La Collection 777

Ô Hira 2013

Smnbkr
04.12.2021 - 03:56 Uhr
6
Hilfreiche Rezension
7
Preis
9
Flakon
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9.5
Duft

Les histoires des parfums – chapitre 6 – la plus sombre/lumineuse des nuits

Wer meine Rezensionen kennt, fragt sich spätestens jetzt wahrscheinlich: wieder Paris? Redet er wieder nur von Paris, Paris, Paris? Ja, das tut er, weil sich die Stadt des Lichts wie kaum etwas anderes in seinen Gedanken ausgebreitet hat, und er nicht umhin kommt, sich jeden Tag in Gedanken an die Zeit dort zu verlieren. Vielleicht sollte er in Betracht ziehen, der Stadt mit einem Roman a la Ernest Hemingway zu huldigen; bis jetzt ist es jedoch nur bei einigen Parfumrezensionen geblieben, in denen er seine heiße und innige Leidenschaft zur Stadt der Liebe verschriftlicht hat…

„Nach und nach, über viele Jahre hinweg habe ich die Welt als Ganzes erkannt, als eine ganze Einheit, einen unsichtbaren Felsen voller bemerkenswerter Individuen, großer Herrscher, gekrönter Häupter, ehrenvoller Stammesführer, alle mit großer Verantwortung und angetrieben durch ihren unauslöschlichen Glauben. Der Eifer und die ruhelosen Seelen hinter diesen eindrucksvollen Persönlichkeiten inspirieren mich und treiben mich immer weiter an.“

Wer glaubt, ich rezitiere einen Text aus einem philosophischen Standardwerk oder einem bibelähnlichen Buch, der irrt. Es sind, mot par mot, die Gedanken und die Vision des französischen Parfümeurs Stephane Humbert Lucas, der, so will es der Zufall, auch noch aus Paris stammt. Und dicker hätte man wahrlich nicht auftragen können, monumentaler hätte man seinen Antrieb und seine Leidenschaft, etwas Kreatives zu schaffen, nicht verbildlichen können. Was steckt hinter diesen großen Worten, mit denen Monsieur Lucas seine Kunst beschreibt?

Ich möchte, ich kann nicht für alle kleinen Kunstwerke seiner Nischenparfümreihe „777“ sprechen, doch aber für einige davon. Zum ersten Mal entdeckt, begutachtet und gerochen wurden sie in der Vorweihnachtszeit des Jahres 2019 im „Printemps Haussmann“, dem bekannten Luxuskaufhaus in der Nachbarschaft des „Palais Garnier“. Das seit 1865 existierende Gebäude birgt seit geraumer Zeit einen in Europa unvergleichlichen Schatz an allen Luxusartikeln, die das Herz des gut betuchten Mannes/der gut betuchten Dame begehrt. So auch eine komplette Parfumabteilung, die sich schier endlos über die zweite Etage eines Flügels des Hauses erstreckt und die bei jedem Parfümliebhaber für Schweißausbrüche sorgen dürfte. Nach einigen zaghaften Schritten (beäugt von mehreren Verkäuferhyänen) durch die mir bekannten Parfümmarken (Parfums de Marly, Creed, Nasomatto, Le Labo etc.) fielen mir mehrere, sehr kleine Flakons auf, die nicht nach Aufmerksamkeit schrien, meine nun jedoch hatten. Gestanden haben sie unter dem Schriftzug „Stephane Humbert Lucas“, und die Aufmachung des Schaufensterns (gerne einmal auf der Facebook-Seite von SHL stöbern, dort findet sich besagtes Schaufenster nach einigem Herunterscrollen) war genug, um meine Nase in genau diese Richtung zu bewegen.

Nach Taklamakan und Soleil de Jeddah, beides unfassbare Kunstwerke, jedoch meiner Meinung nach schwer bis gar nicht tragbar, war O Hira der dritte Flakon, den ich in der Hand hielt und testete. Liebe auf den ersten Sniff war es beileibe nicht; zu heavy, zu außergewöhnlich, zu stechend, zu schwer zu tragen waren auch beim dritten Stephane-Humbert-Lucas-Duft meine ersten Eindrücke und Assoziationen. Trotzdem triggerte dieser Geruch etwas in meinem Gehirn, und ich war gewillt, ihn mit nach Hause zu nehmen und dort noch einmal in aller Ruhe zu testen (wenn ihr nicht sicher seid, was ihr von einem Duft beim ersten Test in einem überfüllten Kaufhaus halten sollt, so nehmt sie als Pröbchen mit nach Hause und gebt euch dem Test noch einmal in aller Ruhe hin; es sind zwei verschiedene Dufterlebnisse) .

Gesagt, getan; weil die diesmal sehr freundliche SHL-Verkäuferhyäne leider kein Pröbchen für mich hatte (weil sie nicht wollte oder nicht konnte, sei einmal dahingestellt), entschied ich mich, mein Handgelenk für diesen interessanten, jedoch schwer einzuordnenden Duft herzugeben.

Alles, was dann folgt, kann ich nur noch in Nuancen rekonstruieren. Nach circa zehn Minuten nahm mich der Duft völlig für sich ein, betäubte jegliche Sinne und ließ es mir Schwarz vor Augen werden. Immer wieder an meinem Arm riechend, verließ ich den RER A, der mich eigentlich nach Hause bringen sollte, und stieg am „Charles de Gaulle – Etoile“ (die Station beim Arc de Triomphe) aus, da ich dringend nach draußen musste. Warum? Ich weiß es nicht mehr genau, wahrscheinlich, weil ich dem Duft die Kulisse und den Raum geben wollte, die er verdiente, und er im vollen RER zu ersticken drohte.

So lief ich mit dem Duft noch eine Weile durch die frühabendlichen Pariser Straßen, vom Trubel an der Champs-Elysees und am Arc de Triomphe weg und hin zum Parc de Monceau, nur ein paar hundert Meter weiter. Am Boulevard de Courcelles war ich schließlich eins mit dem Duft geworden, und ich wusste, dass ich einen Diamanten entdeckt hatte. Dieser Duft, der laut den im Netz von Monsieur Lucas publik gemachten Duftnoten nur aus fossilem Amber besteht und der für einen hier nicht genannten, jedoch sehr stolzen Preis zu haben ist, ließ mich nicht mehr los. Ich stand mitten in Paris und war ratlos. Gefangen. Im Rauch, in der trockenen Harzigkeit, in der wunderbaren Würze, und in der ganz kleinen, aber feinen Parallele zu meinem Herzensduft Grand Soir. In der königlichen Wolke, die mich umhüllte. In der scheinbaren, undurchdringlichen Dunkelheit, die dieser Duft in mir auslöste und die nur zu einem komplett schwarzen oder dunklen Outfit wirklich passen möchte. Und in den konträren Eindrücken, die ich zeitgleich mit dem Dufterlebnis mit den Augen haben durfte; die hell erleuchteten Straßen des achten Arrondissements der Stadt, die mir so viel bedeutet und die ich so sehr liebe.

Wenn ihr wissen möchtet, wie ich mich in diesem Moment gefühlt habe, scrollt gerne hoch und lest euch noch einmal die Worte des Schaffers dieses unfassbaren Duftes durch. Besser kann, besser möchte ich es nicht beschreiben. Merci, Monsieur Lucas!

Bisous!
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