Tommy Girl 1996

Antoine
15.03.2010 - 13:54 Uhr
8
Duft

Musterschülerin



Ich mag die Marke Tommy Hilfiger nicht besonders, dieser gleichförmige Ostküsten-Chic, der einerseits auf Edel macht und andererseits in jedem besseren Kaufhaus zu haben ist. Auch der Duft-Name „Tommy Girl“ spricht mich nicht an; das klingt nach fruchtigem Teenie-Duft, bestenfalls nach Debütantenball in Boston.

Aber: Tommy Girl hat im Perfumes - The A-Z Guide von Luca Turin und Tania Sanchez die eher seltene Bestwertung von fünf Sternen („masterpiece“) abgeräumt, und das machte mich dann doch neugierig auf einen Test.

Tommy Girl beginnt fruchtig – serviert werden zarte Fruchtnoten; etwas Zitrisches ist dabei, vielleicht ein bisschen Pfirsich oder Aprikose, na gut, Mandarine und schwarze Johannisbeere steht in der Beschreibung. Jedenfalls ist es zum Glück keine sirupgetränkte Fruchtbombe, und die Fruchtnoten riechen schön natürlich. Sie verfliegen relativ schnell und machen Platz für eine angenehme Kräuter-Blüten-Mischung, erfreulich un-süß, aber auch wiederum nicht zu herb. Mag sein, dass hier das Zusammenspiel der Blüten einerseits und der Minze-Zitrusfrüchte-Mischung andererseits zum Tragen kommt. In dieser Phase erinnert mich Tommy Girl an ein teures Shampoo. Nach vielleicht einer halben Stunde hat sich der Duft aber wiederum gewandelt, jetzt stehen die Blütennoten im Vordergrund, immer noch un-süß, mit einer Spur Seife. Die kräutrige, leicht herbe Note ist nicht völlig verschwunden, sondern nur in den Hintergrund getreten. Der Gesamteindruck ist frisch und sauber, aber mit Tiefgang. Dafür sorgen die immer noch wahrnehmbare Kräuternote (die zum Schluss hin wieder stärker vortritt), und eine ganz langsam hinzukommende balsamische Note, die sich aber dezent im Hintergrund hält und den eher herb-frischen Gesamteindruck nicht wesentlich ändert.

Das Tommy Girl ist offensichtlich keine ausgeflippte kleine Punklady und auch keine Lolita (die von Nabokov meine ich ;-), und besonders niedlich oder verspielt ist sie auch nicht. Tommy Girl ist ein natürliches Mädchen von der eher ernsten, wohlerzogenen Sorte (Hobbys: Lesen und Sport), und gute Noten hat sie auch (siehe Perfumes Guide).

Tommy Girl hat einen interessanten, sich mehrfach wandelnden Duftverlauf. Es ist so ähnlich wie unterschiedliche Landschaften, die auf einer Bahnfahrt an einem vorüberziehen. Ich kann mir vorstellen, dass es für einen Parfumeur nicht die allereinfachste Übung ist, so etwas harmonisch hinzukriegen. Das macht Herrn Turins Bestwertung für mich zumindest nachvollziehbar: an seinen Wertungen fällt mir immer wieder auf, dass er offenbar großen Wert auf einen interessanten und klar erkennbaren Duftverlauf legt; eindimensionale Sachen wie zB Gaultier2 haben bei ihm ganz schlechte Karten. Als „masterpiece“ hätte ich persönlich Tommy Girl nicht unbedingt eingestuft. Dafür ist es mir zu brav, zu sauber, zu wenig unverwechselbar, aber das ist nur meine subjektive Dilettanten-Meinung. Ganz sicher ist Tommy Girl ein gelungen durchkomponierter Duft, der eine schöne Balance aus frisch, blumig und kräutrig hält und sich gut für den alltäglichen Gebrauch eignet. Und es gehört nicht zur Kategorie „fruchtig-blumig-süß“, was heutzutage ja an sich schon ein Vorteil ist. Trotzdem werden Tommy Girl und ich keine Dauerfreundinnen, denn diese blumig-frische Duftrichtung liegt mir einfach nicht.
7 Antworten