Neulich kam ein entzückendes Probenpaketchen zu mir nach Hause, voll mit kleinen Duftperlen, die bewusst teilweise mein Beuteschema und meine Merkliste umgingen und mir die Möglichkeit einer olfaktorischen Horizonterweiterung gaben.
Rodier ist einer dieser Düfte davon. Nun kann ich aus Ermangelung bisheriger Kommentare hier dazu und vor allem aufgrund der fehlenden Duftpyramide freilich nicht sagen, ob er mir vielleicht gefallen würde oder nicht. Ein spannender Blindflug quasi, auf den ich mich einliess. Das Statement hatte ich vorher genauso wenig inspiziert wie die Einordnungstorte.
Rodier, das aber immerhin hatte ich auf dem Schirm, ist eine französische Bekleidungsmarke, die viel (aber nicht nur) in Strick macht, vor allem auch in Twinsets. Diesen Wissenskrümel kratzte ich aus meinem Gedächtnis hervor, denn das Logo der Firma ist mir vertraut.
Meine Mutter kaufte damals zu meinen Teenagerzeiten sehr gern Kleidung für sich ein - heute würde man sagen: sie shoppte gern - und wenn ich mich nicht genug wehrte, auch für mich. Ich begleitete sie oft, meistens schlecht gelaunt, da mich diese Anprobiertouren sehr langweilten. Ich ging aber meistens trotzdem mit (keine Ahnung warum, vermutlich pubertäre Widersprüchlichkeiten eben).
Die grossen Bekleidungsketten dominierten noch längst nicht den Markt, schon gar nicht in unserer Kleinstadt. Es gab ein Kaufhaus und ansonsten, wie mir schien, eine unendliche Menge an kleinen Boutiquen mit Damenoberbekleidung. Viele dieser Boutiquen führten Rodier. Wie oft ich, gelangweilt auf einem Hocker in einer schummrigen Boutique sitzend, auf herumliegende und -hängende Kleidungsstücke mit dem Logo Rodier starrte, während meine Mutter zwischen Umkleide und Spiegel hin- und herwehte und sich -drehte, weiss ich nicht mehr.
Es waren zumeist schlichte Jersey- oder Strickoberteile, daran jedenfalls erinnere ich mich, und auch Twinsets.
Nun entsprach dies zwar nicht gerade dem Style meiner immer modisch sehr aufgeschlossenen Mutter (viel zu konservativ, sowas!), und sie kleidete ihren feingrazilen Körper lieber in etwas Fescheres, aber dennoch war die Marke in unserer Beamtenkleinstadt offenbar gut verkäuflich, jedenfalls damals, zur Blütezeit dieses Puppenstädtchens.
Zurück zu Rodier, dem Duft. Nun, von diesen aufblitzenden Erinnerungen gestreift, teste ich den Duft. Ich erwarte aus irgendwelchen Gründen eine Art blumigen, herben Chypre.
Doch weit gefehlt! Rodier eröffnet mit einer mir bekannten (und geschätzten) Note, die ich als süssholzig-lakritzig umschreiben würde. Ich assoziiere sogleich Lolita Lempicka Premier (aus etwa dem gleichen Zeitfenster wie Rodier übrigens stammend, 1997 released).
Sehr fein und angenehm ist dies, und zunehmend platziert sich eine feine Note dunklen, feuchten, weichen Tabaks und verdunkelt und verdichtet den Duft sehr schön. Er wirkt warm, leicht lieblich, mit einer zarten Bitterlakritznote noch immer, nicht opulent. Eher feminin, trotz des Tabaks, der mich auch etwas an Atkinson´s The Odd Fellow´s Bouquet denken lässt übrigens.
Sehr schön finde ich die leichte Holzschärfe an den Kanten. Noch im Prä-Oud-Zeitalter angesiedelt, hat Rodier doch eine kräftige, aromatische, leicht scharfe Holznote, die ich am ehesten Guajak zuordnen würde, und das gibt dem Duft einen lebendigen Reiz und das Gewisse Etwas.
Fast unmerklich nimmt die Lieblichkeit zu, ich rieche ganz deutlich eine dunkle Vanille heraus, sanft gewürzt, vielleicht aber ist es auch Benzoeharz, da diese leichte Bitterkeit und minimale Schärfe trotz der Süsse noch immer mitschwingt auf meiner Haut.
Sehr edel, warm, und ja, ich sage es: sinnlich. Doch fern jeder Billighaftigkeit, Aufdringlichkeit, Schwere, Opulenz, massiven Süsse. Die Sillage ist perfekt austariert im mittleren Bereich.
So verdimmt Rodier nach Stunden vibrierend und warm und hinterlässt bei mir alles andere als einen konservativ-biederen Eindruck von Strick-Twinsets mit Perlenketten, Jerseyoberteilen und langweiligen Strickcardigans für die Beamtengattin. Es ist ein warmer, sanft-lieblicher, leicht orientalischer Duft, rund, ruhig und harmonisch, doch bar jeder Langeweile. Für mich persönlich wäre der Duft auch die weitaus attraktivere Wahl als das Bekleidungssortiment der Firma, aber das ist bekanntermassen Geschmackssache.
Ich bedanke mich ganz herzlich beim Täubchen für das raffinierte Probenpackerl! :-)