) dazu. Ebenso: Christine Nagel (Narciso Rodriguez For Her), Nathalie Lorson (Black Opium; Encre Noir) und Anne Flipo, die an mehreren Top Ten Düften beteiligt war, sowie Sonia Constant (Ombre Leather) und Shymala Maisondieu (Fucking Faboulous).

Der Duft-Output Andriers ist mit 148 Parfums (davon etwa 50 für Prada) erheblich. Zu ihren ersten Erfolgen zählten Würz-Klassiker wie Etros Palais Jamais, Guccis Envy for Men und Emporio Armanis Lui/Him.

Der Mann hinter der Frau hinter L’Homme heißt übrigens Gilles Andrier. Er ist seit 2006 CEO von Givaudan, dem mit Abstand größten Dufthersteller dieses Planeten - vor IFF, Firmenich, Symrise und Robertet, das schon deutlich kleiner ist. Givaudan, ein an der Schweizer Börse notierter Konzern, für den Herr Andrier seit 1993 arbeitet, setzt knapp 7 Milliarden CHF um; nicht zuletzt auch durch von ihm verantwortete Zukäufe wie den Fragrance-Produzenten Quest. Der Konzern bringt es auf 25% Weltmarktanteil am Duftbusiness, welches freilich nur zum kleinsten Teil (ca 15%) um Parfums kreist. Der größere Teil wird mit Hygiene- und Nahrungsmittel- Scents und Flavours gemacht.

Ein überaus informatives Interview mit Gilles Andrier über die lange Geschichte und breite Produktpalette Givaudans wie auch über einige Aspekte des Parfumeurs-Berufs findet sich hier:

https://www.youtube.com/watch?v=kGwdMuUdAR8 .

Aus der Regie dieses Power-Teams der Weltbeduftung stammt (statistisch betrachtet...) jedes vierte vermarktete Duft- oder Geschmacksmolekül, das aus Essen, Waschmitteln, Raum- oder Parfumdüften den Weg in unsere Nasen und Hirne findet.
Aus Frau Andriers Nasen- und Mixkünsten stammt als ihr vielleicht nicht bestes doch wohl erfolgreichstes Parfum dieser gefällige, saubere, sanft-würzig-süße, tendenziell ins Uni- oder Metrosexuelle neigende, unaufdringlich weiche Nasenschmeichler.

Ein Duft ohne allzu markante Kanten; ein (fast) Immergeher mit ordentlicher Haltbarkeit und moderater, mithin menschenfreundlicher Sillage. Sein schwerer Flakon wirkt für mich einen Hauch zu klotzig-protzig, doch gibt es schlimmere. Er ist ganzjährig tragbar von jung und alt jedweder sexuellen Konfession.

Er ist gut und grundsympathisch
(vielleicht ein bisschen zu…).
36 Antworten