02.05.2023 - 13:47 Uhr
Marieposa
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Marieposa
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Grüne Flammen
Na schön, ich gebe es zu. Aber bitte sage später nicht, du möchtest nichts damit zu tun haben oder hättest nichts davon gewusst. Also, sieh mir in die Augen, bevor ich es ausspreche.
Würdest du mir wirklich böse Absichten unterstellen? Hier und jetzt in meiner Seidenblütenumarmung? Atme tief ein, dann erzähle ich dir meine Geschichte, denn – ja –, wozu soll ich es noch abstreiten. Du hast recht. Ich habe die Tankstelle angezündet.
Jeder hat mal einen schlechten Tag, nicht wahr?
Vielleicht war es der narkotische Duft der Tuberosen und des Jasmins, die überreif und kurz vor dem Verwelken in voller Blüte standen. Vielleicht ist er mir zu Kopf gestiegen. Andererseits möchte ich auch die Wirkung des berauschend süßen Kaugummis nicht ganz ausschließen. Immerhin war gerade eine transparent flirrende Blase geplatzt, bevor ich mich entschied, einen zarten Hauch von Tigerbalsam unter meiner Nase aufzutragen. Irgendwo vernahm ich noch das Aufheulen eines Motors und Reifenquietschen, dann drehte ich mich um und warf das brennende Streichholz in die Benzinpfütze, ohne ein letztes Mal zurückzublicken.
Im Fortgehen spürte ich die Wucht der Explosion in meinem Rücken, die Hitze, aber das Lachen stiege erst in mir auf, als ich den beißenden Geruch der bittergrünen Kampferflammen atmete. Kühlend, mentholartig legte er sich wie Eiskristalle auf meine erhitzte Haut und den glühenden Asphalt. Und ich? Na, was hätte ich jetzt noch tun können? Ich schob mir eine Gewürznelke zwischen die Lippen und zerbiss sie mit den Backenzähnen. Dann setzte ich meinen Weg fort. Ich meine, wer hätte mich schon verdächtigt?
Jeder Schritt, der mich vom Tatort trennte, machte mich unschuldiger. Es war ja auch nur noch ein Flüstern von dem verdächtig beißenden Grün übrig, wogegen sich die Tuberose nun seidenzart und cremig an meine Kurven schmiegte. Und so brach ich einen jungfräulichen Zweig Organgenblüten von einem Baum am Wegesrand und tupfte mir damit die letzte Schweißperle von der Stirn.
Was nun, fragst du? Ja, nun liegst du hier in meiner Umarmung und wir teilen ein Geheimnis. Längst sind die verräterischen weißen Blüten in der Benzonille meiner Haut geschmolzen, sind zu moschuszarten Wölkchen zergangen.
Atme noch einmal tief ein – und dann sage mir, ob du mich verraten wirst.
**
Ich finde Tuberosendüfte ja oft sehr, sehr schwierig. Gibt es eine andere Blume, die so unberechenbar ist? Mal kommt ihr Duft süß und cremig daher, mal dunkel und sinnlich und dann wieder so quietschebunt wie pinkfarbener Kaugummi. Die schwülstige Süße und gerade auch diese stechende Kaugumminote können mir einen Duft schnell restlos verleiden und doch ist und bleibt die Faszination, die Tuberosenduft auf mich ausübt, ungebrochen. Da Christopher Sheldrakes Tubéreuse Criminelle der Ruf vorauseilt, einer der sperrigsten, unzugänglichsten Vertreter seiner Art zu sein und dann auch noch dementsprechend lutenstypisch vermarktet wird, habe ich den Duft mit einer gewissen Grundsatzskepsis getestet – und war wider Erwarten begeistert!
