Bourreau des Fleurs Serge Lutens 2017
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Top Rezension
Serge Lutens' ewige Suche
Für diesen Kommentar benutze ich zur Unterfütterung und Erklärung einen von Serge Lutens selbst verfassten Text. Er trägt den Titel "Monde arabe" und findet sich in dem Buch "Les Parfumeurs: Dans l'intimité de grands créateurs de parfum", (Harper-Collins, 2018).
Da bisher leider keine deutsche Übersetzung vorliegt, erledige ich den Job selbst. Ich verzichte hierbei (bis auf den Schluß) auf die Originalzitate in französischer Sprache, weil dies den Kommentar unnnötig schwerfällig machen würde. Wer Französisch versteht und sich für Parfum interessiert, sollte sich das oben genannte Buch zulegen. Es ist eine fantastische Quelle an Informationen aus erster Hand. Denn in diesem Werk fabuliert kein Blogger oder mutmaßt ein Parfumkritiker, sondern es spricht stets der Parfumeur/die Parfumeurin selbst.
Ich weiß nicht, welche Fakten aus Lutens' Leben Euch schon bekannt sind, daher verzeiht mir, wenn ich Euch mit einigen biographischen Infos langweile, die mir persönlich neu waren. Denn tatsächlich wußte ich nicht, daß Lutens in Lille im Norden Frankreichs aufgewachsen ist und seine ersten Erfahrungen mit der Welt der Kosmetik in einem Friseursalon machte, wo er Haarnadeln vom Boden aufhob und fegte. Wie er von Lille dann 1968 als Entwickler von Schminke zu Dior kam, verrät er in seinem Text nicht. 1980 wechselte er als Stylist und Make-up-Direktor zu Shiseido. Dort entwarf er Flakons, später schickte man ihn zur Weiterbildung zu Firmenich, wo er eine parfümistische Ausbildung erhielt, die ihn bis heute befähigt, Parfums zu kreiieren. In den 90er Jahren kriselte es zwischen Shiseido und Lutens. Er verließ den Konzern.
Im Jahre 2000 eröffnete er sein eigenes Parfumhaus, den Palais-Royal in Paris.
"Heute zählen wir 80 verschiedene Düfte zu unserer Kollektion, die meisten, aber nicht alle, wurden von mir zusammen mit Christopher Sheldrake entwickelt, mit dem ich während jeder einzelnen Etappe der Herstellung zusammenarbeite...manchmal jahrelang. Wir brauchten z.B. 12 Jahre für 'Chene'." (S.135)
Wie lange Sheldrake und Lutens an "Bourreau des Fleurs" gesessen haben, weiß ich nicht.
Die Pyramide lässt zunächst auf einen simplen Duft schließen. Nur drei Inhaltsstoffe werden genannt.
Gut so! Es gefällt mir, wenn Parfumhäuser darauf verzichten, mit umfangreichen Angaben zu den Inhaltsstoffen aufzuwarten, denn genau dann können wir, die Kritiker*innen (ob Profis oder Hobbykritiker wie ich) uns nicht mehr im Abarbeiten und Nachbeten der Pyramide üben, sondern müssen unsere Texte anders ausrichten.
"Bourreau des Fleurs" ist ein vielschichtiger, würziger Duft, der zurückführt zu den Wurzeln, die Lutens selbst als "imaginäre Landschaft, in der er sich im Kreis dreht" bezeichnet. In den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt er die Auseinandersetzung mit "der Frau" schlechthin:
"Alle diese Frauen sind die Frau, meine erfundene Frau, magisch, mit Zauberkräften. Man könnte glauben, daß sich meine imaginäre Landschaft im Kreis dreht. Für die Verachtung räche ich mich. An den Frauen räche ich mich. An der Frau an sich räche ich mich. Mein Leben ist eine Geschichte der Rache. Ich bin der Fehler. Ich mache ihn wett und ich verschlimmere ihn. Denn man kann nichts wettmachen, ohne es zu verschlimmern. Ich liebe, ich verführe, und gleichzeitig hasse und zerstöre ich. Ohne diese Gewalt gibt es keine Schöpfung." (S.130)
In "BdF" spürt man zu Beginn eine beinahe magische Kräuterhexenaura, einen Sud aus verschiedenen Gewürzen, die man bereits aus anderen Kreationen des Duos Lutens/Sheldrake kennt.
