Boudoir 1998 Eau de Parfum

MisterRossi
16.09.2012 - 14:07 Uhr
55
Top Rezension
10
Flakon
7.5
Sillage
7.5
Haltbarkeit
3
Duft

Lustwicht XIV. oder: Was vom Beischlaf übrig blieb.

Vorab: Einen weiteren Kommentar zu Bodoir zu verfassen erscheint mir ebenso halsbrecherisch zu sein wie den Duft zu tragen. Ein unter Umständen schwieriges Unterfangen. Vor allem weil meine VorrednerInnen ihn zu mögen scheinen. Und ich mag euch allen zurufen: Tragt ihn! Ihr seid PUNK!

Um das Geheimnis zu lüften, ohne jemandem die Freude des Tragens von Bodoir nehmen oder vergällen zu wollen: Ich mag ihn nicht. Ich mag aber die Idee dahinter.

Zur Verdeutlichung meiner Zweifel ein Gedankenexperiment. Man nehme:
- Eine große Flasche Bodoir;
- ein schickes Loft, sehr teuer, sehr weiß, sehr edel, sehr aseptisch;
- die in dieses Loft passende weiße, edle, aseptische Besitzerin.
Nun: Besprühe man sämtliche Textilien in diesem Loft inclusive der Besitzerin mit einer guten Brise Bodoir, um dann Besucher hereinzuführen, denen vor dem Betreten des Loftes die Augen verbunden wurden.
Und? Wie durch Zauberhand schaltet sich in den Köpfen der "blinden" Besucher eine rote Laterne an. Violá! Wenn sie die Augenbinde abnehmen, schaltet sich die rote Laterne wieder aus; zurück bleibt Irritation und Verwirrung. Und das ist PUNK!

Wie konnte das geschehen? Ich denke, um Bodoir zu verstehen, muss man sich die Mühe machen, in die Biografie seiner Initiatorin zu schauen, denn:
Ich verstehe Bodoir nicht als Duft (im Sinne eines schmeichelnden Begleiters, wobei das meine subjektive Meinung ist), sondern vielmehr als Ausdruck der Lebenshaltung von Vivienne Westwood. Losgelöst davon halte ich persönlich Bodoir für untragbar. Erst in der Kombination von Duft und innerer Haltung der Trägerin wird m. E. daraus ein Statement.

Frau Westwood, Jahrgang 1941, stammt aus einer englischen Familie, deren Mittellosigkeit sie zwang, ihre Talente weiterzuentwickeln. 13 Meilen entfernt von Manchester - der Wiege des Punks - fiel die Idee der "Erschütterung des Establishments" auch bei Frau Westwood wohl auf fruchtbaren Boden. Als Lebensgefährtin von McLaren, dem langjährigen Manager der "New York Dolls" und später der "Sex-Pistols", kreierte sie lange Zeit deren Bühnenoutfits. Provozierendes Aussehen, rebellische Haltung und nonkonformistisches Verhalten und Ideen waren die Instrumente, mit denen die Punks das englische Establishment in Frage stellen und – evtl. - an den Rand des Wahnsinns bringen wollten. Soweit die Idee.

Nun kommt Frau Westwood ins Spiel, deren Idee es war, einen Duft zu gestalten, der - wie der Name schon sagt – die Assoziationen eines Bodoirs (=Ankleidezimmer, Rückzugsraum für die Dame) wecken soll: Staub, Puder, Textilien, Schweiß, Körperflüssigkeiten. Eben all das, was so an Gerüchen in einer abgeschiedenen Kemenate so anfällt – und je nachdem was dort so getrieben wird.

Wie riecht Bodoir nun? Ich finde: Genau so. Schauerlich. All die Gerüche und Ausdünstungen, die man am liebsten durch die tägliche Toilette vor der Öffentlichkeit zu verbergen sucht, sind hier vereint. Schwülstig, süß, staubig, schweißig, animalisch, pudrig, ungewaschen, ungelüftet, ranzig, abgestanden. Mme de Pompadour lässt grüßen (in Versailles gibt es keine einzige Toilette; es gab spezielle Bedienstete, deren Aufgabe es war, die Notdurft der feinen Gesellschaft vom Parkett zu entfernen).
Doch Bodoir schafft es, diese scheinbar abstoßenden Gerüche so miteinander zu verweben, dass ein Duft dabei herauskommt, den viele als angenehm und tragbar empfinden - und dies auch tun. Punk im Flakon! Bravo!

Verrückterweise schafft Frau Westwood mit Bodoir etwas, was dem Punk nicht vergönnt war: Eine Haltung als leb- und tragbare Idee vom "Überwerfen des Althergebrachten" in den Alltag zu integrieren.
Irritieren. Verwirren. Ins Nachdenken bringen. Verkrustete Strukturen in Frage stellen. Und an dieser Stelle finde ich Bodoir gelungen.

Also, ihr Bodoir-tragenden PunkerInnen: Weiter so!!
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