Ich freue mich immer, wenn mich Düfte überraschen und das ist hier mit einer außergewöhnlichen – und auf eine fordernde Art und Weise berauschend schönen – Kopfnote definitiv gelungen: Tuberosen haben eine natürliche Kampfernote, die in Parfums häufig als störende Off-Note ausgeblendet, überspielt oder unterdrückt wird, um die süßen, cremigen Facetten schneller ans Tageslicht zu fördern. Chris Sheldrake dagegen hat sich bei Tubéreuse Criminelle entschieden, gegen den Strom zu schwimmen, und genau dieser Off-Note ein Denkmal zu setzen. Es entsteht ein Eindruck, als hätte der den Duft der Tuberose in seine Facetten aufgespalten wie Licht, das sich in einem Prisma bricht, um die einzelnen Bestandteile in veränderter Reihenfolge und mit einer ungewohnten Überbetonung der grünen Noten wieder zusammenzusetzen. So kommt es, dass Tubéreuse Criminelle mit einem völlig unerwarteten eisigen Nebel aus Kampfer, Menthol und Benzin startet, gegen den eine überhitze Mischung aus indolischem, überreifem Jasmin und narkotischer Tuberose ankämpft. Hier dürfen jede Menge schräge Noten glänzen: Ich nehme neben den genannten auch heißen Asphalt wahr, eine süßliche Gumminote, die mir schon öfter in Jasmin- und Tuberosendüften aufgefallen ist, Tigerbalsam, Kaugummi und scheinbar hat Hexenmeister Sheldrake hier auch noch eine kräftige Handvoll Gewürznelken in den Kessel geworfen.
Zugegeben, das mag jetzt ein wenig gewöhnungsbedürftig klingen, ist aber – zumindest in meiner Nase – ziemlich unwiderstehlich. Zu schade nur, dass das wilde Spektakel sich in dieser Form nur ungefähr eine halbe Stunde auf meiner Haut hält. Dann ändert Tubéreuse Criminelle ihren Charakter, wird sanfter und zugänglicher, behält ihre dunkle Sinnlichkeit aber noch über Stunden, bevor ein seidensanftes Streicheln von weißen Blüten mit vanillegeküsster Benzoe und weichem Moschus in der Basis sanft einlullt.
Ich finde diesen Duft großartig, trage ihn aber nur selten, weil ich am liebsten halbestündlich oder stündlich nachsprühen würde, um mir die ganze wilde Geschichte noch einmal von vorne erzählen zu lassen. Für solche Experimente ist Tubéreuse Criminelle jedoch viel zu kräftig.
Würdest du mir wirklich böse Absichten unterstellen? Hier und jetzt in meiner Seidenblütenumarmung? Atme tief ein, dann erzähle ich dir meine Geschichte, denn – ja –, wozu soll ich es noch abstreiten. Du hast recht. Ich habe die Tankstelle angezündet.
Jeder hat mal einen schlechten Tag, nicht wahr?
Vielleicht war es der narkotische Duft der Tuberosen und des Jasmins, die überreif und kurz vor dem Verwelken in voller Blüte standen. Vielleicht ist er mir zu Kopf gestiegen. Andererseits möchte ich auch die Wirkung des berauschend süßen Kaugummis nicht ganz ausschließen. Immerhin war gerade eine transparent flirrende Blase geplatzt, bevor ich mich entschied, einen zarten Hauch von Tigerbalsam unter meiner Nase aufzutragen. Irgendwo vernahm ich noch das Aufheulen eines Motors und Reifenquietschen, dann drehte ich mich um und warf das brennende Streichholz in die Benzinpfütze, ohne ein letztes Mal zurückzublicken.
Im Fortgehen spürte ich die Wucht der Explosion in meinem Rücken, die Hitze, aber das Lachen stiege erst in mir auf, als ich den beißenden Geruch der bittergrünen Kampferflammen atmete. Kühlend, mentholartig legte er sich wie Eiskristalle auf meine erhitzte Haut und den glühenden Asphalt. Und ich? Na, was hätte ich jetzt noch tun können? Ich schob mir eine Gewürznelke zwischen die Lippen und zerbiss sie mit den Backenzähnen. Dann setzte ich meinen Weg fort. Ich meine, wer hätte mich schon verdächtigt?
