Tubereuse Organique 2019

Profumo
08.05.2021 - 12:49 Uhr
27
Top Rezension
8
Sillage
8
Haltbarkeit
9
Duft

Lust auf einen Tequila?

Meist ist ein Tuberosen-Duft eine schwierige Angelegenheit. Auch ihre kleinen Schwestern, Magnolie und Gardenie, deren Düfte in der Regel rekonstruiert werden, da sich natürlicherweise wenig bis gar keine Duftöle aus ihnen extrahieren lassen, sind schon laute und zur Dominanz neigende Blüten, aber die Tuberose, die interessanterweise zu den Agavengewächsen gehört, toppt sie alle.
Für mich changiert die Tuberose irgendwo zwischen einer raumfüllenden Diva und einer raumsprengenden Drag-Queen. Jedenfalls legt sie zuverlässig einen fanfarenhaften Auftritt hin, mit tief orgelnder Altstimme und wogendem Busen.

Hier definitiv nicht.

Christophe Laudamiel hat es geschafft der Tuberose den Fummel abzustreifen, sie abzuschminken. Seine „Tubereuse Organique“ tritt uns völlig ohne Gerüsche und ohne Trara entgegen, ja sie wirkt ungewohnt zurückgenommen und seltsam nackt.
Das macht fast ein wenig stutzig.
Denn so hochfahrend und anstrengend die Tuberose auch ist – sie duftet doch zumeist dermaßen berauschend und narkotisierend, dass ich bereit bin alle Allüren klaglos zu ertragen. Ein von Malles „Carnal Flower“ geschwängerter Atemzug und ich schmelze dahin. Aber tragen? Nein, beim besten Willen nicht.

Bin ich Mae West? Bin ich Mary, alias Georg Preuße? Nein.

Verblüffenderweise hat Christophe Laudamiel diesen ungeschminkten, natürlichen Tuberosen-Auftritt ohne das kleinste Tröpfchen irgendeines Tuberosen-Extraktes, bzw. eines Tuberosen-Absolues inszeniert. Hier ist schlicht überhaupt keine Tuberose drin!
Und doch duftet „Tubereuse Organique“ wunderbar nach dieser Blüte. Eingefangen hat sie der Parfümeur allerdings in einem viel früheren Stadium als gewöhnlich, quasi noch taufeucht und frisch vom Feld. Man ahnt schon wohin die Reise gehen wird, wenn die Blume zu vollem Ornat erblüht. Noch sind die Blütenblätter aber halbwegs geschlossen, haften noch helle, grüne und erdig-wurzelige Akzente an der Blume, verschmelzen zu einem wunderbaren organischen Pflanzenaroma, das man (ich) am liebsten trinken würde.

Apropos Trinken: wie schon erwähnt, gehört die Tuberose zu den Agavengewächsen. Und genau hier setzt Christophe Laudamiels Tuberosen-Fantasie an: er kreiert seinen frischen, grünen Tuberosen-Akkord mithilfe von Lavandin LMR (einem Bio-zertifizierten Rohstoff einer französischen Kooperative), etwas ägyptischen Jasmin-Absolue und einem Schuss echtem Bio-Tequila („123 Tequila“ von David Ravandi).
Da Tequila bekanntermaßen ein Agaven-Schnaps ist, besteht hier die Verbindung zur Tuberose. Nicht dass sie sich mir sofort erschlösse, aber irgendwie erinnert mich der Duft von „Tubereuse Organique“ doch entfernt an ein Getränk, das wir Ende der 80er, Anfang der 90er gerne mit einem gewissen Grusel tranken: Mezcal; der alte, gereifte, mit dem Wurm drin. Beim letzten Schluck kam der mit raus und konnte/sollte/durfte gegessen werden. Zum Glück kam ich nie in die Verlegenheit....

Vielleicht ist das auch nur Einbildung, da ich diesen Schnaps schon ewig nicht mehr getrunken habe, vielleicht aber auch nicht. Jedenfalls sollte man nicht an den weißen, spritigen Tequila denken, den wir damals mit Zitrone und Salz in Unmengen genossen, sondern eher an den braunen, dunklen Tequila – vergesse aber bitte dabei die obligatorische Orange und den Kaffee (oder den Zimt), da diese nicht mit von der Partie sind.
Selbstredend haben er, Christophe Laudamiel und sein Co-Parfümeur Ugo Charron, das ein oder andere Gläschen davon genossen – Recht hatten sie!

Mit Tequila, Lavandin und Jasmin haben die beiden also den Blüten-Akkord nachgebildet, mit Eichenmoos, Bio-zertifiziertem Vetiver und Patchouli formten sie den grünen Halm und das Wurzelwerk, dem noch der Duft feuchter Erde anhaftet.
Akzentuiert wurde diese Neu-Schöpfung mit einigen Ambrettesamen, etwas Hibiskus, Angelika und Tagetes – kann ich zwar nicht im einzelnen herausriechen, wird aber in der Liste der Inhaltstoffe genannt.

„Tubereuse Organique“ ist somit zwar scheinbar ein Tuberosen-Soliflor, aber eben nur scheinbar, betrachtet man die beteiligte Noten-Schar. Erstaunlich ist dabei, wie exakt diese Schar aufeinander abgestimmt, wie perfekt kalibriert sie ist – alle, aber wirklich alle wirken an diesem organischen Tuberosen-Akkord mit, den es zwar so gar nicht gibt, den sie aber überzeugend intonieren.
Großartig!

Ich hätte jetzt glatt Lust auf einen Tequila – hatte ich lange nicht!
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