Calliste
20.11.2011 - 09:48 Uhr
42
Top Rezension
10
Haltbarkeit
9
Duft

"Der Tod und das Mädchen"

Das Mädchen:
Vorüber! Ach vorüber!
Geh, wilder Knochenmann!
Ich bin noch jung, geh Lieber!
Und rühre mich nicht an.

Der Tod:
Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
Bin Freund und komme nicht zu strafen.
Sei gutes Muts! ich bin nicht wild,
Sollst sanft in meinen Armen schlafen!
Dieses Gedicht von Matthias Claudius wurde von Franz Schubert in seinen gleichnamigen Streichquartett vertont. Beide Werke, besonders aber der letzte Satz des Schubertquartetts interpretieren auf spannende und komplexe Weise die Ästhetik der Vergänglichkeit.
Und beide Werke kamen mir sofort in den Sinn, als ich „Vanitas“ kennenlernte.
Die zerbrechliche zarte Schönheit des Mädchen, verführerisch durch ihre romantische Süße,trägt gleichzeitig den angedeuteten Verfall und sein Ende in sich, steigert sich, wehrt sich scheinbar, und gibt sich schließlich dem Untergang preis.

Heute ist Totensonntag und ich habe mir Vanitas zum Duft des Tages gewählt, eine leicht morbide Anwandlung, wie ich zugebe.
Aber diese Morbidität ist genau der Punkt, der es so spannend macht.
Dieser Duft meint es nämlich trotz aller süßen Verführung, im tiefen Grunde, todernst.
Ich kenne „de Profundis“ nicht, aber ich wüsste gerne, ob Lutens Kreation auch diesen sehnsüchtigen Flirt mit dem Tod sucht.

Vanitas beschreibt den Spannungsbogen dieser Todessehnsucht in einem großartig gelungenen Verlauf:
Es beginnen die Orangenblüten fruchtig und süß, fast harmlos zum Auftakt, aber hier ist bereits eine kühle, rauchige Anspielung der Myrrhe zu vernehmen.
Diese silbrig metallischen Klänge steigern sich im Laufe der Entwicklung zu einem rauchigen, würzigen, fast modrigen Fond.
Die Myrrhe spielt in diesem Satz eindeutig das Hauptmotiv, beruhigt sich aber im weiteren Verlauf und wird dann von der einsetzenden Vanille abgelöst, die den langanhaltenden Ausklang bestimmt.
Sandelholz wirkt beruhigend und rundet den Nachklang ab.

Ein großartiges Kunstwerk, erschreckend und verstörend, für mich bestimmt kein alltagstaugliches Düftchen, aber wer es nicht kennt, hat etwas besonderes verpasst.
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