Jeder Schritt, der mich vom Tatort trennte, machte mich unschuldiger. Es war ja auch nur noch ein Flüstern von dem verdächtig beißenden Grün übrig, wogegen sich die Tuberose nun seidenzart und cremig an meine Kurven schmiegte. Und so brach ich einen jungfräulichen Zweig Organgenblüten von einem Baum am Wegesrand und tupfte mir damit die letzte Schweißperle von der Stirn.
Was nun, fragst du? Ja, nun liegst du hier in meiner Umarmung und wir teilen ein Geheimnis. Längst sind die verräterischen weißen Blüten in der Benzonille meiner Haut geschmolzen, sind zu moschuszarten Wölkchen zergangen.
Atme noch einmal tief ein – und dann sage mir, ob du mich verraten wirst.
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Ich finde Tuberosendüfte ja oft sehr, sehr schwierig. Gibt es eine andere Blume, die so unberechenbar ist? Mal kommt ihr Duft süß und cremig daher, mal dunkel und sinnlich und dann wieder so quietschebunt wie pinkfarbener Kaugummi. Die schwülstige Süße und gerade auch diese stechende Kaugumminote können mir einen Duft schnell restlos verleiden und doch ist und bleibt die Faszination, die Tuberosenduft auf mich ausübt, ungebrochen. Da Christopher Sheldrakes Tubéreuse Criminelle der Ruf vorauseilt, einer der sperrigsten, unzugänglichsten Vertreter seiner Art zu sein und dann auch noch dementsprechend lutenstypisch vermarktet wird, habe ich den Duft mit einer gewissen Grundsatzskepsis getestet – und war wider Erwarten begeistert!
Ich freue mich immer, wenn mich Düfte überraschen und das ist hier mit einer außergewöhnlichen – und auf eine fordernde Art und Weise berauschend schönen – Kopfnote definitiv gelungen: Tuberosen haben eine natürliche Kampfernote, die in Parfums häufig als störende Off-Note ausgeblendet, überspielt oder unterdrückt wird, um die süßen, cremigen Facetten schneller ans Tageslicht zu fördern. Chris Sheldrake dagegen hat sich bei Tubéreuse Criminelle entschieden, gegen den Strom zu schwimmen, und genau dieser Off-Note ein Denkmal zu setzen. Es entsteht ein Eindruck, als hätte der den Duft der Tuberose in seine Facetten aufgespalten wie Licht, das sich in einem Prisma bricht, um die einzelnen Bestandteile in veränderter Reihenfolge und mit einer ungewohnten Überbetonung der grünen Noten wieder zusammenzusetzen. So kommt es, dass Tubéreuse Criminelle mit einem völlig unerwarteten eisigen Nebel aus Kampfer, Menthol und Benzin startet, gegen den eine überhitze Mischung aus indolischem, überreifem Jasmin und narkotischer Tuberose ankämpft. Hier dürfen jede Menge schräge Noten glänzen: Ich nehme neben den genannten auch heißen Asphalt wahr, eine süßliche Gumminote, die mir schon öfter in Jasmin- und Tuberosendüften aufgefallen ist, Tigerbalsam, Kaugummi und scheinbar hat Hexenmeister Sheldrake hier auch noch eine kräftige Handvoll Gewürznelken in den Kessel geworfen.
Zugegeben, das mag jetzt ein wenig gewöhnungsbedürftig klingen, ist aber – zumindest in meiner Nase – ziemlich unwiderstehlich. Zu schade nur, dass das wilde Spektakel sich in dieser Form nur ungefähr eine halbe Stunde auf meiner Haut hält. Dann ändert Tubéreuse Criminelle ihren Charakter, wird sanfter und zugänglicher, behält ihre dunkle Sinnlichkeit aber noch über Stunden, bevor ein seidensanftes Streicheln von weißen Blüten mit vanillegeküsster Benzoe und weichem Moschus in der Basis sanft einlullt.
Ich finde diesen Duft großartig, trage ihn aber nur selten, weil ich am liebsten halbestündlich oder stündlich nachsprühen würde, um mir die ganze wilde Geschichte noch einmal von vorne erzählen zu lassen. Für solche Experimente ist Tubéreuse Criminelle jedoch viel zu kräftig.
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