Etwas "Ambre Sultan" blitzt auf, ein kleines Stück Marrakesch, ein Ort, der für Lutens große Bedeutung hat, da seine ethnischen Wurzeln dort liegen, wenngleich er in Lille aufgewachsen ist.
"Als ich Marokko entdeckte, wußte ich, daß die arabische Welt noch nicht von der französischen Gesellschaft angenommen worden war. Daher meine Wahl. Zurückkehren. Bleiben.
Ich befand mich im permanenten Widerspruch zur französischen Gesellschaft und die Gewalt dieser neuen Welt, die ich entdeckte, passte zu mir. Und ich habe mich nicht verändert. Ich befinde mich immer noch im Widerspruch. Also bin ich immer noch da. Das rechtfertigt meine Einsamkeit, zuerst in Paris, dann hier, in Marrakesch." (S.132)
Der Lakritzkräutergewürztrank weicht im Herzen einer Note, die ich persönlich normalerweise in Parfums problematisch finde, die in "BdF" jedoch meisterlich verarbeitet erscheint. Es handelt sich um die Stroblume.
"Wenn man es schafft, seinen anfänglichen Ekel zu überwinden, dann wird es sehr interessant. Der Ekel spielt eine große Rolle in meiner Art, die Geschichte eines Duftes zu konzipieren. Der Ekel und die Worte." (S. 131)
"Ein Parfum ist doch kein einzelner Geruch, das ist kein Vanilletörtchen, es ist eine ganzer Kosmos. Das ist dann schon Literatur!"
So wie einen literarischen Text so sieht Lutens auch das Parfum als ein grundsätzliches Mittel des künstlerischen Ausdrucks.
"Meine Absicht ist es, die Leute zu berühren. Wenn die Parfümerie niemanden berühren würde, wäre sie komplett uninteressant." (S. 136)
"Ich interessiere mich nicht für das Glück. Wenn ich ein Buch über das Glück öffne, dann schließe ich es ganz schnell wieder. Es langweilt mich. Das Glück interessiert mich nicht. Was mich interessiert, das ist der Schaffensprozess. Etwas kreieren." (S.137).
Die Strohblume heißt im Französischen "Immortelle", also die Unsterbliche. Sie weist in "BdF" eventuell auf Lutens' Mutter hin, deren Vorname Fleurisse war. Für ihn bleibt die Mutter eine Person, die er nie fassen konnte.
"Die Psychoanalytiker....sie sind alle verrückt geworden, weil ich nicht gesund werden kann. Es ist unmöglich. Ich brauche dieses Bild einer Frau, die am Anfang meine Mutter ersetzt hat...ohne Frau krepiere ich."
Vielleicht erscheint mir die Strohblume deswegen so weich und anheimelnd, so passend in "BdF".
Aber sie wird zum Schluß schwächer, weicht einem leichten Küchengeruch, der mich nicht an verkohltes Holz erinnert, sondern an einen orientalischen Eintopf mit Kräutern.
Die Blumen wurden in meiner Wahrnehmung nicht zertrampelt oder gebrochen (wie der Name suggeriert), sondern langsam zerkocht.
"Ich brauche dieses permanente Bild einer Frau und ich erfinde es immer wieder neu mit jedem Parfum und mit jedem Namen, den ich aussuche. Die Namen der Parfums meines Hauses schreiben einen Dialog mit dieser Frau fort...Der Tod ist sehr präsent in unserem Gespräch, aber nie hat er einen traurigen Aspekt."
Lutens beendet seinen Text mit einem Gedicht, das ich im frz. Originaltext zitiere:
La mort, c'est gai, la mort,
c'est aussi une femme.
Une femme qui vient me dire bonjour.
Elle est tres élégante.
Elle est immortelle.
Elle a de beaux jours devant elle.
