„Ich habe hier ein Paket für W. Puch! Können Sie das bitte annehmen?“
- „Winfried Jedediah Puch. Das bin ich. Vielen Dank!“, eröffnete die andere Seite der Sprechanlage in einer tiefen, bassuntersetzten, brummigen Stimme.
„Wie lange das wohl dauert? Ich habe noch sooo viele Pakete auszuliefern! Ist doch nicht meine Schuld.“, sinnierte der Lieferjunge. Er klingelte noch einmal, just in dem Moment, als sich die Tür öffnete und eine beeindruckende Gestalt erschien.
„Oh, hey Mann, sorry. Hier ist das Paket. Eine Unterschrift bitte!“
- „Nuuun, ich musste soeben 64 Stufen nach oben nehmen, verzeihen Sie bitte die Wartezeit.“
„Ist klar, Typ. Du hast noch das Pesto im Gesicht. Ich weiß doch, dass du gerade gegessen hast. Und wonach riecht es hier überall im Flur? Irgendwelche Kräuter für Bolognese?“ Er sprach es nicht aus. Man hatte ihn zu höflichen Umgangsformen mit der Kundschaft ermahnt.
Mit betont lässiger Pranke nahm Winfried Jedediah Puch einen kleinen Schein aus dem glänzenden Lederportemonnaie in seinem Jackett, um sich danach mit ebendieser über den Schnurrbart zu streichen und das Monokel zurechtzurücken.
„Hey, vielen Dank! Das wäre nicht nötig gewesen! Aber… Mann, ich kenne dich irgendwoher. Bist du nicht…“
- „Winfried Jedediah Puch, junger Mann. Sie machen einen fantastischen Job!“
War da etwa Honig an der Banknote? Irgendetwas klebte hier. Aber was machte das schon, Geld stinkt nicht.
„Oh, Verzeihung! Sie erinnern mich nur so an jemanden, an jemanden aus meiner Kindheit. Und an Honig, komischerweise.“
- „Haha, ja. Das ist in der Tat komisch!“ Eine Pranke, anders konnte man seine überdimensionalen, behaarten Hände nicht nennen, landete in seinem Mund und er schleckte sich beinahe unbemerkt die Lippen danach ab. Beinahe jedenfalls. Irgendwie seltsamer Typ. Aber was soll’s, immerhin war er nicht so ‚freundlich‘ wie die anderen 573 Kundinnen und Kunden, die ich heute beliefern musste. Wie alt ist der eigentlich? 50? 16? Irgendetwas stimmte doch nicht mit dem.
„Ich muss dann los, schönen Tag noch, Alter!“
- „Junger Mann! So spricht man nicht!“, aber dass er sichtlich geschmeichelt war, sah selbst ein Blinder mit Krückstock, „vielen Dank, ich wünsche Ihnen ebenfalls einen honigsüßen, ähm, wundertollen Tag! Heute ist nämlich mein Lieblingstag!“
„Ach ja? Welcher Tag ist denn heute?“
- „Es ist heute! Mein Lieblingstag.“
Stirnrunzelnd hastete er zu seinem Lieferwagen zurück. Was soll’s, ab an die Arbeit. Für den Rest des Tages durfte nicht mehr getrödelt werden. Aber er war noch relativ neu in seinem Job, deshalb hoffte er, seine Chefin würde es ihm nachsehen.
In der Zwischenzeit war Winfried Jedediah Puch wieder zurück in seiner Wohnung und öffnete freudig das Paket.
Er lachte sich ins Fäustchen, denn diesen jungen Mann zu überlisten war einfacher gewesen, als einen Honigtopf zu öffnen. „Mhhmmmm, Hoooonig!“ Er zündete sich genüsslich die zweite Zigarre an.
Das sollte dafür sorgen, dass seine Stimme innerhalb kürzester Zeit um mindestens eine Septime tiefer werden würde, so hatte ihn zumindest Chris vor dem Rauchen gewarnt. „Der gute alte Christopher! Er wird sicher entzückt sein über diese Lieferung!“
Winfried Jedediah nahm den Inhalt des etwa die Hälfte seines Körpergewichts auf die Waage bringenden Pakets in Augenschein. „Hach, welch edler Tropfen!“ Er rückte sein Monokel zurecht und machte sich einige Notizen in der Tabelle zu den Rum- und Bourbonsorten, die er laut Empfehlung noch testen sollte. Alle, die Honig enthielten, hatte er mit dem Bleistift mit Herzchen markiert, dann allerdings - er war schließlich bereits 16 Jahre alt - wieder wegradiert.
Er wollte endlich sein honigsüßes Image loswerden und sich als Erwachsener einen Namen machen, auch, wenn er insgeheim keine Ahnung hatte, ob er da gerade Bourbon oder Whiskey oder Rum bestellt hatte.
Zum Erwachsensein gehörte das einfach dazu.
Er prostete seinem Spiegelbild über der Diele im Flur zu.
„Auf dich, Winfried Jedediah Puch. Auf dass die Menschen dich ebenso herzlich in ihrer Welt aufnehmen wie dein Alter Ego Winnie Puch!“
Das würden sie. Auch noch in der FSK16-Version eines Winnie Puch oder Pooh war er ein umgänglicher, herzlicher Kerl.
Oder eine junge Frau, die gerne Herrenparfums trägt, hihi. Wenn sie eines der Bilder erzeugen konnte, das man bekommt, wenn man in der Bildersuche seiner Suchmaschine „Winnie Pooh Gentleman Sticker“ eingibt, hat sie heute nicht so viel falsch gemacht.