Collection Noire

La fille de Berlin 2012 Eau de Parfum

Parma
03.10.2021 - 02:37 Uhr
35
Top Rezension
8
Flakon
7
Sillage
7
Haltbarkeit
9
Duft

Stella

Mit dem Duft fühle ich mich schöner. Auf nicht aufgesetzte Art. Elegant, geheimnisvoll, besonders. In einer seltenen Konzentration. Kein Beiwerk. Keine Übertreibungen. Keine Effekte.

Er ist ein schlichter, tiefer Rosen-Soliflor, der sich absetzt von allen Rosendüften, die ich kenne.

Die Protagonistin ist eher dunkel. Mehr Damaszener- als Mairose. Satt, aber nicht fleischig. Sie hat einen deutlichen Fruchteinschlag (wahrscheinlich durch Ketone; keine Blumenfruchtigkeit), der herb und erwachsen wirkt und mit einem weinartigen Unterton versetzt ist. Leicht frisch und fast prickelnd durch einen ordentlichen Anteil Geraniol (zitrisch-säuerlich-grün). Ob die grünen Nuancen, die der Duft aufweist, nur daher stammen oder auch von Bestandteilen wie Zitronengras (kommt hin) und Moos (erkenne ich nicht) - die in anderen Quellen genannt werden - kann ich nicht beurteilen. Eventuell ist diese Balance zwischen Tiefe und Frische auch auf einen etwa ähnlich hohen Anteil von Rosenessenz (pfeffrig, lebendig) und Rosenabsolue (blumig, fruchtig, gedämpft) zurückzuführen.

Das prägnante und mich so anziehende Charakteristikum des Dufts ist die Kombination aus Säuerlichkeit, Fruchteindruck und Alkoholeinschlag, die mich an den Geruch von Glühweinbonbons erinnert. Sie macht diese fast lineare Rose in meinen Augen so besonders. Zudem wirkt sie - trotz aller „Naturnoten“ - clean und glatt. Man kann hier durchaus von einer artifiziellen Rose sprechen, ohne dass sie künstlich erscheint. Von einer stilisierten. Einer modernen Interpretation. Im Verlauf des Drydowns gewinnt sie noch ein wenig mehr an Dichte und Süße und erhält einen leicht balsamischen Einschlag. In dieser Phase ist sie mir immer eine Spur zu intensiv, zu drängend, weshalb ich sie nur in Abständen tragen kann.

Diese Eindrücke bestärken mich in der Annahme, dass mehr Bestandteile duftbestimmend verbaut sind als hier in der Notenlistung angegeben. Andere Stellen weisen z.B. neben Geranie, Zitronengras und Moos noch Amber, Moschus und Patchouli aus. Diese Verwirrtaktik bzw. die stark verkürzte und teilweise irreführende Angabe von Duftnoten ist bei Lutens wohl Methode, wie mir Mitparfumo Intersport versicherte. Wobei die Verkürzung auf Rose und Pfeffer hier schon am meisten Sinn macht. Eingeordnet wird sie denn auch oft als ‚Spiced Rose‘. Das kann ich deshalb zum Teil nachvollziehen, weil sie einen leicht pfeffrigen Anteil hat, der allerdings nicht besonders deutlich hervorsticht. Ich würde sie mindestens genauso als ‚Fruity Rose‘ bezeichnen bzw. mehr noch zwischen diesen beiden Kategorien ansiedeln. Mit Tendenz zu lezterer. Von daher scheint mir die Synthese aus Rosenessenz (pfeffrig) und -absolue (blumig-fruchtig) die naheliegendste zu sein. Dabei vermeidet sie durch den oben beschriebenen weinartigen Frucht-Charakter und die leichte Würzigkeit ganz klar die Schublade einer generischen fruity-floral-Rose.

Apropos Duftnoten bzw. Pyramide: Seine Stärke, der klare Duftcharakter, ist für mich gleichzeitig auch seine Schwäche. Durch die Linearität nutzt sich der Reiz auf Dauer etwas ab. Ich hätte mir da z.B. einen stärker vernehmbaren grünen Aspekt (z.B. durch Moos oder Patchouli) im Drydown gewünscht. Aber das ist Jammern auf hohem Niveau.

Neben dem Duft an sich gefällt mir auch der Name sehr. Er setzt viele Assoziationen frei. Vor allem zeitgeschichtliche. La Fille de Berlin würde dufttechnisch in alle Epochen passen. Aber am ehesten denke ich an das pulsierende Berlin der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. Weil er etwas Unkonventionelles, Offenes, Verwegenes an sich hat. Eine Mischung aus gesetzter und frecher Eleganz. Mit einer Spur Melancholie. Ein Duft für den Sonntagsspaziergang unter den Linden. Für den Besuch der Staatsoper. Aber auch für die Spannung der Nacht. Für diffus beleuchtete Orte. Das Ungewisse. Ein Duft mit innerer, leicht erotischer Spannung.

Eine ideale Trägerin wäre für mich Takis Würgers ‚Stella‘. Die Stella, bevor man von ihrem Schicksal erfährt. Diese wunderbar lebendige, unkonventionelle, optimistische, geheimnisvoll wirkende junge Frau, die das (Nacht-)Leben und die Menschen liebt. Bei der man aber immer wieder durch leichte Risse in dieser Fassade spürt, dass dahinter etwas nicht mehr heil ist.

Für mich einer der ansprechendsten, weil ungewöhnlichsten und spannendsten Rosen-Soliflore.
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