Und jetzt wäre eine Diskussion aus feministischer Sicht sicher nicht unspannend... - selten hat ein Parfumeur sich so deutlich und offen zu seinem Grundthema bekannt: "Cherchez la femme!"
Da bisher leider keine deutsche Übersetzung vorliegt, erledige ich den Job selbst. Ich verzichte hierbei (bis auf den Schluß) auf die Originalzitate in französischer Sprache, weil dies den Kommentar unnnötig schwerfällig machen würde. Wer Französisch versteht und sich für Parfum interessiert, sollte sich das oben genannte Buch zulegen. Es ist eine fantastische Quelle an Informationen aus erster Hand. Denn in diesem Werk fabuliert kein Blogger oder mutmaßt ein Parfumkritiker, sondern es spricht stets der Parfumeur/die Parfumeurin selbst.
Ich weiß nicht, welche Fakten aus Lutens' Leben Euch schon bekannt sind, daher verzeiht mir, wenn ich Euch mit einigen biographischen Infos langweile, die mir persönlich neu waren. Denn tatsächlich wußte ich nicht, daß Lutens in Lille im Norden Frankreichs aufgewachsen ist und seine ersten Erfahrungen mit der Welt der Kosmetik in einem Friseursalon machte, wo er Haarnadeln vom Boden aufhob und fegte. Wie er von Lille dann 1968 als Entwickler von Schminke zu Dior kam, verrät er in seinem Text nicht. 1980 wechselte er als Stylist und Make-up-Direktor zu Shiseido. Dort entwarf er Flakons, später schickte man ihn zur Weiterbildung zu Firmenich, wo er eine parfümistische Ausbildung erhielt, die ihn bis heute befähigt, Parfums zu kreiieren. In den 90er Jahren kriselte es zwischen Shiseido und Lutens. Er verließ den Konzern.
Im Jahre 2000 eröffnete er sein eigenes Parfumhaus, den Palais-Royal in Paris.
"Heute zählen wir 80 verschiedene Düfte zu unserer Kollektion, die meisten, aber nicht alle, wurden von mir zusammen mit Christopher Sheldrake entwickelt, mit dem ich während jeder einzelnen Etappe der Herstellung zusammenarbeite...manchmal jahrelang. Wir brauchten z.B. 12 Jahre für 'Chene'." (S.135)
Wie lange Sheldrake und Lutens an "Bourreau des Fleurs" gesessen haben, weiß ich nicht.
Die Pyramide lässt zunächst auf einen simplen Duft schließen. Nur drei Inhaltsstoffe werden genannt.
Gut so! Es gefällt mir, wenn Parfumhäuser darauf verzichten, mit umfangreichen Angaben zu den Inhaltsstoffen aufzuwarten, denn genau dann können wir, die Kritiker*innen (ob Profis oder Hobbykritiker wie ich) uns nicht mehr im Abarbeiten und Nachbeten der Pyramide üben, sondern müssen unsere Texte anders ausrichten.
"Bourreau des Fleurs" ist ein vielschichtiger, würziger Duft, der zurückführt zu den Wurzeln, die Lutens selbst als "imaginäre Landschaft, in der er sich im Kreis dreht" bezeichnet. In den Mittelpunkt seiner Arbeit stellt er die Auseinandersetzung mit "der Frau" schlechthin:
"Alle diese Frauen sind die Frau, meine erfundene Frau, magisch, mit Zauberkräften. Man könnte glauben, daß sich meine imaginäre Landschaft im Kreis dreht. Für die Verachtung räche ich mich. An den Frauen räche ich mich. An der Frau an sich räche ich mich. Mein Leben ist eine Geschichte der Rache. Ich bin der Fehler. Ich mache ihn wett und ich verschlimmere ihn. Denn man kann nichts wettmachen, ohne es zu verschlimmern. Ich liebe, ich verführe, und gleichzeitig hasse und zerstöre ich. Ohne diese Gewalt gibt es keine Schöpfung." (S.130)
In "BdF" spürt man zu Beginn eine beinahe magische Kräuterhexenaura, einen Sud aus verschiedenen Gewürzen, die man bereits aus anderen Kreationen des Duos Lutens/Sheldrake kennt.
