Private Blend

Lost Cherry 2018 Eau de Parfum

loewenherz
27.12.2021 - 14:34 Uhr
68
Top Rezension
7
Flakon
6
Sillage
7
Haltbarkeit
7
Duft

What's classy if you're rich, but trashy if you're poor

auf deutsch etwa: 'was als stilvoll gilt, wenn man reich ist, aber als billig, wenn man arm ist' bezeichnet eine seit mehreren Jahren schon in den sozialen Medien kursierende, vielfach diskutierte (und durchaus berechtigt kritisierte) und ergänzte Auflistung von Lebens- und Verhaltensweisen sowie Attributen oder Gegenständen, denen ein dergestalter Doppelstandard zugrunde liegt, dass - wenn nicht dasselbe, dann doch zumindest etwas vordergründig ähnlich Erscheinendes - als geschmackvoll oder cool und somit nachahmenswert angesehen wird, wenn eine reiche Person es tut oder hat - aber als problematisch, bedauernswert oder gar billig, wenn es sich um eine arme Person dabei handelt.

Beispiele dafür sind etwa:
- mehrere Jobs gleichzeitig zu haben
- Dinge gebraucht zu kaufen
- seinen Kindern ausgefallene Namen zu geben
- zuhause eine andere Sprache als die im jeweiligen Land vorherrschende zu sprechen

An dieser Stelle gerne ergänzen möchte ich:

- einen Duft in einem roten Flakon mit einem doppeldeutig-schlüpfrigen Namen zu tragen, der nach Kirsche und nach Kuchen riecht

So einen wie Tom Fords Lost Cherry.

Es soll hier nicht um das Narrativ gehen, dass man ein- und denselben Duft unterschiedlich vermarkten und bepreisen könnte, und die Leute das dann nicht bemerken würden, weil sie sich ja nur vom Namen und vom Preis beeindrucken ließen. Die Leute würden. Aber diese Diskussion wurde schon 'zu meinen Zeiten' sattsam geführt, und ich bin mir fast sicher: sie wird es immer noch.

Hier geht es darum, dass Tom Ford sehr bewusst mit oben skizziertem Dualismus aus classy und aus trashy spielt, und der Leumund seines Hauses und seiner Jünger ihm gestattet, einen Kirschduft mit vulgärem Namen und rotem Flakon hochpreisig zu platzieren - was sich ein Wettbewerber ohne jenes Fordsche Je-ne-sais-quoi nicht hätte erlauben können. Because he can.

Dabei ist Lost Cherry nicht mal ein Frontrunner. Guerlains La Petite Robe Noire hat dem Markt bereits zehn Jahre lang bewiesen, dass ein Kirsch-Mandelparfum auch bei Donata in Grünwald funktioniert - und nicht nur bei Dominique am Hasenbergl. Louise Turner bettet vollreife Kirschen in eine bitterdunkle Süße, die von Verheißung kündet und doch gleich eine Ahnung von Reue in diese Verheißung mit hineingibt - wie Tom Ford es ja gemeinhin gerne tut. Da ist etwas Lüsternes hinter seiner kindfraulichen Kopfnote, das interessant sein könnte - machten sein Name und sein ganzes Cachet es nicht dergestalt naheliegend und erwartbar, dass es fast ein bisschen trivial erscheint.

Fazit: classy goes trashy. Oder doch umgekehrt?

Nachtrag: dies ist ja nun tatsächlich loewenherz' zweite Zugabe nach seinem Abschied vor dreieinhalb Jahren - hat er es sich denn nun vielleicht doch noch anders überlegt und ist wieder da? Nein, immer noch nicht, tut mir leid. Aber ein Kommentar pro Jahr - das mag vielleicht gehen...
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