Gothic Bluebell 2012

Calendula
06.08.2015 - 13:54 Uhr
6
Sehr hilfreiche Rezension
5
Flakon
5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
8
Duft

Das barbarische Hasenglöckchen

Eine sehr liebe Userin, die, genau wie ich, charakterstarke Düfte schätzt, brachte kürzlich Gothic Bluebell aus London mit und bedachte mich unter anderem (immer wieder danke!!) mit einer überaus großzügigen Kostprobe dieses Parfums.

Wie kann ein Duft beschaffen sein, der so gegensätzliche Begriffe wie "schaurig/barbarisch/gruselig" und "Blauglöckchen/Hasenglöckchen" im Namen trägt?

Ich sprühe auf ...

Im ersten Moment riecht es nach erhitztem Metall - ein Geruch, wie er bisweilen beim Schweißen entsteht - und nach weichem, verschmortem Gummi; es folgt ein Hauch feuchtes Heu, leicht angeschimmelt, klamme Wolle, dazu erdige, schlammige Noten. Nach und nach dringt etwas Säuerliches, etwas Beißendes, Frisches in die Nase, mit einer Prise Waschpulverduft und einem kleinen bisschen Blume. Zusammen mit den anderen Komponenten ergibt sich ein Gemenge aus würzig bitteren und immer noch leicht in der Nase prickelnden Nuancen, bis schließlich alles zusammen zu einem ruhigen, würzig-frischen, fremdartigen, kaum blumigen Duft verschmilzt.

Ein Wirbel aus Eindrücken, die sich zu Bildern verdichten:

Eine Straße, an der geschweißt wird, Gummi erhitzt, schmort. Eine Ortschaft. Am Straßenrand und in allerlei Ritzen einst trockenes Gras, das nun, vom langen Regen feucht geworden, schimmelt. Rohe Wolle hängt draußen, bleibt klamm und nass im nicht enden wollenden Regen - neben dem Schlamm, der Asche von den überdachten Feuerstellen und den waschpulvrigen, seifigen Rinnsalen, die zwischen den Häusern ihre Muster ziehen und alles zu einem würzigen, leicht beißenden Aroma verbinden.
Und dann ein winziger Laden. Trocken ist es darin und vollgestopft. Allerlei bunte, abgepackte Ware in Regalen und über allem der Geruch nach Waschpulver, nach würziger Seife und nach schwach blumig duftenden Räucherstäbchen ...

Ich war nie in Indien, habe jedoch das Buch "Der Gott der kleinen Dinge" gelesen. Und wenn gelesene Worte Düfte heraufbeschwören können, dann hat dieses Buch die Gerüche Indiens für mich so erlebbar heraufbeschworen, dass ich den Gesamteindruck aus Szenen und Bildern jetzt, viele Jahre nach der Lektüre, in diesem Parfum zu riechen glaube. In einem Parfum, dessen Duftpyramide von völlig anderen Dingen spricht, in einem Parfum, das sich Blauglöckchen/Hasenglöckchen nennt, wenn auch mit einem vorgeschalteten "Gothic".

Nur einheimische Zutaten von den Britischen Inseln habe Anastasia Brozler verwendet, heißt es. Dann nehme ich an, dass die metallischen, bitteren, leicht beißenden Noten vom Efeu herrühren und dass er es auch ist, der dem Duft diese fremdartige Aura verleiht - die mir wiederum ein fernes Land vorgaukelt. Das Blauglöckchen, botanisch zu den Hyazinthen gehörend, zeichnet, so vermute ich, für die blumigen, würzigen Elemente verantwortlich, zusammen mit der Narzisse, die ihr abgründiges süßlich-schärfliches Aroma mit in den Duftkessel gibt, wobei sie alles Schwüle außen vor lässt. Veilchenblatt und Glockenblume wollen sich mir nicht zu erkennen geben.

Gothic Bluebell ist, anders als meine Beschreibung vielleicht vermuten lässt, ein wunderbarer, ein faszinierend besonderer Duft. Dass mir, während ich ihn rieche, kaum die üblichen Worte zur Charakterisierung eines Parfums einfallen mögen, liegt schlicht daran, dass er so ungewöhnlich, so ganz eine Klasse für sich ist.

Auf meiner Haut hält Bluebell mühelos mehrere Stunden und duftet auch in den letzten Zügen noch feinwürzig, frisch, etwas räucherstäbchenartig. Die Sillage ist mittel und ich würde ihn definitiv als unisex einstufen.
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