Etwas "Ambre Sultan" blitzt auf, ein kleines Stück Marrakesch, ein Ort, der für Lutens große Bedeutung hat, da seine ethnischen Wurzeln dort liegen, wenngleich er in Lille aufgewachsen ist.
"Als ich Marokko entdeckte, wußte ich, daß die arabische Welt noch nicht von der französischen Gesellschaft angenommen worden war. Daher meine Wahl. Zurückkehren. Bleiben.
Ich befand mich im permanenten Widerspruch zur französischen Gesellschaft und die Gewalt dieser neuen Welt, die ich entdeckte, passte zu mir. Und ich habe mich nicht verändert. Ich befinde mich immer noch im Widerspruch. Also bin ich immer noch da. Das rechtfertigt meine Einsamkeit, zuerst in Paris, dann hier, in Marrakesch." (S.132)
Der Lakritzkräutergewürztrank weicht im Herzen einer Note, die ich persönlich normalerweise in Parfums problematisch finde, die in "BdF" jedoch meisterlich verarbeitet erscheint. Es handelt sich um die Stroblume.
"Wenn man es schafft, seinen anfänglichen Ekel zu überwinden, dann wird es sehr interessant. Der Ekel spielt eine große Rolle in meiner Art, die Geschichte eines Duftes zu konzipieren. Der Ekel und die Worte." (S. 131)
"Ein Parfum ist doch kein einzelner Geruch, das ist kein Vanilletörtchen, es ist eine ganzer Kosmos. Das ist dann schon Literatur!"
So wie einen literarischen Text so sieht Lutens auch das Parfum als ein grundsätzliches Mittel des künstlerischen Ausdrucks.
"Meine Absicht ist es, die Leute zu berühren. Wenn die Parfümerie niemanden berühren würde, wäre sie komplett uninteressant." (S. 136)
"Ich interessiere mich nicht für das Glück. Wenn ich ein Buch über das Glück öffne, dann schließe ich es ganz schnell wieder. Es langweilt mich. Das Glück interessiert mich nicht. Was mich interessiert, das ist der Schaffensprozess. Etwas kreieren." (S.137).
Die Strohblume heißt im Französischen "Immortelle", also die Unsterbliche. Sie weist in "BdF" eventuell auf Lutens' Mutter hin, deren Vorname Fleurisse war. Für ihn bleibt die Mutter eine Person, die er nie fassen konnte.
"Die Psychoanalytiker....sie sind alle verrückt geworden, weil ich nicht gesund werden kann. Es ist unmöglich. Ich brauche dieses Bild einer Frau, die am Anfang meine Mutter ersetzt hat...ohne Frau krepiere ich."
Vielleicht erscheint mir die Strohblume deswegen so weich und anheimelnd, so passend in "BdF".
Aber sie wird zum Schluß schwächer, weicht einem leichten Küchengeruch, der mich nicht an verkohltes Holz erinnert, sondern an einen orientalischen Eintopf mit Kräutern.
Die Blumen wurden in meiner Wahrnehmung nicht zertrampelt oder gebrochen (wie der Name suggeriert), sondern langsam zerkocht.
"Ich brauche dieses permanente Bild einer Frau und ich erfinde es immer wieder neu mit jedem Parfum und mit jedem Namen, den ich aussuche. Die Namen der Parfums meines Hauses schreiben einen Dialog mit dieser Frau fort...Der Tod ist sehr präsent in unserem Gespräch, aber nie hat er einen traurigen Aspekt."
Lutens beendet seinen Text mit einem Gedicht, das ich im frz. Originaltext zitiere:
La mort, c'est gai, la mort,
c'est aussi une femme.
Une femme qui vient me dire bonjour.
Elle est tres élégante.
Elle est immortelle.
Elle a de beaux jours devant elle.
Und jetzt wäre eine Diskussion aus feministischer Sicht sicher nicht unspannend... - selten hat ein Parfumeur sich so deutlich und offen zu seinem Grundthema bekannt: "Cherchez la femme!"
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