Muse de Rochas 2011

Gold
08.03.2021 - 05:12 Uhr
45
Top Rezension
5
Preis
7
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
6.5
Duft

Not your muse!

Welche Aussage trifft auf Dich am meisten zu?
a. Ich möchte mehr Bestätigung und Anerkennung, privat und beruflich.
b. Ich brauche mehr Abwechslung und mehr Freiräume. Grenzen sind mir suspekt.
c. Herausforderungen nehme ich gerne an.
d. You've mistaken me for your masterpiece (Song von Celeste: Not your muse)

Was suchst Du? Einen "Sozialduft" oder einen "Privatduft"?

Der Sozialduft ist das Parfum, das in Abhängigkeit von Freundeskreis, Arbeitsplatz und gängigen Moden plus Werbung angeblich am besten zu Dir passt. Vielleicht ist es auch der Duft, der momentan am meisten gehypt wird und den Du nicht "dissen" willst, weil Du fürchtest, es Dir dann mit den "opinion leaders" zu verscherzen.

Der "Privatduft" hingegen ist jener, der unserem eigenen Idealbild entspricht, also das Parfum, das nach unseren Vorstellungen unser Ich am besten widerspiegelt.

Am Internationalen Frauentag, dem 8. 3., fragst Du Dich vielleicht, ob Parfums überhaupt etwas bewegen können, wenn es um unsere Psyche geht oder gar um unseren Platz in der Gesellschaft.
Ich meine, dass Parfums eine große Symbolkraft besitzen.
Zu Beginn der Emanzipationsbewegungen im 20. Jahrhundert, in den "Roaring Twenties" zum Beispiel, trauten Frauen sich plötzlich, herbe Düfte zu tragen. Die berühmten Chypre-Parfums entstanden, aber auch die legendären "abstrakten Floralen" wie Chanel No. 5.
Mit den herben, neuen Parfums signalisierten Frauen, dass sie unabhängig und eigenständig sein wollten, denn gerade Zitrusöl-und-Bergamotte in Kombination mit Patchouli und Moosen waren vorher Männern vorbehalten gewesen.
Und auch heute sind "Chypres" in ihrer Urform nicht grundsätzlich massentauglich.
Die meisten Neulancierungen finden weiterhin auf dem Gebiet der frischen, fruchtig-blumigen Parfums, der Gourmands und der "Florientals" statt, wenn auch in der Nische ein Trend zu sogenannten "Neo-Chypres" auszumachen ist.

2011 lancierte Rochas, das damals noch Proctor and Gamble gehörte, den Duft "Muse", der sich auf das legendäre "Femme" beziehen sollte.
(Heute werden Rochas-Düfte von der Firma Interparfums.inc. produziert. Zu deren Portfolio gehören u.a. Boucheron, Lanvin, Mont Blanc, Lagerfeld, Jimmy Choo, Van Cleef&Arpels).

"Femme" (1944) ist ein Prototyp des fruchtigen Chypredufts und gilt als Meisterwerk. Für mich ein wunderbarer "Privatduft".

"Muse" (2011) leider nicht.
Die Produktion wurde eingestellt, doch finden sich immer noch sehr günstige Restbestände im Netz. Von vielen Verwender*innen wird der Duft als "lecker" beschrieben.
Allerdings habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu Duftbeschreibungen, die da lauten "Yummy"" oder gar "Leckerli".
(Übrigens: auch "kuschelig" empfinde ich nicht als erstrebenswerte Kategorie. Wer einen "Sozialduft" fürs Berufsleben sucht, dem kann ich süß-kuschelige Duftbotschaften ohnehin nicht empfehlen.)

"Muse" wurde von Jean-Michel Duriez komponiert und ist "fruchtig-lecker", süßlich.
Wenn "Muse" einer Musiksparte zugeordnet werden müsste, dann käme nicht Shooting Star Celeste aus England ins Spiel, auch wenn ihr Song "Not your muse" mich zu diesem Kommentar inspiriert hat, sondern Popmusik aus Brasilien.
Wenn "Muse" einen Anlass bräuchte, wäre dies kein Opernbesuch, sondern ein Nachmittag in der Obstabteilung eines Supermarkts.

"Muse" ist ein "Floriental", ein Cocktail mit Banane und Vanille. Der Duft ist gefällig, nicht extravagant, aber irgendwie doch ganz charmant.
Übrigens schuf Duriez 2006 ein sehr ähnliches Parfum, "Sira des Indes", auch hier bemerkt man eine Bananenkomponente. Die Kopfnoten sind in beiden Düften laut, unbeschwert und jugendlich. Während "Sira" im Verlauf indische Gewürze präsentiert, wird "Muse"im Drydown etwas süßlicher.
"Muse" kann daher nicht an "Femme" von Roudniska anknüpfen, auch wenn die Macher das gern so gewollt hätten.
Warum überhaupt heißt der "Nachfolgeduft" von "Femme" MUSE?
Unter einer Muse versteht man eine Inspirationsquelle für einen männlichen Künstler, eine Frau, die unterstützend wirkt.
Wenn Du die Verpackung von "Muse" öffnest, liest Du: "Une muse sommeille en chaque femme".
Heißt: Eine Muse schlummert in jeder Frau.
FOR REAL?
Klingt nicht gerade avantgardistisch.
Doch es gibt auch neuere Meinungen zum Thema der Muse.
Francine Prose schreibt in ihrem Buch "Das Leben der Musen: Von Lou Andreas-Salomé bis Yoko Ono", dass es stets ein bestimmtes Muster gab, wenn einer Frau der Titel "Muse" zugeschrieben wurde.
Ihrer Meinung nach ist es ein Klischee, dass Musen Opfer berühmter Männer seien.
Francine Prose argumentiert, dass das "Musendasein" im 19. und 20. Jahrhundert für Frauen eine Möglichkeit darstellte, sich Wege zu erschließen, die sie ohne ihre Beziehungen zu den "großen" Männern nie hätten beschreiten können.
Welches Rollenbild die Verantwortlichen bei Rochas im Jahr 2011 im Kopf hatte, als "Muse" komponiert wurde, würde ich zu gerne herausfinden.
Banane, Frangipani, Vanille. Freundlich, fruchtig, angepasst.
Diese Muse würde sich gut in einem Hawai-Hemd machen. In besagter Obstabteilung im Sommer.
Alles in allem fehlt dem Duft die Eigenständigkeit.
Man kann das Konzept der "Muse" auf jeder Ebene drehen und wenden wie man will: eine Muse, die Bestätigung und Anerkennung sucht (siehe Punkt a.] zu Beginn meines Kommentars), sollte sich nicht auf bekanntem Terrain bewegen, sondern selbst mutig neue, individuelle Kunst schaffen.

Und welches Parfum trägst Du heute, am Internationalen Frauentag?
36 Antworten