Wood and Spice von Proraso

Wood and Spice

Konsalik
03.08.2020 - 09:50 Uhr
24
Top Rezension
6.5Duft 7Haltbarkeit 8Sillage 6Flakon

Moderner Barbershop mit Formfehler

Es war eine jener kleinen Veränderungen alltäglicher Abläufe, die der Lebensführung, rückblickend betrachtet, doch einen nicht unerheblichen Schubs gegeben haben und deren Zurücknahme nunmehr umso unmöglicher erscheint, als sich an jene eine Veränderung eine ganze Reihe anderer – für sich genommen ebenfalls kleiner, kleinster – Veränderungen der Daseinsbewältigung angeschlossen haben, die nun, wie gekoppelte Güterwaggons, doch ein Ganzes von nicht unerheblicher Gravität und wechselseitiger Abhängigkeit bilden. Kurz: Vor etwa zweieinhalb Jahren habe ich mich zum ersten Mal rasiert.

Das heißt, meine Gesichtsbehaarung habe ich mir freilich schon früher regelmäßig entfernt. Zunächst mit einem elektrischen Rasierapparat (von Braun, zum sechzehnten Geburtstag bekommen, initiatische Erfahrung), danach über mehr als zehn Jahre mit wechselnden „Cartridge“-Systemrasierern (Gilette Mach 3, 4, 5; Wilkinson Sword 3D, 4D, 5D etc.) - und damit dachte ich, dass es das gewesen sei. So rasiert man sich nun einmal. Aus nachträglich rekonstruierbaren, hier aber nicht hin gehörenden, externen Gründen und einem, in seiner Genese etwas obskureren, plötzlich raumgreifenden Formwillen heraus stand ich nun allerdings eines Tages mit einem Rasierhobel alter Schule, einem Tiegel mit Rasierseife und einem Rasierpinsel aus synthetischer Borste vor dem Badezimmerspiegel. Und es war wunderbar! Ein ungekannt gründliches, befriedigendes Rasurergebnis! Nicht vergleichbar mit dem enervierenden Gezuppel und Gezippel vergangener Jahrzehnte! Ich war zum ersten Mal rasiert. Doch nicht nur das Ergebnis, auch das Erlebnis war es, was begeisterte: Die fast schon meditative, ruhig vor- und nachbereitende Reihenfolge der nötigen Handgriffe kostete nur auf dem Ziffernblatt der Uhr Zeit, denn in Wahrheit formierte sie einen Zeitraum, gab ihm Qualität und „Geschmack“, der zuvor nur halbherzig bis widerwillig mit der regelmäßigen Duschroutine verknüpft worden war: Dosenschaum auf‘s Gesicht, schab, schab, schab, Schaumreste flott abgeduscht. „Convenient“, aber im Grunde nervig. So jedoch hatte ich mir mit einem Mal an drei Wochentagen fünfzehn Minuten tatsächlich für mich (!) erobert, was in einer bürgerlichen Gesellschaft, bittesehr, als mittelgroßer Triumph zu gelten hat. Blumen und Glückwunschnoten bitte an mein Postfach.

Anteil an diesem oasenhaften Behagen hatten von Anfang an die vorzüglich duftenden Rasierseifen von Proraso, einer alten italienischen Firma für Barbierprodukte aller Art, deren Produktgestaltung bis heute ewige 50er Jahre-Italo-Sommer evoziert; man möchte jauchzen. Nachdem ich in den Folgemonaten auch noch meines seit Schulzeiten unangetasteten 30cm-Bartes (Modell „Nordmann rustikal“) verlustig gegangen war, da ich ihn beim Innenstadtbarbier gegen 5cm des Modells „Kardinal Richelieu“ eintauschte, wuchs der Bedarf an Bartpflegeprodukten. Und auch bei Ölen und Balsam tat sich erneut die rührige Marke aus dem florentinischen Fiesole hervor: Gute Pflegeeigenschaften bei geschmackvoller olfaktorischer Abstimmung und gleichzeitig sehr humaner Preisgestaltung! Besonders „Wood and Spice“ gefiel mir von Anfang an ausgezeichnet: Ein recht kräftig abgestimmter, aber sehr ausgewogener Dreiklang aus mentholiger Frische, kerliger Holzigkeit und wärmender Süße. Und auch wenn mein Bild einer Barbershop-Duftsignatur sich seit meinem Eintritt in den Parfumo-Orden deutlich gewandelt und vertieft hat, halte ich „Wood and Spice“ auch heute noch für eine gelungene Aktualisierung des alten Barbershop-Themas. Zumindest, solange es nicht um das Cologne aus der Reihe geht…

