Eau du Soir 1990

Esther19
13.07.2011 - 05:07 Uhr
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
9
Duft

Schräger Chypre

Eau du Soir verrät schon durch den Flakon seine Ambivalenz:Der geradlinige Körper mit dem skulpturalen Verschluss in Form eines Frauenkopfes, die zu sinnieren scheint und Raum für allerlei Assoziationen lässt.
Der säuerlich-fruchtige Auftakt ist ein bisschen ungewöhnlich und hebt sich doch wohltuend ab von manchen(!)einfallslosen Bergamotteauftakten.Eine kräftige Säure, die den Gedanken an einen Sud gar nicht so abwegig erscheinen lässt, wenn nicht die Seifigkeit diesen Eindruck schnell konterkarieren würde.Was sich dann auftut, ist eine gratwandlerische Melange von Blumen und Gewürzen, die durch das Eichenmoos deutlich "verherbt" werden, krautig-pfeffrig-
lieblich.In dieser Phase erinnert er mich an das Wechselspiel dieser Richtungen in"Bijan", bei dem aber die Blumigkeit partiell zuzuordnen ist, durch die Narzissen und der später in orientalische Richtung wandelt.Bei EdS würde ich nicht gerichtlich beeiden wollen, ob ich Flieder und Maiglöckchen wirklich eindeutig identifizieren konnte!
In der Tat, Eau du soir ist kein gefälliger Softie, sondern ein Anecker mit Stil, der meiner Meinung nach Unisexcharakter hat.Er changiert wie ein Chamäleon, mal herbe Seifigkeit,mal pudrige Blumigkeit,Würze durch sich genial kontrastierend-ergänzenden Wacholder und Nelke, die tonangebend ist und lange mitspielt.Wärme durch Ylang Ylang und Patchouly, ohne jemals in Süße abzudriften.
(Exkurs:Guten Reis,nach dem Anbraten und Aufkochen gedünstet mit Zwiebeln, die mit Nelke und Lorbeerblatt gespickt wurden - ein aparter Beigenuss!Zwiebel ist anderslautenden Gerüchten hier nicht enthalten!)
Eau du soir ist ein schräger Chypre,dessen Fond schon in der Taille ansetzt und stattdessen die Basis durch Ambra und Moschus abmildert,dabei aber charmant querulantisch und störrisch bleibt und wiederum auch verhalten anschmiegsam ist.Sehr komplex und wahrscheinlich auch stark von der Hautchemie abhängig.
Leider, leider ist mein Flakon nun fast leer.Ich trage ihn gern an Tagen, an denen unkonventionelle Seriösität gefragt ist.Er hat eine spröde Eleganz, die zuweilen einfach passt.
Entfernte Ähnlichkeit sehe ich auch zu Chanel Nr.19, der noch grüner, aber auch allemal für eine Überraschung gut ist und durch seine Brüche in der Komposition imponiert.
In Stoff übersetzt würde ich sagen, ein Tweed oder ein anderer dicker, strukturierter Wollstoff- natürlich bügelfrei.
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