Ich weiß nicht, ob Proraso bei der Komposition der Parfumversion von „Wood and Spice“ kräftig an der Zusammensetzung der Duftnoten gedreht hat, oder ob schlicht die ölige bzw. balsamische „Trägermasse“ fehlt, die für den ausgewogenen und hochwertigen Dufteindruck der anderen Produkte aus dieser Reihe verantwortlich ist, aber irgendwie ist das oben angesprochene Gleichgewicht bei diesem Cologne ein wenig aus den Fugen geraten: Die Süße nimmt schon kurz nach dem Aufsprühen überhand und raubt der sehr mentholigen Minze des Bartöls die pflegende Frische, was den Gesamteindruck eher in Richtung Wrigley‘s Spearmint verschiebt (die Duftnoten sprechen von „Veilchenblatt“ - mag sein, dass es das ist; „Veilchenbonbon“ träfe es eher). Daneben wirkt das eigentlich so sauber eingebundene Holz mit einem Mal vergleichsweise trocken, pieksig und deutlich synthetisch. Auch der fehlende Duftverlauf (bei Kosmetikprodukten ja weiß Gott kein Malus) ärgert hier plötzlich ein wenig, auch wenn dieser Befund objektiv unfair sein mag.

„Wood and Spice Cologne“ ist für sich genommen sicher kein Fehlgriff, jedoch wirkt es im Vergleich zu seinen Kollegen ein wenig wie Bückware. Daher meine Empfehlung für die Bartträger unter euch: Versucht es stattdessen entweder mit dem gleichnamigen Bartöl oder (wenn ihr einen Drei-Tage-Bart bevorzugt) dem „Balsamo cura barba“. Beide vermitteln deutlich mehr Wertigkeit und strahlen fast genauso lang und intensiv ab wie das Cologne – zum kleineren Kurs. Habe ich eigentlich schon genug Werbung für Proraso-Produkte gemacht?
18 Antworten
FranzuschekFranzuschek vor 1 Jahr
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Danke Dir für deine Beschreibung. Trotz deiner Bewertung und gerade weil dein Beitrag etwas anderes vermuten ließ als eine Schlappe 6.5 für den Duft habe ihn mir gekauft. Im Vergleich mit Düften ähnlicher Richtung und deutlichst mehr Geld (bekam meine 100ml für 9.99€) breche ich eine Lanze und werde den Duft deutlich höher bewerten müssen. Sicherlich für die Euronen (30€ 100ml regulär glaube ich) ein guter, guter Blindkauf allemal.
FranzuschekFranzuschek vor 1 Jahr
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@Konsalik schöne Grüße aus Wien!
KonsalikKonsalik vor 1 Jahr
Rückblickend habe ich auch meinen Frieden mit ihm gemacht und trage ihn ab und an tatsächlich ganz gerne. Viele Grüße!
RacerxRacerx vor 3 Jahren
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Ich hatte auch erst das Bartöl, welches unglaublich gut duftet. Daraufhin das Cologne bestellt und leider schwer enttäuscht. Ich finde das Cologne hat leider nichts mit dem Öl gemeinsam. Schade.
JansiJansi vor 4 Jahren
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Wie immer köstlich zu lesen, Deine Rezensionen, vielen Dank!
Nachdem ich mich seit etwa 1 Jahr auch wieder "richtig" rasiere, dabei bis dato ausschl. Rasiercreme / Aftershave von der Insel (Sandalwood, Eucris, Arlington u. a.) bevorzuge, hast Du mich jetzt trotz meines Vorrates für Jahre auf Proraso neugierig gemacht.
Was mach ich denn nun? ;-))
MörderbieneMörderbiene vor 5 Jahren
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Von Proraso kannte ich bislang auch nur die Seifen.
Ein Fall vom Schuster und seinem Leisten?
FvSpeeFvSpee vor 5 Jahren
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Ich bekenne mich als Freund der Barttracht des großen Makedonen: Glattrasiert. Das allerdings stets mit dem Hobel (früher auch mit dem Rasiermesser, aber daran hab ich den Spaß verloren). Du hast recht: Das morgendliche Schaum- und Schab-Ritual ist definitiv "gut gelebte Zeit", keine "verbrauchte Zeit", das ist der Unterschied!
3lbows3lbows vor 5 Jahren
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Bin ja, wie gesagt, von meinem Merkur 34C und den unkomplizierten Astras wieder zum Systemie zurückgekehrt. Ich musste es nicht mehr wollen, bzw. wollte es nicht mehr müssen. Gleichwohl - die Liebe zu diversen Rasierseifen und Aftershaves vor allem amerikanischer und italienischer Provenienz ist geblieben (Cella!). Deshalb Chapeau auch für diesen wie immer gekonnt formulierten Ausflug in die vergleichsweise profane Welt des Groomings.
Melisse2Melisse2 vor 5 Jahren
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Nein, mach ruhig weiter Werbung für Proraso, ich lese das sehr gerne. Obwohl Du es in diesem.Fall geschafft hast, dass ich mir das erste Mal einen Bart wünsche. Wegen der Meditation und einen Richelieu sieht man auch nicht alle Tage.
MonsieurTestMonsieurTest vor 5 Jahren
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Warum bloß fühl ich mich nun bloß so ungehobelt?
Ein extrem verführerischer Kommentar, sein Leben zu ändern, ungeahnten Clubs beizutreten, gar antibürgerlicher Zeitrebell zu werden!
SchatzSucherSchatzSucher vor 5 Jahren
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Der Kommentar ist großes Kino und ein reines Vergnügen. Was aber die Rasur betrifft, so bin ich sehr pragmatisch. 3-4-Tage-Bart und dann mit Gel aus der Dose und... den Rest erspare ich allen ;-) Ich weiß aber (berufsbedingt) daß es in den letzten Jahren wieder sehr in den Blickpunkt gerückt und der traditionelle Herrensalon sehr en Vogue ist. Wahrscheinlich wäre Wood and Spice aber auch nicht so ganz mein Fall.
ElmarElmar vor 5 Jahren
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Proraso ist großartig - genau wie Dein launiger, sehr unterhaltsamer Kommentar!
MugelMugel vor 5 Jahren
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Na, dann willkommen im Club. Meine Frau hatte erst Probleme, 4 Pinsel, 5 Hobel und diverse Seifen, Klingen und Cremes, es läppert sich so an, aber die meditative Beschäftigung mit sich selbst ist unbezahlbar.
Empfehle mal auf dambiro und dem Nassrasurforum zu stöbern, macht auch viel Spaß und den Geldbeutel schmäler.
FittleworthFittleworth vor 5 Jahren
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Willkommen im Club! Die erste echte Nassrasur mit einem echten Rasiermesser ... vergisst du nie! Sehr schöner, sehr informativer Kommentar, den ich mit Vergnügen gelesen habe.
FloydFloyd vor 5 Jahren
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Schon die Wahl der richtigen Pre- und Aftershaves, Rasierseifen etc. ist eine Wissenschaft für sich. Die Zeremonie ist tatsächlich etwas, das auch ich erst spät für mich entdeckt habe (auch für die Glatze), denn mein Bart wird ja jetzt erst länger ;-)
Einen Pokal gebe ich Dir schon allein für Deinen ersten Absatz und dann noch einen für den übrigen Text!
PollitaPollita vor 5 Jahren
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Mein Opa hat sich noch mit dem Messer rasiert. Das hat er täglich zelebriert. Etwas anderes kam nie in Frage. Wunderbarer Kommentar.
KovexKovex vor 5 Jahren
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Deinem schriftstellerischen Namensgeber stellst Du aus meiner Sicht schon mal klar in den Schatten. Und überhaupt hat es mir viel Freude bereitet, Deinem wunderbaren Kommentar zu folgen. Interesse ist geweckt. Operation gelungen :)
YataganYatagan vor 5 Jahren
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Dann werde ich mich mal auf die Tipps im letzten Absatz konzentrieren.